Rezension

Kamil Doronyai: "Should the Artist Become a Man of the World?". Der Künstler als Marke, Stuttgart: merz & solitude 2010, 136 S., ISBN 978-3-937982-28-1, 24.50 EUR
Buchcover von "Should the Artist Become a Man of the World?"
rezensiert von Gerald Schröder, Kunstgeschichtliches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Ungewöhnlich ist das äußere Erscheinungsbild dieser schmalen Publikation mit ihren fünfundsechzig Seiten Text: Das Cover zeigt dem Leser die blanke Schulter, eine weiße leere Seite. Titel und Name des Autors findet man auf dem Buchrücken und der Rückseite des Einbandes. Überraschend ist auch das unterschiedliche Format der Seiten. Dem Textteil sind nämlich über vierzig Abbildungen von Schwarzweißfotografien beigefügt, die in ihrer Größe ein gutes Stück über das Format der Textseiten und des Covers hinausragen. Die ungewöhnliche Gestaltung gehört zum Programm dieser Reihe, die in Kooperation mit der Akademie Schloss Solitude von der Merz Akademie, Hochschule für Gestaltung in Stuttgart herausgegeben wird. Denn jede Publikation der seit 2004 erscheinenden "Reihe Projektiv" ist individuell gestaltet und somit Ausdruck der an der Hochschule vermittelten Kompetenzen. Wie aus dem Impressum hervorgeht, wird die "Reihe Projektiv" zusammen mit den beiden anderen Reihen "Reflexiv" und "Literatur" als "Publikationsplattform" verstanden, "welche den einzelnen Künsten sowie dem Dialog zwischen Theorie, künstlerischer und gestalterischer Praxis gewidmet ist".

Um einen solchen Dialog handelt es sich bei dieser Publikation, deren Titel ein Zitat von Allan Kaprow aus dem Jahr 1964 aufgreift: "Should the Artist Become a Man of the World?" Im Untertitel nimmt Kamil Doronyai das Fazit seines Essays bereits vorweg und beantwortet die von Kaprow aufgeworfene Frage, die wiederum auf einen Gründungstext der ästhetischen Moderne von Charles Baudelaire "Der Maler des modernen Lebens" (1863) anspielt. So ist der zeitgenössische Künstler Doronyai zufolge heute durchaus am Puls der Zeit und "ein Mann von Welt" geworden. Doch dies in einem ganz anderen Sinn als die frühe Avantgarde und die Neo-Avantgarde der 1960er-Jahre gemeint haben. Heutzutage werde Kunst nicht mehr wie bei früheren Strategien der Avantgarde ins Leben entgrenzt, um die Welt im Hinblick auf mehr oder weniger konkrete Utopien verändern zu wollen. Die Mechanismen des Marktes in einer vom Neoliberalismus geprägten Gesellschaft werden von vielen zeitgenössischen Künstlern nicht mehr subversiv unterlaufen, sondern rein affirmativ zu ihrem eigenen Vorteil genutzt. Kurzum, die Marke sei heute zum Inbegriff des Künstlers geworden.

Wie Damien Hirst, Olafur Eliasson und vor allem Jeff Koons seiner Meinung nach belegen, fungiert der heute erfolgreiche "Künstler als Marke" und agiert als Manager eines international operierenden Unternehmens mit einem großen Stab von Mitarbeitern. Dabei sei der Marktwert der künstlerischen Marke eng verbunden mit dem Star-Image, das die genannten zeitgenössischen Künstler besitzen. Anders als bei einer rein wissenschaftlichen Publikation zeigt der vom Text gestalterisch abgesetzte Bildteil keine Arbeiten der im Essay erwähnten Künstler, die als Beleg oder Illustration der Argumente und der vertretenen These dienen könnten. Stattdessen rufen die Schwarzweißabbildungen, die zum großen Teil auf Fernsehbildern zu beruhen scheinen, eher assoziativ und ohne weiteren Kommentar bestimmte Momente und Aspekte der Lebenswelt von Managern auf, die eben - dem vorangestellten Essay zufolge - zunehmend auch für zeitgenössische Künstler verbindlich geworden sei.

Ist die vom Verlag angestrebte Verbindung von Theorie sowie künstlerischer und gestalterischer Praxis also in dieser Publikation durchaus gegeben, so stellt sich doch die Frage nach der Qualität des theoretischen Teils. Und diese ist leider nicht sehr hoch. Denn selbst wenn man die Textform wohlwollend eher als Essay charakterisiert und somit keine besonders hohen wissenschaftlichen Standards anlegen möchte, schlägt negativ zu Buche, dass die gesamte Argumentation zu großen Teilen aus einer Kompilation anderer Texte besteht und selbst im Fazit keineswegs originell ist. So bedient sich der Autor vor allem aus zwei Texten. Dabei handelt es sich zum einen um den Aufsatz von Wolfgang Ullrich "Kunst als Arbeit?" aus dem Jahr 2003 und zum anderen um das Buch von Verena Krieger "Was ist ein Künstler? Genie - Heilsbringer - Antikünstler" von 2007. Beide Texte werden durchaus in den Fußnoten genannt und sind in der Bibliografie verzeichnet. Allerdings lassen die kursorischen Nennungen der Referenztexte in den Fußnoten nicht erkennen, wie eng sich der Autor mit seinen sprachlichen Formulierungen, seinen Beispielen und seiner Argumentation darauf stützt. Dies wird im direkten Vergleich der Texte deutlich.

