Rezension

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Eine ganze Reihe von Kunstausstellungen mit islamisch-orientalischen Themen, die in jüngster Zeit in den größeren Ausstellungshallen Deutschlands stattfanden und -finden, haben die Aufmerksamkeit des Feuilletons gefunden. Zu nennen wären beispielsweise „Schätze des Aga Khan-Museums“ oder „‚Taswir’ – Islamische Bildkunst und Moderne“ in Berlin, oder die Reihe der Münchner Ausstellungen dieses Jahres, von denen eine ebenfalls zeitgenössische und ältere Werke miteinander konfrontiert. Aber auch historische Ausstellungen zu Themenkreisen wie den Kreuzfahrern und ihren orientalischen Nachbarn oder zu Friedrich II. als mediterranem Kulturvermittler haben in den letzten Jahren Konjunktur. Die gesellschaftliche Debatte um Islamfeindlichkeit und Integration gibt einen Hintergrund ab, der den Themen dieser Ausstellungen offenbar zu gesteigerter Aktualität verhilft. [1]

So verwundert es nicht, dass Untersuchungen zum islamischen Kulturkreis und dessen Bedeutung für historische Kontakt- und Wandlungsprozesse auch im kunst- und kulturwissenschaftlichen Diskurs an den Universitäten in jüngster Zeit vermehrt Niederschlag gefunden haben. Als Instrument dienen hierfür momentan insbesondere transdisziplinär ausgerichtete Forschungsverbünde wie das Heidelberger Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context: Shifting Asymmetries in Cultural Flows“ (http://www.asia-europe.uni-heidelberg.de/) oder das DFG-Schwerpunktprogramm 1173 „Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter“ (http://www.spp1173.uni-hd.de/). Nur selten finden sich unter den Beteiligten jedoch genuin im Fach Islamische Kunstgeschichte ausgebildete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, das im deutschsprachigen Raum bislang nur an wenigen Standorten gelehrt wird.

Die Kunst der islamischen Welt gehört traditionsgemäß nicht zum Kanon des Fachs Kunstgeschichte. Das war aber nicht von vornherein vorgezeichnet. Als sich die Kunstgeschichte vor gut hundert Jahren zur Wissenschaft formte, beschäftigten sich führenden Köpfe des Faches in Wien, Alois Riegl und Josef Strzygowski, sehr intensiv mit orientalischen Themen und untermauerten ihre Thesen mit Material aus der islamischen Welt. Das damals neu gegründete Islamische Museum im Berliner Kaiser-Friedrich-Museum beherbergte eine der spektakulären ‚Entdeckungen’ der Zeit, die Fassade des Palastes von Mshatta aus dem heutigen Jordanien. [2]

Während die wissenschaftliche Beschäftigung mit der islamischen Kunstgeschichte im deutschsprachigen Raum durch die Vertreibungen der Nazizeit nachhaltig geschädigt wurde, blühte sie in den USA und in anderen europäischen Ländern auf. Es war vor allem dem von der Warburg-Schule geprägten Richard Ettinghausen und seinen Schülern zu verdanken, dass die Kunst der islamischen Welt im Rahmen der Kunstgeschichte, teils als ‚World Art History’ verstanden, einen festen Platz erhielt.

In Deutschland wurde die Beschäftigung mit islamischer Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg meist von Orientalisten betrieben, die keine kunsthistorische Ausbildung genossen hatten, oder von Bauforschern und Archäologen, die wiederum häufig ohne Grundlagen in den orientalischen Sprachen arbeiteten. ‚Hauptamtlich’ widmeten sich ihr vor allem die Wissenschaftler am Berliner Museum. An der Universität Bonn fand die islamische Kunst ihren Platz im Rahmen des Instituts für Orientalische Kunstgeschichte, während in Halle sogar ein Hauptfachstudium möglich war. [3]

Seit den 1990er Jahren ist das Fach im deutschsprachigen Raum fühlbar gestärkt worden: In Bonn lehrte Christian Ewert (DAI Madrid); an der Universität Bamberg wurde in der Fächergruppe Orientalistik eine Stiftungsprofessur eingerichtet, die über mehrere Jahre hinweg mit international renommierten Dozenten besetzt und Mitte der 1990er Jahre verstetigt wurde. An der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität wurde 2001 am Institut für Kunstgeschichte eine Professur für islamische und jüdische Kunst des Mittelmeerraumes eingerichtet, an der Universität Zürich 2009/10 eine Assistenzprofessur für Islamische Kunstgeschichte (ebenfalls im Rahmen der Kunstgeschichte) besetzt. Die Besetzung eines Lehrstuhls für Islamische Kunstgeschichte an der Wiener Universität steht zu erwarten. In Berlin dagegen, wo das Fach akademisch besonders stark verankert sein müsste, fehlt der Lehrstuhl weiterhin.

