Rezension

Yvonne Northemann: Zwischen Vergessen und Erinnern. Die Nürnberger Klöster im medialen Geflecht, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2011, 376 S., ISBN 978-3-86568-417-2, 54.00 EUR
Buchcover von Zwischen Vergessen und Erinnern
rezensiert von Gerhard Weilandt, Caspar-David-Friedrich-Institut, Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald

Die Sakraltopografie der Nürnberger Altstadt wird heute von den beiden Pfarrkirchen St. Sebald und St. Lorenz mit ihrer vergleichsweise hervorragend erhaltenen mittelalterlichen Ausstattung dominiert. Doch entspricht dies keinesfalls den ursprünglichen Verhältnissen. In Nürnberg gab es im Mittelalter insgesamt acht Klöster, hinzu kam eine Deutschordenskommende. Das mittelalterliche Benediktinerkloster St. Egidien brannte bereits 1696 ab und wurde - abgesehen von einigen Kapellen - barock erneuert. Einen radikalen Einschnitt stellten vor allem die Säkularisation und ihre Folgen im 19. Jahrhundert dar. Damals wurden die Kirchen der Augustinereremiten, der Karmeliter und der Dominikaner, später auch der Barfüßer ganz oder zu überwiegenden Teilen zerstört. Erhalten sind die Kartäuserkirche (heute Germanisches Nationalmuseum), die stark veränderte Deutschordenskirche St. Jakob und die Klarenkirche. Die Dominikanerinnenkirche St. Katharina wurde nach Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg bis auf die Umfassungsmauern abgetragen und dient heute der Freiluftunterhaltung. Um die Erhaltung der Klostergebäude steht es noch weit schlechter, so dass die Klöster in der öffentlichen Wahrnehmung der Nürnberger Kunst des Mittelalters eine ungerechtfertigt untergeordnete Rolle spielen. Das spiegelt auch die Forschungslage wider. Ist die mittelalterliche Ausstattung der Pfarrkirchen gut bis sehr gut erforscht [1], so stammen die bislang grundlegenden Arbeiten über die weithin zerstreute künstlerische Ausstattung der Klöster zumeist noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Deshalb füllt die vorliegende überarbeitete Bonner Dissertation von 2007 eine empfindliche Lücke.

Yvonne Northemann hat sich die Herkulesaufgabe gestellt, alle Nürnberger Klöster zu erforschen und nebenbei auch noch Exkurse zum Hl. Geist-Spital beigesteuert. Sie gliedert ihre Darstellung nicht nach Institutionen oder künstlerischen Medien, sondern grob chronologisch, wobei der Aspekt der in den Ausstattungen zum Ausdruck kommenden Memorialkultur die zentrale Rolle spielt. Im ersten Kapitel geht es um die Rekonstruktion der frühesten Memorialorte und Stiftergedächtnisse des 13. und frühen 14. Jahrhunderts, vornehmlich der Klostergründer aus dem Kreis der kaiserlichen oder burggräflichen Beamten sowie der Adligen der näheren Umgebung Nürnbergs. Auch die Burggrafen und ihre Frauen engagierten sich, insbesondere im Franziskanerkloster, der bedeutendsten klösterlichen Niederlassung des 13. Jahrhunderts. Die ältesten skulptierten Grabsteine - wahrscheinlich der adligen Stifter aus den Geschlechtern der Geusmid und Kammerstein - stammen aus der Dominikanerkirche (um 1300, Abb. 13/14), doch kannte man schon im späten Mittelalter nicht mehr ihre Namen, was auf eine wenig intensive Gründerverehrung schließen lässt. Ähnliches beobachtet Northemann auch in den anderen Klöstern und erklärt dieses Phänomen mit dem Rückzug der Gründergeschlechter aus der Stadt seit dem 14. Jahrhundert oder ihrem Aussterben im Mannesstamm. Mit ihnen erlischt in Nürnberg auch weitgehend die Tradition der Figurengrabmäler, von Ausnahmen wie der Grabanlage des Herdegen Valzner in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts im Hl. Geist-Spital abgesehen. Dessen Privatkapelle mitsamt ihrer Ausstattung - darunter eine der frühesten monumentalen plastischen Grablegungsgruppen in Deutschland - beschreibt Northemann in einem Exkurs ausführlich (100-106), wobei sie das 2010 wieder aufgetauchte Retabel noch nicht berücksichtigen konnte. [2] Die Entwicklung der Memorialdenkmäler seit der Mitte des 14. Jahrhunderts verfolgt sie im zweiten Kapitel: In der Stadt sesshaft gewordene ehemalige Reichsministerialen lösten die adligen Geschlechter als Stifter weitgehend ab. Sie kamen durch Handel zu Geld und ahmten mit ihren Reliquiensammlungen die Stiftertätigkeit Kaiser Karls IV., des Stadtherrn, in der von ihm gestifteten Frauenkirche nach. [3] Seit der Niederschlagung des Handwerkeraufstandes von 1348/49 etablierte sich eine oligarchische patrizische Herrschaft, welche die Neubildung von Zünften und Bruderschaften rigoros unterdrückte. Damit blieb die Stiftung von Kapellen auf die patrizischen Geschlechter beschränkt. Ihre vereinzelt gestifteten Privatoratorien lagen meist im Kreuzgangbereich der Klöster. Andere Stifterfamilien konzentrierten ihre Stiftungsaktivitäten in einzelnen Jochen etwa der Bettelordenskirchen, die - bedingt durch ihren Bautypus - kaum Gelegenheit für abgeschlossene Privatkapellen boten.