Im ersten Kapitel seines Essays skizziert Kamil Doronyai die Genealogie des zeitgenössischen Künstlers, indem er zu Recht auf den Geniebegriff des späten 18. und 19. Jahrhunderts verweist, den die Künstler seit den Avantgardebewegungen im frühen 20. Jahrhundert auf vielfältige Art und Weise kritisch hinterfragt haben. Abgesehen davon, dass Verena Krieger diesen Aspekt in ihrem Buch viel genauer und differenzierter untersucht, übernimmt Doronyai unter dem Titel "Malmaschinen" ein ganzes Unterkapitel aus dem Werk der Kunsthistorikerin. Dabei übernimmt er nicht nur ihre Beispiele und Formulierungen, sondern auch ihre Interpretation, wie ein Textvergleich verdeutlicht, der hier beispielhaft für viele andere Stellen stehen soll. Zunächst das Zitat von Doronyai, der im Hinblick auf eine Arbeit von Rosemarie Trockel schreibt: "Interessant ist, dass die Pinsel aus Haarlocken berühmter zeitgenössischer Künstler (u.a. Georg Baselitz, Sigmar Polke, Barbara Kruger) gefertigt waren. Deren Namen sind denn auch jeweils bei den einzelnen Linien aufgeführt, sodass beim Betrachter ein kausaler Zusammenhang zwischen Pinselstrich und Künstlername, ein letzter Anklang an eine Autorschaft, evoziert wird. Es handelt sich um einen hoch ironischen Kommentar zu der bis heute so weit verbreiteten Idee, dass in jedes Kunstwerk die Persönlichkeit des Künstlers eingehe [...]." (24)

Die entsprechende Stelle bei Verena Krieger lautet: "Die eigentliche Pointe besteht darin, dass die Pinsel nach Angabe der Künstlerin aus den Haarlocken berühmter zeitgenössischer Künstler (u.a. Georg Baselitz, Sigmar Polke, Barbara Kruger) gefertigt wurden. Deren Namen sind denn auch jeweils zu den einzelnen Linien aufgeführt, sodass - tatsächlich oder vermeintlich - ein kausaler Zusammenhang zwischen Pinselstrich und Künstlername besteht. Es handelt sich um einen ironischen Kommentar zu der bis heute verbreiteten Idee, dass in jedes Kunstwerk die Persönlichkeit des Künstlers eingegangen sei [...]." [1]

Das gesamte zweite Kapitel von Doronyai mit dem Titel "Kunst ist Arbeit! Die Arbeit in der Kunst" ist eine Zusammenfassung des genannten Aufsatzes von Wolfgang Ullrich. Auch Ullrich geht von Kants Definition des Genies aus, um dann herauszustellen, wie gerade die postulierte Orientierung künstlerischer Produktion an bestimmten Konzepten von Arbeit zur Kritik am traditionellen Geniebegriff herangezogen wurde. Und dies galt nicht nur für künstlerische Positionen im Umfeld russischer Avantgarde, sondern ebenso für das Kunstverständnis der Nationalsozialisten, die damit die Kunst der Moderne als Scharlatanerie diskreditieren wollten. Auch in der Kunst nach dem zweiten Weltkrieg sei die Verbindung von Kunst und Arbeit ein Thema gewesen, wie das Beispiel Victor Vasarely beweise. Genau diese Beispiele strukturieren die Argumentation im Text von Doronyai, der schließlich noch sein im dritten und letzten Kapitel formuliertes Fazit von Ullrich übernimmt. So betont auch Ullrich, dass in der Kunst der 1990er-Jahre Manager zu Leitfiguren des Künstlers und Markennamen zum Kult werden. Doronyai lehnt sich nicht nur inhaltlich, sondern erneut sprachlich zu sehr an seine Vorlage an. Sein Fazit lautet: "Aber solange nur ein Teil der Künstler die Idee der freien Kunst aufgibt und sich eher als Manager versteht, ist wahrscheinlich, dass auch der überkommene Künstlerbegriff uns erhalten bleibt." (65) Bei Ullrich ist zu lesen: "Solange nur ein Teil der Künstler die Idee einer freien Kunst aufgibt und sich eher als Dienstleister denn als Genie versteht, ist wahrscheinlich, dass der hehre Kunstbegriff der beiden letzten Jahrhunderte insgesamt unbeschadet überlebt." [2]

Mögen Collage und Montage von vorgefundenem Material sowie Appropriation anderer Werke im künstlerischen Bereich gängige und legitime Verfahren sein, so herrschen im wissenschaftlichen Bereich doch andere Regeln. Dies gilt auch für einen Text, der in einer Publikation einer Hochschule für Gestaltung erschienen ist.


Anmerkungen:

[1] Verena Krieger: Was ist ein Künstler? Genie - Heilsbringer - Antikünstler, Köln 2007, 166.

[2] Wolfgang Ullrich: Kunst als Arbeit?, in: Was ist ein Künstler? Das Subjekt der modernen Kunst, hgg. von Martin Hellmold / Sabine Kampmann / Ralph Lindner / Katharina Sykora, München 2003, 176.


Gerald Schröder

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Empfohlene Zitierweise:

Gerald Schröder: Rezension von: Kamil Doronyai: "Should the Artist Become a Man of the World?". Der Künstler als Marke, Stuttgart: merz & solitude 2010
in: KUNSTFORM 12 (2011), Nr. 5,

Rezension von:

Gerald Schröder
Kunstgeschichtliches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Redaktionelle Betreuung:

Stefan Gronert