Angesichts der steigenden Bedeutung der islamischen Kunst- und Kulturgeschichte für den Fachdiskurs einer ‚globalisierten‘ Kunstgeschichte, aber auch angesichts des aktuellen allgemeingesellschaftlichen Interesses an islamwissenschaftlichen Themen haben wir uns zum Ziel gesetzt, in dieser kunstform-Sonderausgabe einen Einblick in aktuelle Arbeitsfelder und Fragestellungen der Islamischen Kunstgeschichte und Archäologie zu geben.

Die in der vorliegenden Ausgabe versammelten Rezensionen bilden einige inhaltliche und methodische Facetten des Fachs der letzten Jahre ab, die zum Teil auch für die allgemeine Kunstgeschichte von Interesse sein dürften. Zunächst ist festzustellen, dass weiterhin bedeutende Objekte neu erschlossen werden, was oftmals Archäologie und Bauforschung zu verdanken ist (vgl. die Rezz. von Bartl/Moaz; Ernst-Herzfeld-Gesellschaft [Ritter/Korn]; Hawari; Shiyyab). Auch Sammlungs- und Museumsbestände sind in den letzten Jahren systematisch publiziert worden (wie z. B. Katalogbände der Khalili Collection, die an dieser Stelle nicht zur Rezension kommen). Die neuen Medien können bei dieser Erschließung helfen, indem sie geographische Entfernungen und politische Grenzen leicht überwinden (vgl. die Rez. von Museum ohne Grenzen). Im Bereich der Islamischen Kunstgeschichte ist also durchaus damit zu rechnen, dass ungeahnte neue Aspekte durch neu entdecktes Material zutage treten.

Selbstverständlich sind auch bekannte Werke oder Werkgruppen Gegenstand monographischer Darstellungen (Rez. von Gruber; Ewert; Gonnella/Kröger; Kenney). In den letzten Jahren wurden dabei zwei Fragen vermehrt diskutiert: Inwiefern können Kunst und materielle Kultur der ersten beiden islamischen Jahrhunderte der Spätantike zugerechnet werden? Die einschlägigen Werke von Fowden und die archäologische Einführung Walmsleys sind nicht Gegenstand der vorliegenden Ausgabe, können aber als Folie für manche Beiträge in Bartl/Moaz sowie für das Buch von Shiyyab gesehen werden. [5]

Eine zweite Fragestellung, die in letzter Zeit besondere Aufmerksamkeit beansprucht hat, ist der Kontakt bzw. ‚Austausch’ zwischen islamischer und christlicher Kunst im Vorderen Orient und im Mittelmeerraum (vgl. Rezz. zu Belting; Hillenbrand/Auld; Piana). [6] Wer den Blick zu den jenseitigen Grenzen der islamischen Welt weitet, wird noch andere Dimensionen der ‚Hybridität’ entdecken, die aber eine Grundfrage der islamischen Kunst- und Kulturgeschichte betreffen: Wie verhielten sich islamische Kulturen im Verlauf der immer neuen Eroberungen an den Grenzen zu vorgefundenen, ‚eroberten’ Kulturen (Rez. zu Flood)?

Neben diesen Fragen des Kulturkontakts behalten die Kerngebiete der Islamischen Kunstgeschichte aber weiterhin ihre Wichtigkeit. Die Grundfragen nach Form und Inhalt der islamischen Kunst auch in ihren ‚klassischen’ Epochen und in ihren Kernregionen werden mit Gewinn diskutiert – etwa in Bezug auf die Kunst im Osmanischen Reich zur Zeit seiner größten Machtentfaltung (Rez. Ewert; Gonnella/Kröger). Die Tatsache, dass um das Aleppo-Zimmer noch bezüglich der Herkunft der Meister debattiert wird, zeigt deutlich, welche Unsicherheiten im Bereich der Stilkunde weiterhin bestehen. Fragen der Zuordnung sind häufig mangelhaft geklärt; im Gesamtbild islamischer Kunstgeschichte wird noch an einer Periodisierung nach Dynastien festgehalten, die der Revision bedarf. Ob die erste Fachenzyklopädie der islamischen Kunstgeschichte hier Orientierung gibt, steht noch dahin (vgl. Rez. Blair/Bloom).

