Rezension

Kathrin Fahlenbrach: Audiovisuelle Metaphern. Zur Körper- und Affektästhetik in Film und Fernsehen, Marburg: Schüren-Verlag GmbH 2010, 304 S., ISBN 978-3-89472-694-2, 34.00 EUR
Buchcover von Audiovisuelle Metaphern
rezensiert von Ansgar Thiele, Bonn

Seit den Anfängen der Filmtheorie findet eine Auseinandersetzung mit - und um - Metaphorik im Film statt. Sergej Eisensteins Ansatz einer durch Montage realisierten Metaphorik steht die skeptische Beurteilung metaphorischer oder symbolischer Bedeutungen im realistischen Film bei Béla Balász, Rudolf Arnheim und Siegfried Kracauer gegenüber. Terminologische Kritik an der Anwendung des Metaphernbegriffs auf den Film formulierten in den 1960er-Jahren Jean Mitry und im Anschluss an diesen Christian Metz, bevor letzterer 1977 die erste eingehende semiotische Untersuchung zur Metaphorik im Film vorlegte. In den 1990er-Jahren verfassten Trevor Whittock und Jacques Gerstenkorn erstmals monografische Studien zur filmischen Metapher. Allerdings ist auffällig, dass der Akzent derartiger Untersuchungen meist auf einzelnen Epochen (Stummfilme der 1920er-, Autorenkino der 1960er-Jahre) oder Regisseuren (u.a. Chaplin, Eisenstein, Godard, Greenaway) liegt. Der Eindruck drängt sich auf, dass diese Bevorzugung damit zusammenhängt, dass hier noch am ehesten Beispiele einer Metaphorik zu finden sind, die in Analogie zu sprachlicher Metaphorik interpretiert werden kann. Während die Allgegenwart von Metaphern in der Sprache längst unbestritten ist, wurde eine ähnliche Relevanz der Metaphorik in audiovisuellen Medien bislang nicht schlüssig belegt. Es scheint, als ob die Theorie audiovisueller Metaphorik durch eine immer noch zu starke Orientierung an sprachlicher Metaphorik und die die meisten Arbeiten kennzeichnende Ausblendung des komplexen Wechselspiels von Sprache, Ton und Bild im Film in eine Sackgasse geraten wäre.

Die kognitive Metapherntheorie von George Lakoff, Mark Johnson und im Anschluss an diese u.a. Zóltan Kövecses könnte hier einen Ausweg bieten, insofern sie nicht länger die Einzelmetapher im Text in den Mittelpunkt stellt, sondern von der Existenz umfassender metaphorischer Konzepte ausgeht, die Sprache und Denken prägen und als deren Realisierung der einzelne metaphorische Ausdruck verstanden werden kann. So lassen sich metaphorische Ausdrücke wie "der Aufbruch ins Leben" oder "am Scheideweg stehen" als Realisierungen des umfassenden, das Denken prägenden metaphorischen Konzepts "Life is a journey" begreifen.

Kathrin Fahlenbrach setzt diesen Ansatz in ihrer Habilitationsschrift Audiovisuelle Metaphern. Zur Körper- und Affektästhetik in Film und Fernsehen erstmals konsequent und umfassend für die Medienwissenschaften um. Insofern sie die körperliche Verankerung und emotionale Wirkung kognitiver metaphorischer Konzepte betont, geht sie zudem über eine Anwendung kognitiver Metapherntheorie auf den Film hinaus, öffnet sie hin zu einer allgemeineren Betrachtung körperbasierter Strukturen in Film und Fernsehen und leistet so auch einen Beitrag zu diesem neueren Feld der Medientheorie. Die Arbeit umfasst drei Teile. Nach einem Forschungsüberblick (13-46) werden zunächst wahrnehmungstheoretische Grundlagen audiovisueller Metaphern vorgestellt (47-89), dann Bausteine einer Theorie audiovisueller Metaphern erarbeitet (91-237) und schließlich die Besonderheiten audiovisueller Metaphern im Fernsehen in den Blick genommen (239-280).

Im ersten Teil der Untersuchung unterstreicht Fahlenbrach, dass konzeptuelle Metaphern keineswegs nur im Bereich der kognitiven, sondern auch der perzeptiven und emotionalen Semantik eine Rolle spielen, und hebt die netzwerkartige Verbindung dieser drei Bereiche hervor (49-69). Metaphorische Übertragung versteht sie als einen intermediären Prozess, der die Vereinheitlichung von Wahrnehmung, Denken, Erleben und Fühlen, die Integration, Koordination und Strukturierung von Wissen, Bedeutungen, Handeln und Verhalten ermöglicht (69f.). Im Folgenden entwirft die Autorin im Anschluss an Lakoff, Johnson und Kövecses eine Typologie konzeptueller Metaphern. Dabei unterscheidet sie zwischen kognitiven und emotionalen Metaphern, die sie dann jeweils in vier Basistypen der strukturellen Metaphern, ontologischen Metaphern, Orientierungsmetaphern und Vorstellungsmetaphern differenziert.

