Rezension

Colin Harrison / Christopher Newall: The Pre-Raphaelites and Italy. , Aldershot: Ashgate 2010, 223 S., ISBN 978-1-84822-075-1, 40.00 GBP
Buchcover von The Pre-Raphaelites and Italy
rezensiert von Beate Kampmann, Berlin

"Italy, The weeping desolate mother, long has claimed Her son's strong arms to lean on [...] And from her need Had grown the fashion of my whole poor life." [1] Diese Passage aus Dante Gabriel Rossettis Gedicht A Last Confession beinhaltet viele Facetten der komplexen Beziehung zwischen Rossetti als Gründungsmitglied der Pre-Raphaelite Brotherhood und seinem eigentlichen Heimatland, entstanden an dessen Schwelle zum Nationalstaat. Die Vorstellungen über Italien, das stets als Sehnsuchtsort der Präraffaeliten fungiert, schwanken zwischen einer fundierten Auseinandersetzung mit dem Frühwerk Dantes und den Darstellungen einer mittelalterlich romantisierten Welt in den literarischen Werken englischer Dichter wie Keats und Browning und veränderten sich im Œuvre der einzelnen Künstler und ihrer Schüler. Langsam transformierten sich die Ideale von der moralischen Didaktik der eigentlichen Pre-Raphaelite Brotherhood in eine vom Erzählmoment befreite Kunst der ästhetischen und sinnlichen Suggestion.

Die Beziehung der einzelnen Präraffaeliten und ihrer Nachfolger zu Italien einerseits, aber auch die daraus entstehende fruchtbare Entwicklung in den Arbeiten der unterschiedlichen Künstler andererseits, offenbaren Colin Harrison und Christopher Newall im begleitenden Katalog zu einer Ausstellung des Ashmolean in Oxford mit teilweise bislang nie ausgestellten Werken präraffaelitischer Kunst. Die dort nicht gezeigten vermeintlichen Schlüsselwerke der einzelnen Künstler vermisst man auch im Katalog nur wenig. Dies ist dem neuen Fokus auf das Italienmotiv geschuldet, durch den andere, bislang weniger beachtete Bilder in das wohl verdiente Rampenlicht rücken. Inhaltlich konzentriert sich die Ausstellung auf Ruskin, Rossetti und Burne-Jones in ihren jeweiligen persönlichen und kunsthistorisch relevanten Verbindungen zu Italien. Der Katalogteil greift in den Auseinandersetzungen zu seinen 143 Nummern viele Gedankenstränge der drei Essays des Aufsatzteils auf. Die bibliografischen Angaben könnten umfangreicher ausfallen, ein Index der besprochenen Werke rundet das Ganze jedoch ab.

Harrison fokussiert in seinem Artikel den Zugang der Pre-Raphaelite Brotherhood als Teil des gesamtgesellschaftlichen Interesses an früher italienischer Kunst des Duecento und Trecento. Dem Autor zufolge ist das präraffaelitische Werk der Anfangsjahre in Malweise und Bildaufbau stilistisch weit von den frühen italienischen Künstlern entfernt. Vielmehr sollte es eher mit flämischer Malerei wie Van Eycks Arnolfini Hochzeit in der National Gallery verglichen werden, zumal die Pre-Raphaelite Brotherhood auf ein lediglich rudimentäres Wissen über italienische Malerei und Kunst vor Raffael zurückgreifen konnte. Auch auf die Rezeption der präraffaelitischen Kunst in Italien wird von Harrison hingewiesen. Hier bildet Giovanni Costa ein wichtiges Bindeglied, da er selbst sowohl Landschaftsmaler italienischer Abstammung mit präraffaelitischer Geisteshaltung als auch Galerist der ersten Ausstellung der Präraffaeliten 1890 auf italienischem Boden ist.

Der Katalog beschäftigt sich an vielen Stellen mit dem Italienbild im Œuvre John Ruskins. Als Fürsprecher der Pre-Raphaelite Brotherhood ermutigte er Mitglieder und Nachfolger dazu, die italienische Kulturlandschaft mittels Zeichnungen zu konservieren, für Studenten seiner Drawing School zugänglich zu machen und sie somit der Nachwelt in ihrem Urzustand zu erhalten. Der Katalog offenbart etliche dieser Aquarelle und Zeichnungen, die in ihrer ausgeprägten Detailtreue wichtige Zeugen präraffaelitischer Kunstauffassung sind und infolgedessen einen eigenständigen Werkkomplex bilden. Das frühe Interesse Ruskins an Fotografie und seine Experimente mit eigener Ausrüstung finden an dieser Stelle nur Erwähnung, eine Bebilderung wäre besonders im direkten Vergleich zu seinen Zeichnungen allerdings aufschlussreich. [2]