Die Dominanz englischsprachiger Literatur in der islamischen Kunstgeschichte wird auch aus den Rezensionen der vorliegenden Ausgabe ersichtlich. Es sei aber darauf hingewiesen, dass in der arabischen Welt, in Iran, der Türkei und anderen turksprachigen Ländern auch in der jeweiligen Landessprache wissenschaftliche Publikationen zur islamischen Kunstgeschichte erscheinen, die nach Umfang und Anspruch stärkere Beachtung verdienen. In der globalisierten Wissenschaftsszene des frühen 21. Jahrhunderts werden diese Werke zu Unrecht kaum wahrgenommen. Selbst wenn man einigen ihrer Autoren vorwerfen könnte, den Stand der internationalen Diskussion nicht rezipiert zu haben, so rechtfertigt das keineswegs umgekehrt die Ignoranz gegenüber allem, das nicht in englischer Sprache erscheint.

Der kurze Überblick zu den hier genannten und in den Rezensionen behandelten Themen deutet an, dass ein Dialog zwischen der abendländisch ausgerichteten Kunstgeschichte und der Kunstgeschichte des islamischen Orients neue Perspektiven erschließen kann. Vor allem bildwissenschaftliche Ansätze erscheinen vielversprechend (vgl. Rez. Belting). Auf diesem Gebiet könnte sich die Diskussion besonders spannend und ergiebig entwickeln.

Viele interessante und wichtige Bücher der vergangenen drei bis fünf Jahre konnten an dieser Stelle nicht rezensiert werden. Der ganze Bereich der zeitgenössischen Kunst ist hier unberücksichtigt geblieben. Zu den nicht besprochenen Werken gehören aber auch die reich illustrierten Ausstellungskataloge der Khalili Collection und der Aga Khan Collection in ihren jüngsten Präsentationen von Meisterwerken islamischer Kunst. Sie werfen jeweils die Frage auf, inwiefern die Kurzbeschreibungen dem Anspruch an substantielle Beschreibung und Deutung gerecht werden können. Zwei Bücher zum Werk des Architekten Sinan aus der Feder von Gülru Necipoğlu und von Nicola Parisi hätten sich zum Vergleich angeboten. Das Buch von Yves Porter zur indischen Architektur der Sultanatszeit (13.–16. Jahrhundert) stellt einen wichtigen, aber bislang meist unterrepräsentierten Bereich der islamischen Kunstgeschichte in sehr ansprechender Form dar. Die Bücher Jonathan Blooms und Doris Behrens-Abouseifs zur Kunst- und Architekturgeschichte von Kairo bieten Einblick in den Stand der Forschung zu einer der wichtigsten Metropolen des Vorderen Orients. Fairchild Ruggles’ Werk zur Garten- und Landschaftsarchitektur thematisiert ein beliebtes Sujet, das aber der vertieften Forschung bedarf – wobei sich einmal mehr zeigt, dass die Behandlung iranischen Materials offenbar unter den gegebenen politischen Verhältnissen leidet. Um eine unvollständige Reihe abzuschließen, wäre noch das Buch von Peter I. Schneider zu nennen, in dem eine bauforscherische Untersuchung im südostanatolischen Hasankeyf vorgestellt wird. Die immer noch nicht abgewendete Bedrohung der dortigen Denkmäler durch den geplanten Tigris-Staudamm zeigt, dass auch für die Islamische Kunstgeschichte drängende Aufgaben in der Gegenwart bestehen.

Herzlicher Dank gilt allen Rezensentinnen und Rezensenten, die zum Entstehen dieser Ausgabe beigetragen haben. Ganz besonders haben sich diejenigen unter ihnen verdient gemacht, die auch ohne Vorliegen eines Rezensionsexemplars die Besprechung übernommen haben.

