Rezension

Bernhard von Breydenbach: Peregrinatio in terram sanctam. Eine Pilgerreise ins heilige Land. Frühneuhochdeutscher Text und Übersetzung. Herausgegeben von Isolde Mozer, Berlin: de Gruyter 2010, ISBN 978-3-11-020951-8, 149.95 EUR
Buchcover von Peregrinatio in terram sanctam
rezensiert von Jan Ulrich Büttner, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bremen

Unter den Reisetexten des späten 15. Jahrhunderts ist der des Mainzer Domherrn Bernhard von Breydenbach einer der bekanntesten. Die "Peregrinatio in terram sanctam" erschien am 11. Februar 1486 zuerst in Latein, am 21. Juni des gleichen Jahres in deutscher Übersetzung in Mainz. Zu einer Kostbarkeit besonderen Ranges macht diesen Wiegendruck die reichhaltige Ausstattung mit den Holzschnitten Erhard Reuwichs, der Breydenbach auf der Reise begleitet hatte und den Text aus der persönlichen Anschauung heraus illustrierte. Spektakulär sind vor allem die beiden großen Panoramen von Venedig und dem Heiligen Land (je 26 x 162 cm, das entspricht der neunfachen Buchbreite). Die Peregrinatio war einer der großen europäischen Erfolge des Buchmarktes. Vor 1500 erschienen neben der lateinischen und deutschen Ausgabe auch Übersetzungen ins Niederländische, Französische und Spanische. Weitere Auflagen folgten. Dabei war Breydenbachs Buch nicht der erste Pilgerbericht über das Heilige Land, der im Druck erschien. 1482 hatte der Nürnberger Patrizier Hans Tucher VI. seine Reisebeschreibung herausgebracht, Breydenbachs Buch war allerdings das erste illustrierte Werk.

In der Forschung ist Breydenbach immer dann ein zentraler Text, wenn es um Fragen nach der Begegnung mit dem Fremden, nach Fremd- und Eigenbildern und nach der Sicht auf den Islam geht. Dabei ist Breydenbachs Text Teil einer ganzen Reihe vergleichbarer Beschreibungen, allen voran der umfangreichsten des Ulmer Dominikaners Felix Fabri. Diesen traf Breydenbach im Heiligen Land, als Fabri dort zum zweiten Mal die Heiligen Stätten besuchte. Bei seiner ersten Reise wurde er durch sein Pauschalangebot so schnell durch das Land geschleust, dass er äußerst unbefriedigt nach Hause zurück gekehrt war. Breydenbach und Fabri unternahmen den zweiten Teil der Reise und die Rückfahrt gemeinsam. Insgesamt ist die Dichte der Reisetexte von Jerusalempilgern so hoch, dass einige Parallelberichte aus den selben Reisegruppen überliefert sind, in zwei Fällen sogar jeweils vier Stück.[1] Allerdings hat Frederike Timm in einer umfangreichen Untersuchung von Text und Bildern jüngst Breydenbachs Buch als Propagandaschrift charakterisiert. Diese sei weniger als Aufruf zum Glaubenskampf gegen den Islam gedacht gewesen, sondern sollte eher innenpolitische Vorstellungen des Autors über die Notwendigkeit einer inneren Einheit des Reiches und über einen umfassenden Reichsfrieden deutlich machen.[2]