Im dritten Kapitel untersucht Northemann die Binnendifferenzierung städtischer sozialer Gruppen, wobei sich deutliche Unterschiede bei den Stiftungsaktivitäten zeigen: Die in der Pfarrkirche St. Sebald exklusiv vertretenen Patriziergeschlechter benutzten Totenschilde für die Männer und Bildepitaphien für die Frauen, wobei die Betonung der agnatischen Deszendenz auffällt. In den Klöstern war das zum Teil anders. Hier engagierten sich auch die durchaus vermögenden, aber nicht ratsfähigen Familien. Zwar waren die hierarchisch hochstehenden Orte innerhalb der Klöster (Chor der Kirche und Klausur) gleichfalls den Patrizierfamilien vorbehalten, die Stiftungen der anderen gesellschaftlichen Gruppen konzentrierten sich meist im rangniederen Kirchenschiff. Mitunter schlossen sich mehrere Familien aus den nicht ratsfähigen Geschlechtern zusammen, denen das Aufhängen von Totenschilden grundsätzlich verwehrt war. Sie stifteten Bildepitaphien, manchmal auch für männliche Familienmitglieder. Dabei waren die im Laufe des 15. Jahrhunderts reformierten Klöster (allen voran die beiden Konvente des Dominikanerordens) attraktive und damit bevorzugte Stiftungsziele, während die Deutschordenskommende dem Einfluss des Stadtregiments entzogen war und dementsprechend von den Stadtbürgern eher gemieden wurde. Als neue, genuin bürgerliche Form konstatiert Northemann monumentale Familiendenkmäler wie das Landauer-Epitaph des Adam Kraft (heute in der Tetzelkapelle des Egidienklosters), die den Angehörigen mehrerer Generationen gewidmet und zum Teil plastisch ausgeführt waren. Die von Northemann angenommenen Bruderschaften (157, 208) lassen sich allerdings ebenso wenig nachweisen wie deren vermutete Stiftungen. Die in Nürnberg ausschlaggebenden sozialen Einheiten waren die Familien bzw. die Familienverbände, die auch durch Geschäftsinteressen zusammengeschlossen waren und sich durch ihre Familientradition legitimierten. Abschließend konstatiert Northemann eine um 1430/40 einsetzende Rückbesinnung auf die Zeit der Klostergründungen, gefolgt von einer zunehmenden historiografischen Aktivität der Nürnberger Konvente, die sich auch in Wand- und Glasmalereizyklen äußert. Dass seit dieser Zeit die Orden bzw. die Ordensangehörigen als Stifter der Hochaltäre auftreten (124), ist allerdings wenig aussagekräftig, da kaum frühere Retabel erhalten sind und das herausragende Hochaltarretabel des 14. Jahrhunderts, das der Jakobskirche des Deutschen Ordens, gleichfalls von Ordensmitgliedern gestiftet wurde, wie ihre Stifterdarstellungen zeigen.