Ertragreiche Lektüre wünschen die beiden Gast-Herausgeber dieser Sonderausgabe von KUNSTFORM

Lorenz Korn (Islamische Kunstgeschichte und Archäologie, Universität Bamberg)

Ute Verstegen (LS Christliche Archäologie und Kunstgeschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg)

sowie

Ulrich Fürst, Hubertus Kohle, Stefanie Lieb und Olaf Peters

Anmerkungen:

[1] Vgl. beispielsweise Michael Mayer: Die Umformatierung der Moderne, www.artnet.de/magazine/taswir-islamische-bildwelten-und-moderne-im-martingropiusbau-berlin/, vom 11.11.2009; Frank Hessenland: Islamische Bildwelten und Moderne, www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/1064665/, vom 05.11.2009; Die Schätze des Aga Khan, www.welt.de/die-welt/kultur/literatur/article6810798/Die-Schaetze-des-Aga-Khan.html, vom 17.03.2010; Claudia Dichter: Die Schätze des Aga Khan, www.wdr.de/radio/wdr2/mima/553755.phtml, vom 09.04.2010, mit Audiodatei „WDR 2 Kritiker: Meisterwerke der islamischen Kunst in Berlin“.

[2] Zur Entwicklung der Islamischen Kunstgeschichte um 1900 vgl. die Beiträge in Andrea Lermer/Avinoam Shalem (Hrsg.): After One Hundred Years. The 1910 Exhibition ‚Meisterwerke muhammedanischer Kunst’ Reconsidered, Leiden 2010; Eva Troelenberg: Eine Ausstellung wird besichtigt. Die Münchner „Ausstellung von Meisterwerken muhammedanischer Kunst“ 1910 in kultur- und wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive, Diss. LMU München, 2009.

[3] Zur Islamischen Kunstgeschichte in Deutschland vgl. die Beiträge in Joachim Gierlichs/Annette Hagedorn (Hrsg.): Islamische Kunst in Deuschland, Mainz am Rhein 2004. – Zur Rolle des Berliner Museums vgl. Jens Kröger: Das Berliner Museum für Islamische Kunst als Forschungsinstitution der islamischen Kunst im 20. Jahrhundert, in: Rainer Brunner/Jens Peter Laut/Maurus Reinkowski (Hrsg.): XXX. Deutscher Orientalistentag. Freiburg, 24.–28. September 2008. Ausgewählte Vorträge, orient.ruf.uni-freiburg.de/dotpub/kroeger.pdf.

[4] Zur akademischen Verortung des Fachs zwischen Orientalistik und Kunstwissenschaft vgl. Lorenz Korn: Islamische Kunstgeschichte und Archäologie: Letztes Fach der Orientalistik?, in: Abbas Poya/Maurus Reinkowski (Hrsg.): Das Unbehagen in der Islamwissenschaft. Ein klassisches Fach im Scheinwerferlicht der Politik und der Medien, Bielefeld 2008, 135–148.

[5] Garth Fowden: Qusayr ‘Amra. Art and the Umayyad Elite in Late Antique Syria, Berkeley/Los Angeles 2004; Alan Walmsley: Early Islamic Syria. An archaeological assessment, London 2007 (= Duckworth Debates in Archaeology).

[6] Eine weitere Publikation auf diesem Gebiet sollte ebenfalls im Rahmen der hier vorgelegten Ausgabe von kunstform/sehepunkte besprochen werden: Margit Mersch/Ulrike Ritzerfeld (Hrsg.): Lateinisch-griechisch-arabische Begegnungen. Kulturelle Diversität im Mittelmeerraum des Spätmittelalters, Berlin 2009 (= Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, 15). Die Rezension ist für eine der folgenden Ausgaben geplant.


zur Ausgabe KUNSTFORM 11 (2010), Nr. 11

Empfohlene Zitierweise:

Vera Beyer: Rezension von: Christiane J. Gruber: El Libro de la Ascensión Mi'rajnama Timúrida. The Timurid Book of Ascension (Mi'rajnama). A Study of Text and Image in a Pan-Asian Context, Valencia: Patrimonio Ediciones 2008
in: KUNSTFORM 11 (2010), Nr. 11,

Rezension von:

Vera Beyer
Freie Universität, Berlin

Redaktionelle Betreuung:

Ute Verstegen