Rezension

Laura Rodrigues Nöhles: Frida Kahlo in Deutschland. Eine Rezeptionsgeschichte, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2015, 268 S., ISBN 978-3-496-01536-9, 39.95 EUR
Buchcover von Frida Kahlo in Deutschland
rezensiert von Helga Prignitz-Poda, Berlin

Das Interesse an der Kunst der mexikanischen Malerin Frida Kahlos ist seit drei Jahrzehnten ungebremst. Es gibt eine Fülle von Publikationen, die sich alle mehr mit der Biografie der Künstlerin als mit ihrer Kunst selbst auseinandersetzen, und es ist dabei schwierig, den Überblick über die vielen Veröffentlichungen zu bewahren. Deshalb ist zu begrüßen, wenn sich jemand daran macht, diese Veröffentlichungen kritisch zu würdigen, um dem Leser anhand eingangs erläuterter Kriterien diesen Überblick zu verschaffen.

Laura Rodrigues Nöhles widmet sich in Ihrer Rezeptionsgeschichte "Frida Kahlo in Deutschland" auf 268 Seiten sehr erfolgreich diesem Vorhaben. Die klar strukturierte Arbeit beginnt sehr übersichtlich mit Erläuterungen zum methodischen Vorgehen, zur Struktur der Arbeit und einem Überblick über den Forschungsstand.

Um den Kontext besser herzustellen, beschreibt sie dann in dem Kapitel "Vorläufer der Rezeption in Deutschland" auch Texte, die Kahlos Zeitgenossen geschrieben haben, die aber erst sehr viel später in Deutschland bekannt und publiziert wurden. Dazu gehören dann aber auch die ersten Biografien Kahlos von Raquel Tibol und Hayden Herrera, die jeweils kurz nach dem Erscheinen im Ursprungsland auch in Deutschland veröffentlicht wurden, und erheblich daran mitwirkten, dass die Sichtweise auf Frida Kahlo so extrem biografisch geprägt ist.

Detailliert widmet sie sich dann den vier verschiedenen in Deutschland gezeigten Ausstellungen, der aus London stammenden, aber in Berlin, Hamburg und Hannover gezeigten Ausstellung aus dem Jahr 1982 "Frida Kahlo and Tina Modotti"; der in der Frankfurter Schirn gezeigten "Die Welt der Frida Kahlo. Das Blaue Haus" aus dem Jahr 1993; der Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunstforum "Frida Kahlo" aus dem Jahr 2006; und schließlich der Berliner "Frida Kahlo Retrospektive" aus dem Jahr 2010, die im Martin Gropius Bau gezeigt wurde. Rodrigues Nöhles beschreibt detailliert und in der Beschränkung auf diese vier Ausstellungen, wie die Biografie der Künstlerin zunächst im Vordergrund steht, langsam aber auch Kahlos künstlerisches Werk ins Zentrum der Ausstellungen rückt. Rodrigues Nöhles analysiert die einzelnen Essays der Kataloge und vergleicht die unterschiedliche Herangehensweise an die Präsentation von Kahlos Kunst. Sie bedauert dabei, dass ihr nicht mehr viele Pressespiegel zur Verfügung standen, wobei ja ohnehin in den Rezensionen zu den Ausstellungen meist nur die Presseerklärung des Ausstellungshauses erläutert werden und sich nur wenige Journalisten forschend in die Sache vertiefen, sodass sie meist doch nur die vorab erklärte Absicht der Ausstellungsmacher spiegeln. Aus dem Vergleich der Katalog Essays hingegen lassen sich aber sehr viele Aspekte der Kahlo Forschung und ihrer Entwicklung ablesen, und das tut die Autorin auch in der Tat sehr ausführlich und mit Erfolg. Es schließt sich die Betrachtung zweier fiktiver Romane an, die sich nicht ganz dem wissenschaftlichen Bemühen der Ausstellungen einfügen, die aber in Deutschland in hoher Auflage erschienen.

In einem weiteren Kapitel zu den kulturgeschichtlichen Aspekten der Rezeption Kahlos vergleicht die Autorin die kontrovers diskutierten Ansichten zur Mexicanidad und der Identitätsbildung, die politische Ausrichtung Kahlos und den Einfluss des Feminismus auf ihr Werk und dessen Rezeption. Wobei spätestens hier doch auch die Frage erlaubt sei, ob eine Beschränkung auf die einzig in Deutschland erschienenen Werke zu diesen umfangreichen Themen wirklich sinnvoll ist.