Im zweiten Teil untersucht Kathrin Fahlenbrach nacheinander die kognitive, perzeptive und emotionale Semantik audiovisueller Metaphern. Sie definiert audiovisuelle Metaphern dabei als "intentional gestaltete symbolische Formen, welche vor dem Hintergrund gattungs- und genrespezifischer Wirkungsstrategien auf konzeptuelle Metaphern des Wahrnehmens, Denkens und Fühlens zurückgreifen und ihnen eine körper- und affektbasierte Gestalt geben" (93). Damit weist sie sie der Ebene der konkreten Realisierungen übergreifender metaphorischer Konzepte zu. Zur Kennzeichnung des semantischen und narrativen Stellenwerts einer audiovisuellen Metapher in einem konkreten medialen Text führt sie die Differenz zwischen Leit- und Submetapher ein (95f.). Im Mittelpunkt dieses Teils stehen Körper und Räume als für Film und Fernsehen zentrale Zielbereiche. Die Autorin entwirft nicht nur, im Anschluss an Forschungen u.a. von Hans Wulff (zum Filmraum), Michel Chion (zur Verschmelzung - Synchrese - akustischer und visueller Wahrnehmung), Greg M. Smith (zu emotionalen Wirkungsstrategien) und Carl Plantinga (zur Empathie), ein recht umfassendes Panorama audiovisueller Raum- und Körpermetaphern. Sie illustriert ihre Ausführungen auch mit exemplarischen Filmanalysen (u.a. von Blade Runner, Alien und The Shining).

Im dritten Teil der Untersuchung weist Fahlenbrach schließlich nach, dass Metaphern außer im Kino auch in Werbung und Fernsehberichterstattung eine wichtige Rolle spielen. Dabei skizziert sie Besonderheiten u.a. hinsichtlich der Typen eingesetzter Metaphern und der (besonders in der TV-Berichterstattung häufig aufgebrochenen) Verknüpfung der visuellen und akustischen Dimension.

Die Studie Fahlenbrachs kann insgesamt überzeugend nachweisen, dass metaphorischen Konzepten auch in audiovisuellen Medien - und keineswegs nur in den Werken einzelner Filmregisseure - gerade hinsichtlich affektiver Wirkungen grundlegende Bedeutung zukommt. Sie erschließt die Arbeiten der kognitiven Metapherntheorie konsequent für die Theorie audiovisueller Metaphorik, deren Hemmnisse sie so zu überwinden hilft, und erarbeitet in umfassender, systematischer Weise Kategorien für die Analyse der metaphorischen Strukturen audiovisueller Texte. Dieser umfassende Anspruch allerdings erschwert die Lektüre nicht unerheblich. Zwar geht es der Autorin in erster Linie um die Erarbeitung einer Theorie audiovisueller Metaphern und körperlich-affektiver Filmwirkungen. Der Umstand aber, dass insgesamt nur gut 70 von über 270 Seiten der Untersuchung überhaupt einen Bezug auf einen konkreten Film oder TV-Beitrag - und sei es die bloße Nennung seines Titels - aufweisen, sagt viel aus über ihren doch recht abstrakten, stark deduktiven Zugriff. So werden denn auch Bedeutung und Funktion bestimmter Metapherntypen in Filmen meist eher mit allgemeinen, stereotypen Formulierungen behauptet als wirklich belegt. Die Beispielanalysen zeigen überdies, dass ein grundlegendes Problem gerade der Analyse audiovisueller Metaphorik, die Differenzierung zwischen metaphorischen und nichtmetaphorischen Bedeutungen, noch weiterer Reflexion bedarf (eines von mehreren Beispielen meines Erachtens problematischer metaphorischer Interpretation: "außerirdische Systeme sind intelligente Organismen" als genretypische Systemmetapher des Science-Fiction-Films, 181). Trotz derartiger Schwächen kann Kathrin Fahlenbrachs Untersuchung reichhaltige Anknüpfungsmöglichkeiten für die weitere Forschung bieten.


Ansgar Thiele

zurück zu KUNSTFORM 12 (2011), Nr. 7

Empfohlene Zitierweise:

Ansgar Thiele: Rezension von: Kathrin Fahlenbrach: Audiovisuelle Metaphern. Zur Körper- und Affektästhetik in Film und Fernsehen, Marburg: Schüren-Verlag GmbH 2010
in: KUNSTFORM 12 (2011), Nr. 7,

Rezension von:

Ansgar Thiele
Bonn

Redaktionelle Betreuung:

Henning Engelke