Das wesentliche Verdienst Northemanns ist die Erschließung von unbekannten Schriftquellen zu längst zerstörten Stiftungszusammenhängen und weit verstreuten Ausstattungsstücken. Wer die Nürnberger Archive kennt, der weiß, dass das Problem kaum der Mangel an einschlägigen Quellen ist, sondern eher deren Übermaß, das es zu systematisieren gilt. Yvonne Northemann hat eine Arbeit vorlegt, die beeindruckt durch ihre intensive Verarbeitung der Archivalien, die in vorbildlicher Weise nachgewiesen werden. Leider verzichtet sie auf einen Katalog der Altäre und Memorialdenkmäler mit einer übersichtlichen Zusammenfassung der Überlieferung (im Anhang werden die Denkmäler nur in schematischer und sehr knapper Form zusammengefasst). Das führt dazu, dass viele, zum Teil recht lange Quellenzitate in den Text einfließen müssen. Sie füllen mit ihren formelhaften Sterbeinschriften und ins Detail gehenden Ortsangaben etwa der Stuhlbücher häufig halbe Seiten. Das erschwert die Lektüre nicht unwesentlich, und mitunter geraten die übergeordneten Kontexte ein wenig außer Sicht, so dass man über die Zusammenfassungen am Ende jeden Kapitels dankbar ist.

Die Altarstellen bildeten die Nuclei der Stiftungsaktivitäten innerhalb der Kirchen, weshalb auf sie an dieser Stelle näher eingegangen werden soll. Ihre präzise Ermittlung stellt eine der wichtigsten kritischen Aufgabe für die Einordnung der Stifterintentionen dar, denn die Altäre bestimmten den Rang des Ortes und das Bildprogramm der umliegenden Wand-, Tafel- und Glasmalereien, bildeten die Zentren der Verehrungszonen. [4] So trifft es nicht zu, wenn Northemann behauptet, dass der Heinrich-Kunigunden-Altar der Dominikanerkirche nach den im Fenster darüber angebrachten Darstellungen dieser Heiligen benannt wurde (121), vielmehr ist umgekehrt das schon im 14. Jahrhundert bezeugte Heinrich- und Kunigundenpatrozinium [5] der Grund für die Berücksichtigung des heiligen Kaiserpaars im Fenster. Leider sind die originalen Altarstellen in manchen Fällen kaum zu ermitteln, was Northemann im Fall des Augustinerklosters berücksichtigt, beim Dominikanerkloster, das wohl ebenso wie das Augustinerkloster als Depot für nach der Einführung der Reformation andernorts abgebrochene Retabel diente, jedoch nicht. Das führt zu einigen Missverständnissen. So lag der Katharinenaltar der Dominikanerkirche nicht auf der Süd- (27), sondern auf der Nordseite der Kirche. [6] Der Kreuzaltar kann nicht genau verortet werden, und ob Nothelfer- und Jungfrauenaltar tatsächlich unter dem Lettner standen, ist zumindest fraglich. Bei dem Jungfrauenaltar handelt es sich nicht um den Marienaltar der Kirche (154), auch wenn im Zentrum seines Retabels eine Marienstatue stand. Deshalb sind die im Grundriss der Dominikanerkirche (220) eingetragenen Altarstellen nicht als verbindlich zu betrachten. Kleinere Versehen gibt es auch andernorts. Der Altar des Konrad von Egloffstein in der Jakobskirche stand nicht unter dem Lettner, wie Northemann meint (188), und war auch kein Marienaltar (98), sondern ein Martinsaltar, dessen Retabel noch 1825 in der Egloffstein-Kapelle beschrieben wird [7] und dessen Retabelflügel mit Martinsszenen und den Heiligen Helena und Christophorus erhalten sind. Das heute in der Kirche befindliche Marienretabel stammt nicht aus St. Jakob (99), sondern wurde erst im 19. Jahrhundert dorthin überführt. [8] Der Elisabethaltar des Hl. Geist-Spitals wurde nicht erst 1364 geweiht (52), sondern bereits bei der Gründung des Spitals 1339 gestiftet. [9] Die zahlreichen hoch verehrten Darstellungen der Muttergottes gehörten nicht in den Kontext von "Marienaltäre[n] mit Gnadenbildern" (73), sondern waren unabhängig von Altären - so das Vesperbild und die Madonna der Waldstromer in der Frauenkirche und die mit einem eigenem Ablassprivileg versehene Marienfigur in der Barfüßerkirche -, was für ihre kultische Verehrung nicht unwichtig ist. Die Erwähnung von Reliquien in einer Marienfigur der Dominikanerinnenkirche beweist keinesfalls, dass sie auf einem Altar stand (74), waren doch Reliquienrepositorien in Skulpturen keine Seltenheit. Auch bei der Identifizierung der Stifter auf den Epitaphien kommen mitunter kleinere Irrtümer vor, was jedoch angesichts der schieren Masse des verarbeiteten Quellenmaterials nicht allzu schwer ins Gewicht fällt. Insgesamt hat Yvonne Northemann der Forschung mit ihrer ungewöhnlich materialreichen Arbeit einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung der Memorialkultur nicht nur Nürnbergs, sondern weit darüber hinaus geleistet.