Man kann die bedeutenden, international erschienenen Werke zu diesen Themen doch nur durch große Mühe umgehen, und so recht erschließt sich mir der Sinn dieser Beschränkung nicht. Denn die genannten Themen werden insbesondere in den USA und in Mexiko in zahlreichen Publikationen ausgiebig und von hervorragenden Wissenschaftlern gewürdigt. Es ist zu bedauern, dass wesentliche Schriften nicht in Deutsch erschienen sind, ebenso, wie zu bedauern ist, dass auch wesentliche in Deutsch erschienene Bücher nicht im Ausland erschienen sind. Gerade eine vergleichende Rezeptionsgeschichte könnte aber über diese Lücken auch hinweghelfen und den Forschern im jeweils eigenen Land doch zumindest Hinweise über die Landesgrenzen hinaus geben. Zumal die im Ausland erschienenen Werke zum Teil sehr populär wurden und die in ihnen gewonnenen Interpretationsansätze dementsprechend auch in Deutschland Eingang gefunden haben.

Auch die einzige in Deutschland vor Rodrigues Nöhles erschienene Magisterarbeit zum Thema, die aus dem Jahr 1984 stammende Arbeit von Andrea Kettenmann "Frida Kahlo, über die Formen des Umgangs mit Werk und Person einer mexikanischen Künstlerin" (Universität Hamburg) wurde nicht zu Rate gezogen. Entschuldigend kann man hier aber einfügen, dass die Arbeit von Kettenmann nur in wenigen Typoscripten vorliegt und so gut wie keine Resonanz gefunden hatte.

Ein besonders erfreulicher Ausblick findet sich im "Exkurs" genannten 4. Kapitel. In dem befreit sich Rodrigues Nöhles von der bis dahin eng an der bereits erschienenen Literatur orientierten Gedankenführung. Auf mehr als 20 Seiten versucht sie, einer Bemerkung von André Breton auf den Grund zu gehen, der angesichts von Frida Kahlos Selbstporträt für Trotzki (1938) der Meinung war, Kahlos Kunst sei, wie in den schönsten Tagen der deutschen Romantik, mit allen Gaben der Verführung ausgestattet. Rodriguez Nöhles hebt hervor, dass Kahlo ein der Romantik vergleichbares Verhältnis zwischen Mensch und Natur besitzt, und dass bei beiden die Natur zum Bedeutungsträger wird, dem menschliche Gefühle zugeschrieben werden. Sie sieht insbesondere in Kahlos Stillleben solche menschlichen Eigenschaften ausgedrückt, aber auch in den pflanzlichen Hintergründen der Selbstporträts. Diese Anregung im Exkurs sollte sicherlich zu weiterführenden Untersuchungen Anlass geben, denn das Vergleichbare liegt eventuell ebenso auf der Hand wie die Unterschiede. Vergleichbares findet Rodriguez Nöhles in der Suche nach einer nationalen Identität. Sie stellt sehr überzeugend die Parallelen dar, die sich aus der Identitätsfindung im Anschluss an den Kampf um die Freiheit während der mexikanischen Revolution entwickelte, ebenso wie der Deutsche Freiheitsgedanke des 19. Jahrhunderts sich gleichzeitig mit den Kämpfen der Romantiker entwickelte. Als dritten vergleichbaren Punkt hebt Nöhles das gemeinsame Gefallen am Leid hervor. Die romantische Verklärung der melancholischen Stimmungen ist selten von derselben drastischen Direktheit der brutalen Darstellungen Kahlos, und insbesondere weisen ja diese Szenen nicht das Verführerische auf, von dem Breton spricht. Aber der Ansatz dieses mit vielen einzelnen Beispielen anschaulich erläuterten Exkurses ist originell und beachtlich.

Ein wenig Kritik sei zum Abschluss erlaubt, zumal sie sich eher auf die technische Seite des Buches bezieht: Es ist schade, dass beim Korrekturlesen des umfangreichen Literaturverzeichnis nicht sehr sorgfältig vorgegangen wurde und zahlreiche Ausstellungskataloge sicherlich versehentlich auf München als Ausstellungsort verweisen, obwohl dort doch nie eine Kahlo Ausstellung stattfand. Aber dies ist auch schon fast der einzige gravierende Fehler der Arbeit von Rodrigues Nöhles.

Das Buch ist handlich und verfügt über zahlreiche Farbabbildungen, deren Qualität allerdings zu wünschen übrig lässt. Die Abbildungen sind bei Weitem nicht so präzise wie die Gedankenführung und bilden nicht die stärkste Seite des Buches, das dennoch uneingeschränkt zur Lektüre empfohlen werden kann.


Helga Prignitz-Poda

zurück zu KUNSTFORM 16 (2015), Nr. 12

Empfohlene Zitierweise:

Helga Prignitz-Poda: Rezension von: Laura Rodrigues Nöhles: Frida Kahlo in Deutschland. Eine Rezeptionsgeschichte, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2015
in: KUNSTFORM 16 (2015), Nr. 12,

Rezension von:

Helga Prignitz-Poda
Berlin

Redaktionelle Betreuung:

Olaf Peters