Rezension

Gian Caspar Bott: (Red.) Albert von Keller. Salons, Séancen, Secession, München: Hirmer 2009, 216 S., ISBN 978-3-7774-9015-1, 39.90 EUR
Buchcover von Albert von Keller
rezensiert von Brigitte Huber, Stadtarchiv München

Im Jahr 2006 erhielt das Kunsthaus Zürich eine Schenkung aus dem Nachlass des Schweizer Chemikers und Kunstsammlers Dr. Oskar A. Müller (1899-1994), der sich mit Leidenschaft ausschließlich dem Werk des Münchner Malers Albert von Keller (1844-1920) gewidmet hatte. Mehr als 350 Bilder und Skizzen, dazu Bücher und Dokumente, selbst Möbel aus dem Hause und dem Atelier des Künstlers hatte er zusammengetragen. 2009 nun konnte Gian Casper Bott in Zürich das Oeuvre des mittlerweile nahezu in Vergessenheit geratenen Künstlers vorstellen. Keller, dessen Werk ausschließlich in München entstanden war, hatte sich mit Salon- und Gesellschaftsbildern, mit elegant-mondänen Porträts von Damen des (Münchner) Großbürgertums, von Schauspielerinnen und Tänzerinnen, aber auch mit religiösen und spiritistischen Szenen einen Namen gemacht und war rasch zu einem der berühmtesten deutschen Maler avanciert.

1844 in Gais / Kanton Appenzell geboren und zunächst in Zürich und Bayreuth aufgewachsen, war Albert Keller 1854 mit seiner Mutter nach München gezogen. 1863 begann der junge Keller ein Jura-Studium, das er jedoch schon zwei Jahre später aufgab, um sich fortan der Kunst zu widmen. 1867 bezog der Maler sein erstes eigenes Atelier, wechselte jedoch bald in Arthur von Rambergs Studio im Gebäude der Akademie; der Professor sollte ihm bis zu seinem Tod im Jahr 1875 Mentor und väterlicher Freund sein. Hier lernte Albert Keller auch dessen ältere Kollegen Moritz von Schwind, Wilhelm von Kaulbach und Karl von Piloty kennen und schloss Freundschaft mit Wilhelm Leibl, der ebenfalls Ramberg-Schüler war. Auch Gustav Courbet, der während seines München-Aufenthalts 1869 in Rambergs Atelier arbeitete, sollte er dort begegnen. 1869 errang Keller auf der I. Internationalen Kunstausstellung in München mit dem Werk "Faun und Nymphe" (heute Westfälisches Landesmuseum, Münster) erstmals einen künstlerischen Erfolg. In derselben Ausstellung wurden auch Courbets "Steineklopfer" sowie Werke von Corot und Manet gezeigt. Das 1873 vorgestellte Gemälde "Chopin" (heute Neue Pinakothek, München), für das Keller in Wien eine Medaille erhielt, sollte sein Durchbruch werden.

1878 heiratete Keller gegen den Willen des Brautvaters die Münchner Bankierstochter Irene von Eichthal. Sie ermöglichte ihm nicht nur den Eintritt in die Münchner High Society, sondern wurde in den folgenden Jahren auch sein wichtigstes Modell. Zudem war ihr finanzieller Hintergrund wohl dafür ausschlaggebend, dass Keller zeitlebens nie für den Broterwerb malen musste.

Die Auseinandersetzung mit dem Übersinnlichen, mit religiös-okkultistischen und spiritistischen Phänomenen scheint Albert Keller früh fasziniert zu haben. Ab 1877 befasste sich der Künstler mit dem Sujet "Erweckung der Tochter des Jairus", einer Episode aus dem Neuen Testament, zu der er mehr als 100 stark variierende Studien schuf. Als er 1886 schließlich eine monumentale Fassung des Themas vorstellte, erwarb der bayerische Staat diese umgehend (heute Neue Pinakothek, München). In den Folgejahren entstanden Motive wie "Hexenschlaf" oder die "Kreuzigungsvisionen". 1886 trat Keller der vier Jahre zuvor von seinem Freund, dem Münchner Arzt und Parapsychologen Albert Freiherr von Schrenck-Notzing (1862-1929) mitbegründeten Psychologischen Gesellschaft München bei. Die Beschäftigung mit dem Übersinnlichen war längst zu einer Mode geworden, die breite Kreise der Gesellschaft faszinierte.