Wie McLaughlin in seinem Aufsatz über die italienische Literatur im Werk der Präraffaeliten richtig argumentiert, geht die Zentralität Dantes in der Kultur des 19. Jahrhunderts in England zurück auf Ruskin, der Dante als universales Dichtergenie in seinen Stones of Venice in den Fokus bringt. Dennoch genießt gerade Dante Gabriel Rossetti, der selbst nie in Italien war, hier eine Sonderstellung. Er hat bereits durch seinen Vater - seines Zeichens Exil-Italiener und Dante-Gelehrter - sowie seinen ersten Vornamen eine besondere Begeisterung für den florentinischen Dichter in die Wiege gelegt bekommen und weiß diese in kreative Bahnen zu lenken. Rossetti sieht sich als moderne Verkörperung des Dichters, dessen Textpassagen der Comedia sowie der Vita Nuova er als Vorreiter höchst einfühlsam ins Englische übersetzt. Einzelne Passagen kombiniert er sodann wiederum mit geschickt gewählten dantischen Schlüsselmomenten in Zeichnungen und Aquarellen. Da diese Zitate direkt von Rossetti auf die Leinwände geschrieben wurden, wären Abbildungen erhellend gewesen.

Burne-Jones ist der einzige Nachfolger der Pre-Raphaelite Brotherhood, der die beiden distinguierten Ideale Natur und frühe italienische Kunst achtet. Somit verbindet er in seiner Kunst spielerisch die eigentlichen Antipoden Ruskin und Rossetti. Der Zugang zur italienischen Kunst war für die Nachfolger präraffaelitischer Ideen selbstverständlicher und umfangreicher, sodass Burne-Jones schließlich auch Kontakte zu dem Künstlerkreis der Etruscans mit ihrer charakteristischen Landschaftsmalerei nach den Vorstellungen Giovanni Costas knüpfte.

Maurizio Isabella beleuchtet in seinem höchst informativen Aufsatz die Hintergründe der Italienfaszination im viktorianischen England, dessen Gesellschaft, geprägt von Exil-Italienern, die Kunst und Kultur eines proto-nationalen Italien wertschätzt und das Risorgimento in seiner Verteidigung der Bürger- und Religionsrechte wohlwollend betrachtet. Isabella weist auf eine doppelte Verflechtung von eigenem Nationalstolz der Briten und einer Religionsdebatte um die Ausprägung der Anglikanischen Kirche mit den Idealen des italienischen Freiheitskampf hin und sieht darin vor allem den hohen Stellenwert von Freisinn und Patriotismus in England selbst verdeutlicht.

Der textlich sehr ausführliche, nur leider recht kleinteilig illustrierte Katalog verdeutlicht die Faszination Ruskins, Rossettis, Burne-Jones' und ihrer jeweiligen Nachfolger an Themen italienischen Ursprungs. Die direkten Vorläufer dieses präraffaelitischen Gedankengutes - wie die deutschen Nazarener sowie Ford Madox Brown als Bindeglied zwischen dem Kontinent und Britannien - bleiben im Kontext der Italienverbundenheit größtenteils leider ungenannt und unbebildert.

Der attraktive Aufsatzteil gibt wichtige und teils neue Impulse zur präraffaelitischen Bewegung. Es wird zum einen die komplexe Beziehung der Pre-Raphaelite Brotherhood zu Italien und der italienischen Kulturgeschichte als maßgebliche Inspiration der Künstlergruppe nachgewiesen. Darüber hinaus werden aber auch die vielschichtigen Zusammenhänge zwischen England und Italien im Verlauf des 19. Jahrhunderts abseits des gesamteuropäischen Phänomens der Romantisierung der Apenninen-Halbinsel klar abgeleitet und wichtige Bezüge hervorgehoben.


Anmerkungen:

[1] Dante Gabriel Rossetti: A Last Confession (1849), in: Dante Gabriel Rossetti - Collected Poetry and Prose, ed. by Jerome McGain, New Haven 2003, 80.

[2] Zum Thema der Fotografie im Werk der Präraffaeliten muss auf den parallel erschienen Katalog der Ausstellung der National Gallery of Art, Washington verwiesen werden: Diane Waggoner / Tim Barringer / Joanna Lukitsh (eds.): The Pre-Raphaelite Lens - British Photography and Painting, 1848-1875, London 2010.


Beate Kampmann

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Empfohlene Zitierweise:

Beate Kampmann: Rezension von: Colin Harrison / Christopher Newall: The Pre-Raphaelites and Italy. , Aldershot: Ashgate 2010
in: KUNSTFORM 12 (2011), Nr. 11,

Rezension von:

Beate Kampmann
Berlin

Redaktionelle Betreuung:

Ekaterini Kepetzis