Anmerkungen:

[1] Corine Schleif: Donatio et Memoria. Stifter, Stiftungen und Motivationen an Beispielen aus der Lorenzkirche in Nürnberg (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 58), München 1990; Gerhard Weilandt: Die Sebalduskirche in Nürnberg. Bild und Gesellschaft im Zeitalter der Gotik und Renaissance (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte; Bd. 47), Petersberg 2007.

[2] Ulrike Surmann: Das Retabel vom Zwölf-Boten-Altar im Heilig-Geist-Spital zu Nürnberg (= Kolumba. Werkhefte und Bücher; Bd. 34 ), Köln 2010.

[3] Dazu zuletzt Gerhard Weilandt: Der ersehnte Thronfolger - Die Bildprogramme der Frauenkirche in Nürnberg zwischen Herrschaftspraxis und Reliquienkult im Zeitalter Kaiser Karls IV., in: Kirche als Baustelle. Große Sakralbauten des Mittelalters, hg. v. Katja Schröck / Bruno Klein / Stefan Bürger, Köln / Weimar / Wien 2013, 224-242.

[4] Grundlegend dazu Weilandt 2007 (wie Anm. 1).

[5] Matthias Thiel (Bearb.): Archiv der Freiherren Stromer von Reichenbach auf Burg Grünsberg, Teil I: Urkunden (= Bayerische Archivinventare, Bd. 33), Neustadt/Aisch 1972, Urk. Nr. 79, 1383, Februar 14 erwähnt die Altarpatrone Heinrich, Sigmund, Wenzel und Kunigunde.

[6] StadtAN A 22, Amb. 467.2 (Zins- und Gültbüch 1511), fol. 375r: "altar in der ecken bey dem creutzgang".

[7] J. Chr. Ernst Lösch: Geschichte und Beschreibung der Kirche zu St. Jakob in Nürnberg nach ihrer Erneuerung im Jahr 1824/25, Nürnberg 1825, 42: "Die Eglofsteinische Kapelle... mußte ganz neu aufgeführt werden [...] Der alte Altar in dieser Kapelle zeigte im mittlern Felde drey Heilige von Bildhauerarbeit, und auf den Altarflügeln Gemälde auf Goldgrund, den großen Christoph und die Kaiserin Helene mit dem Kreuz".

[8] Lösch 1825, 46.

[9] StadtAN D 2/II, Nr. 1 (Großes Stiftbuch des Spitals), Mitte 14. Jh., mit einer Abschrift der Stiftungsurkunde des Heilig-Geist-Spitals von 1339, dort fol. 101r: "Den funften alter an dem haubt der vorgenanten cappeln des spitals und auch an dem ende derselben cappeln do die armen sichen ligent, do si messe und andern gotzdinst mugen gehorn und den heiligen leichnam unsers herren gesehen, der ist geweiht in der ere sant Elzpeten".


Gerhard Weilandt

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Gerhard Weilandt: Rezension von: Yvonne Northemann: Zwischen Vergessen und Erinnern. Die Nürnberger Klöster im medialen Geflecht, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2011
in: KUNSTFORM 14 (2013), Nr. 11,

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Gerhard Weilandt
Caspar-David-Friedrich-Institut, Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald

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Ulrich Fürst