Wie dicht die Verzahnung der Pilgerberichte untereinander ist, wie sehr sie von ihren Autoren aber auch als gelehrte Texte verstanden wurden, lässt sich an Breydenbach exemplarisch zeigen. Wer jedoch Reiseeindrücke und Erfahrungsberichte erwartet, muss enttäuscht werden. Nicht das persönliche Erleben stand im Vordergrund der Berichte, sondern die Nutzung als Reisehandbuch und Reiseführer einerseits und die umfassende Belehrung über das, was den Pilger im Heiligen Land erwarten würde, andererseits. Dass das mit den zeitgenössischen Verhältnissen nicht mehr allzu viel zu tun haben musste, weil dazu mit Aristoteles, Eusebius, Thomas von Aquin und Vinzenz von Beauvais (um nur einige wenige zu nennen) überwiegend schon lange verstorbene Autoren herangezogen wurden, tat dem Wert der Informationen keinen Abbruch. "Worin die Wahrheit lag, das hatten die Autoritäten schon längst erfasst." (XXVI) Breydenbach nutze jedoch nicht nur anerkannte Autoritäten, sondern auch Teile aus Hans Tuchers Druck von1482 sowie Beiträge mitreisender Zeitgenossen. Von seinem Begleiter Paul Walter von Guglinen übernahm er unter anderem das arabische Glossar, mit Felix Fabri tauschte er sich auf der Reise über ihre jeweiligen, im Entstehen befindlichen Berichte aus und der Mainzer Theologieprofessor Martin Rath schrieb die Abschnitte über die verschiedenen Nationen in Jerusalem "mit zierlich schmückendem Stift" (XXVI). Auf diese Weise verwoben sich die Texte aus vielen Quellen. Seinerseits wurde Breydenbachs Buch fleißig ausgeschrieben, zum Beispiel von dem Konstanzer Konrad Grünemberg, der nicht nur die zweite Fassung seines Reiseberichts mit vielen Texten anreicherte, sondern auch 16 der Holzschnitte Erhard Reuwichs abgezeichnet hat.[3]

Bisher war dieser vielgenutzte Text nur schwer greifbar, eine (nicht ganz vollständige) Faksimileausgabe erschien erst 2008.[4] Isolde Mozer hat sich nun der Mühe unterzogen, nicht nur einen vollständigen Text der deutschen Fassung Breydenbachs zu erstellen, sondern auch eine neuhochdeutsche Übersetzung anzufertigen. Bei einem gedruckten Text, von dem kein Autograph mehr besteht, scheint die Edition so schwer nicht zu sein, doch falsch! Ein vollständiger Text konnte nur durch die Kollationierung von 42 der 44 in der Bundesrepublik erhaltenen Exemplare der 1. Auflage erstellt werden. Darunter haben überhaupt nur noch 15 Exemplare den vollständigen Text. Viele der Bände sind um die Holzschnitte geplündert worden und haben damit auch Text verloren. Auch zeigte die Autopsie, dass sich die Exemplare der ersten Auflage teils erheblich unterschieden, vor allem was die Illustrationen und die Legenden der Holzschnitte betrifft. Isolde Mozer legt nun also einen Text in idealer Vollständigkeit vor, der dem Original so diplomatisch folgt, dass selbst die damals nicht gedruckten Initialen fehlen (und vom Leser dieser Edition, ganz in der Manier des 15. Jahrhunderts, selbst ausgeziert werden können).

Angesichts der guten Forschungslage zu Breydenbach konnte Isolde Mozer das Vorwort kurz halten. Neben grundlegenden Informationen zu Autor und Reise druckt sie Ausschnitte aus der Reiseinstruktion ab, die Breydenbach für den Grafen von Hanau-Lichtenberg verfasst hatte (mit Übersetzung) und schließt damit eine Lücke. Denn in der Peregrinatio selbst ist von dem Weg nach Venedig nicht die Rede. Ausführlich geht sie auf die Überlieferung und den Zustand der einzelnen Exemplare ein und legt ihre Texterstellung dar. Besonders interessant sind die mitgeteilten Leserreaktionen am Rande einiger der Exemplare, die eine eigene Untersuchung wert wären. So schwer sie zu datieren sind, lassen sich doch deutlich vor- und nachreformatorische Anmerkungen ausmachen.