Neben religiös-spiritistischen Werken entstanden zahlreiche Salonbilder und Porträts. Als Hauptwerk Kellers darf wohl bis heute das 1888 entstandene Bildnis seiner Ehefrau, "Irene in Weiss" (Neue Pinakothek, München), bezeichnet werden, das schon die zeitgenössische Kritik feierte. Sein 1898 in Darmstadt entstandenes Porträt der aus dem Hause Hessen-Darmstadt stammenden russischen Zarin Alexandra (seit 1894 Ehefrau von Zar Nikolaus II.) muss als ein Höhepunkt hinsichtlich seiner Reputation erwähnt werden, auch wenn es vielleicht nicht nach dem Leben entstand. 1904 malte Keller die aus Georgien stammende "Traumtänzerin" Madeleine Guipet, die auf Einladung des bereits erwähnten Parapsychologen Schrenck-Notzing dreimal im jeweils restlos ausverkauften Münchner Schauspielhaus auftrat. Die von Kellers Bildern ausgehende Faszination besteht vor allem darin, dass er sie als einziger der Münchner Künstler in Aktion darstellte.

Die 2009 im Münchner Hirmer Verlag erschienene Monografie über Albert von Keller war ein seit Langem bestandenes Desiderat. Außer einer bereits 1912 vom Berliner Kunstkritiker Hans Rosenhagen vorgelegten Monografie sowie zwei vom Keller-Sammler Oskar A. Müller selbst erarbeiteten Publikationen hatte es bisher keine umfangreichere Beschäftigung mit seinem Werk gegeben. Kenntnisreich und hervorragend bebildert stellt Gian Casper Bott in inhaltlich klug gegliederten Abschnitten das Werk eines Künstlers vor, das eine faszinierende Position zwischen Tradition und Moderne einnimmt: Stets der historisierenden Salonmalerei verbunden und ohne sich von den Ende des 19. Jahrhunderts aus Frankreich kommenden Strömungen der Moderne beeinflussen zu lassen, ist Keller ein "Frauenmaler", der suggestive "Inszenierungen von Glück, Erotik und spiritueller Sehnsucht, Eleganz und Brüchigkeit" schuf (7). In zumeist eher dunkel abgetöntem Kolorit schuf er Bildnisse elegant-mondäner Damen oder auch nackter Frauen, religiöse und spiritistische Szenen, die durch raffinierte Lichtführung und differenzierte Stofflichkeit bestechen. Erst nach 1900 werden seine Bilder bunter und bewegter, nähert er sich der Moderne an, ohne jedoch jemals progressiv zu sein.

Von großer Wichtigkeit ist auch der Beitrag von Nico Kirchberger, der Kellers Rolle im Münchner Künstlermilieu der Gründerzeit beleuchtet. So war Keller, der mit manchem Künstlerfürst befreundet und dessen eigenes Atelier ein gesellschaftlicher Treffpunkt war, knapp 30 Jahre lang im Vorstand der Münchner Secession tätig, einer Vereinigung, die 1892 als Reaktion auf das von Franz von Lenbach dominierte künstlerische München entstand. Die Secession war es auch, die im Jahr 1908 Keller mit einer umfassenden Retrospektive geehrt hatte, bei der knapp 150 Werke gezeigt wurden - sie sollte bis zum Sommer 2009 die einzige Werkschau bleiben!

Die reich illustrierte Monografie ergänzen eine ausführliche Künstlerbiografie sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis, so dass die wissenschaftliche Aufarbeitung nunmehr auf einem aktuellen Stand ist.

Dass die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen dem Vernehmen nach die zunächst ihnen von der Witwe Müller angetragene Keller-Sammlung ihres verstorbenen Mannes ablehnten, schmerzt. Zwar verfügt das Haus über erstaunlich viele zentrale Arbeiten des Künstlers, doch wäre es nicht gerade deshalb umso wünschenswerter gewesen, diese (zumeist vom Künstler geschenkten) Bestände zu komplettieren? Hatte man bei der Neuordnung der Neuen Pinakothek in München 1914 zwanzig Gemälde Kellers in die Dauerausstellung übernommen, so wird derzeit nur mehr dessen Frühwerk "Chopin" (s.o.) präsentiert - auch das muss man als Aussage deuten. Dem Kunsthaus Zürich sei zu seiner Neuerwerbung gratuliert, den Autoren Gian Casper Bott und Nico Kirchberger sei für ihre "Wiederauferweckung" des völlig zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Münchner Künstlers gedankt!


Brigitte Huber

zurück zu KUNSTFORM 11 (2010), Nr. 3

Empfohlene Zitierweise:

Brigitte Huber: Rezension von: Gian Caspar Bott: (Red.) Albert von Keller. Salons, Séancen, Secession, München: Hirmer 2009
in: KUNSTFORM 11 (2010), Nr. 3,

Rezension von:

Brigitte Huber
Stadtarchiv München

Redaktionelle Betreuung:

Ekaterini Kepetzis