Rezension

Jutta Götzmann: (Hg.) Friedrich und Potsdam. Die Erfindung (s)einer Stadt, München: Hirmer 2012, 212 S., ISBN 978-3-7774-5541-9, 29.90 EUR
Buchcover von Friedrich und Potsdam
rezensiert von Karen Lambrecht, St. Gallen

Wie baut man eine Residenz? Diese Frage beschäftigte fast jeden absolutistischen Herrscher der frühen Neuzeit. Als sich Friedrich II., König von Preußen, nach seinem Regierungsantritt 1740 schließlich endgültig entschied, aus diesem "elenden Nest", wie er die Stadt seines Vaters nannte, seine Residenz zu schaffen, begann er in Potsdam zunächst mit der Gestaltung des städtischen Marktplatzes. Die Sommerresidenz Sanssouci war nachrangig. Friedrichs umgestalteter Alter Markt gilt nach einigen Sanierungen heute wieder als einer der schönsten europäischen Barockplätze. Der auch architekturtheoretisch gebildete König zeichnete hierfür selbst Fassaden-Entwürfe, die bei allem Dilettantismus recht genau umgesetzt wurden. Jutta Götzmann, Leiterin des an diesem Platz angesiedelten Potsdam-Museums (Forum für Kunst und Geschichte) und Herausgeberin des zu besprechenden Ausstellungskataloges, arbeitet in ihrem Beitrag zur "Veduta ideata" (22-30) die italienischen Vorbilder Friedrichs II. heraus. Nicht nur die Platzanlage des Alten Marktes, sondern insgesamt 600 Bürgerhäuser in Potsdam ließ Friedrich prachtvoll ausbauen. 1753 dankte die Stadt: Vertreter des Magistrats der Stadt Potsdam huldigten ihrem König Friedrich II., der beschlossen hatte, Potsdam zu einer der schönsten europäischen Residenzstädte auszubauen.

Das 300. Geburtsjahr Friedrichs II., in dem kaum ein Aspekt seines Lebens unberücksichtigt blieb, feierte die von ihm wesentlich geprägte Stadt Potsdam mit einer Ausstellung im Alten Rathaus. Der dazugehörende Begleitband gliedert sich hälftig in einen Essayteil und einen Katalogteil, der 192 Exponate vom 18. Jahrhundert bis in die Moderne vorstellt. Schwerpunkt der Ausstellung ist das in vier Räumen präsentierte "Königliche Bauen in Potsdam". Der ansprechend gestaltete und mit Bildern hoher Qualität ausgestattete Band ist mit einem Ausstellungsgrundriss, den üblichen Verzeichnissen und einem recht ausführlichen Personenregister versehen. Er bietet eine gelungene, viele Bereiche abdeckende und gut visualisierte Darstellung des Themas, an dem es nichts zu bemängeln gibt, von Kleinigkeiten wie etwa dem klassischen Fehler einer Vierteljahresschrift - statt Vierteljahrschrift - für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (191) abgesehen. Die erhofften "zahlreichen neuen Forschungsimpulse" (11) wird er jedoch trotz quellengesättigter Beiträge nicht setzen. Dazu fehlt an vielen Stellen die Einordnung in einen europäischen Kontext sowie eine Darstellung von Konflikten zwischen Bürgern und Hof, die in Residenzstädten überall zu finden sind. Friedrich II. wird uns auch hier vor allem als überragender Förderer von Kunst und Kultur geschildert.

Die sorgfältigen Beschreibungen der Exponate sind eng mit den zwölf Essays verzahnt - beide sind überwiegend von Mitarbeitern des Museums verfasst. Die Essays begleiten einerseits den Katalogteil, indem sie sich etwa zu den abgebildeten Luxus- und Gebrauchsgütern äußern. Andererseits vertiefen sie verschiedene Aspekte von Residenzbildung. So wurden Residenzstädte neben der selbstverständlichen repräsentativen Funktion auch mit weiteren Funktionen ausgestattet: die dortige städtische Wirtschaft steht und fällt etwa mit den protektionistischen Maßnahmen des Hofes und des Militärs. Ein besonders von Friedrich II. geförderter Manufakturzweig waren die Luxusgewerbe. Mehrere Beiträge nehmen dieses Thema auf, so Silke Kamp über die Hasplerin Anne Marie Baral und den Seidenanbau (48-53), ein im Grunde unrentabler Bereich, der nur durch staatliche Förderung existierte und deshalb auch schließlich aufgegeben wurde. Eine der erfolgreichsten Manufakturen war hingegen, so der Essay von Susanne Evers (56-59), die Tapetenmanufaktur des Schutzjuden Isaac Levin Joël. Sie ist in das Profil der aufstrebenden Potsdamer Wirtschaft einzuordnen, die maßgeblich gerade von jüdischen Unternehmern bestimmt wurde. Joël zeichnete sich durch einen Sinn für Trends aus und erwarb eine Konzession für Wachstapeten, die immer beliebter wurden und zu hohen Preisen aus dem "Gegnerstaat" Sachsen importiert werden mussten. Seine Manufaktur arbeitete mit 50 Mädchen aus dem Militärwaisenhaus, deren Unterhalt er bestritt.

Sozialgeschichtliche Aspekte von Fürsorge zwischen Kinderarbeit und Caritas behandelt der Beitrag von Ralf Pröve zum "Großen Militärwaisenhaus" (30-35). Das Gebäude stelle "eine in Stein gemeißelte Fürsorge dar, ebenso wie den Machtanspruch des Königs und dessen steinerne Legitimation einer guten und gerechten Herrschaft." (30) Nützlichkeitsaspekte konkurrierten nicht nur hier mit dem Idealismus des pädagogischen Jahrhunderts. Immerhin wurde die Arbeitszeit der Mädchen von 53 Stunden in der Woche (1749) im Jahr 1780 auf 33,5 gesenkt.

Der preußische König prägte jedoch nicht nur als Bauherr seine Residenz- und Garnisonsstadt. Er wurde auch - wie der Katalog etwas pathetisch formuliert - zur "Schicksalsfigur für Potsdam" (162). Zwei Abschnitte widmen sich "Potsdam nach und in der Erinnerung an Friedrich" sowie "Friedrich und Potsdam in der Kunst der Moderne". Der Mythos Friedrich in der Gedächtnis- und Erinnerungskultur, die künstlerische Rezeption bis zu den Graphiken von Bernhard Heisig sowie Friedrich als Werbeträger des Stadt- und Tourismusmarketings - das sind Aspekte, die Ausstellung und Katalog bis in die Gegenwart abrunden und die deutlich machen, wie präsent der große preußische König noch heute in seiner Residenz ist.


Karen Lambrecht

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Empfohlene Zitierweise:

Karen Lambrecht: Rezension von: Jutta Götzmann: (Hg.) Friedrich und Potsdam. Die Erfindung (s)einer Stadt, München: Hirmer 2012
in: KUNSTFORM 14 (2013), Nr. 4,

Rezension von:

Karen Lambrecht
St. Gallen

Redaktionelle Betreuung:

Sebastian Becker / Matthias Schnettger