Zweifelsohne ist diese Ausgabe des Textes sehr verdienstvoll und wird die Arbeit erheblich erleichtern. Eine kritische Edition ist sie allerdings nur bedingt. In den Anmerkungen, die zur Wahrung des foliengetreuen Abdruckes am Ende stehen, werden Bibelstellen und Koransuren nachgewiesen, Daten korrigiert (im Vergleich zu der lateinischen Ausgabe) und einige historische Bemerkungen gemacht. Was fehlt, sind die Stellennachweise der Autoritäten, die Breydenbach umfangreich ausgeschrieben hat. Die Untersuchung von Frederike Timm hat dazu gute Vorarbeit geleistet. Das Textgewebe allerdings komplett auseinanderzunehmen, ist nochmal ein weiterer, gewaltiger Schritt, der so bald nicht geleistet werden dürfte. Isolde Mozer ergänzt den Text um ein Inhaltsverzeichnis und ein sehr kleinteiliges, zuverlässiges Register. Im Anhang findet sich ein Itinerarium, das die Reise Breydenbachs rasch nachvollziehen läßt, und ein Nachweis der Einzelexemplare in bundesdeutschen Bibliotheken einschließlich einer Aufstellung, der in diesen Exemplaren noch vorhandenen großen Holzschnitte. Sämtlichen Illustrationen der Inkunabel sind am Schluß beigegeben.

Einem frühneuhochdeutschen Text eine moderne deutsche Übersetzung zur Seite zu stellen, ist unüblich. An diesem Beispiel zeigt sich aber, wie hilfreich das ist. Der Text bleibt auch in seiner neuhochdeutschen Fassung noch schwierig genug und erweist, was Jacob Burckhardt konstatierte: "die Vergangenheit in ihrer Aeußerung [ist] Anfangs immer fremdartig und ihre Aneignung eine Arbeit".[5] Dass der Text jetzt in einer verlässlichen Ausgabe vorliegt, wodurch die weitere Beschäftigung mit dieser zentralen Quelle wesentlich erleichtert wird, ist sehr zu begrüßen.


Anmerkungen:

[1] Arnold Esch: Gemeinsames Erlebnis - individueller Bericht. Vier Parallelberichte aus einer Reisegruppe von Jerusalempilgern 1480, in: Zeitschrift für historische Forschung 11 (1984), 385-415; Arnold Esch: Vier Schweizer Parallelberichte von einer Jerusalem-Fahrt im Jahre 1519, in: Gesellschaft und Gesellschaften. Festschrift für Ulrich Im Hof, hg. v. Nicolai Bernard, Quirinus Reichen, Bern 1982, 138-184.

[2] Frederike Timm: Der Palästina-Bericht des Bernhard von Breidenbach und die Holzschnitte Erhard Reuwichs. Die Peregrinatio in terram sanctam (1486) als Propagandabericht im Mantel der gelehrten Pilgerschrift, Stuttgart 2006.

[3] Der Text dieser 2. Fassung liegt in einer neuen Edition vor: Andrea Denke: Konrad Grünembergs Pilgerreise ins Heilige Land 1486. Untersuchung, Edition und Kommentar (= Stuttgarter Historische Forschungen; 11), Köln [u. a.] 2011.

[4] Bernhard von Breydenbach: "Peregrinatio in terram sanctam", erste deutsche Ausgabe von Peter Schöffer, Mainz 1486, hg. v. Andreas Klußmann, Faksimile Saarbrücken 2008.

[5] Jacob Burckhardt: Über das Studium der Geschichte. Der Text der "Weltgeschichtlichen Betrachtungen" [...] nach den Handschriften hg. v. P. Ganz, München 1981, 250.


Jan Ulrich Büttner

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Jan Ulrich Büttner: Rezension von: Bernhard von Breydenbach: Peregrinatio in terram sanctam. Eine Pilgerreise ins heilige Land. Frühneuhochdeutscher Text und Übersetzung. Herausgegeben von Isolde Mozer, Berlin: de Gruyter 2010
in: KUNSTFORM 13 (2012), Nr. 2,

Rezension von:

Jan Ulrich Büttner
Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bremen

Redaktionelle Betreuung:

Martina Giese