Rezension

Wiebke Windorf: Sakrale Historienmalerei in St. Peter in Rom. Faktizität und Fiktionalität in der Altarbildausstattung unter Papst Urban VIII. (1623-1644), Regensburg: Schnell & Steiner 2006, 260 S., ISBN 978-3-7954-1811-3, 66.00 EUR
Buchcover von Sakrale Historienmalerei in St. Peter in Rom
rezensiert von Justus Lange, Gemäldegalerie Alte Meister, Museumslandschaft Hessen Kassel

Die Ausstattung der Peterskirche in Rom ist wiederholt Gegenstand umfangreicher Untersuchungen gewesen, zuletzt von Louise Rice. [1] Mit der Arbeit von Wiebke Windorf könnte aber ein neues Kapitel nicht nur innerhalb der Forschung zu St. Peter aufgeschlagen werden, sondern allgemein zur Auseinandersetzung mit dem Altarbild des 17. Jahrhunderts. Über die konkrete Ausstattungsgeschichte hinaus geht es der Autorin um die Frage der Auswirkungen des "Bilderdekrets" des Konzils von Trient auf die Altarbildgestaltung im 17. Jahrhundert. Anhand der detaillierten Analyse ausgewählter Altarbilder soll "demonstriert werden, dass die Bildertheologen trotz der - oder besser durch die - an das sakrale Historienbild gestellten Bedingungen eine individuelle und darüber hinaus gute künstlerische Umsetzung der storia nicht nur ermöglichten, sondern gewissermaßen von einer nach ihrer Meinung gelungenen storia auch forderten." (16) Im Zentrum stehen dabei die Traktate von Johannes Molanus und Gabriele Paleotti.

Zunächst bietet Windorf einen instruktiven Überblick über den Umgang der bisherigen Forschung mit den Begriffen "Barock" und "Gegenreformation", um sich dann der Ausstattungsgeschichte von Neu-St. Peter zuzuwenden. Ausführlich schildert sie die verschiedenen Phasen, die Festlegung der Altarbilder, die Beziehungen hierbei zwischen Alt-St. Peter und dem Neubau, dem Einfluss etwa des Kardinals Cesare Baronio auf die Themenwahl unter Papst Klemens VIII. sowie schließlich die Maßnahmen unter Paul V. Das Hauptaugenmerk legt sie aber auf die Ausstattung unter Papst Urban VIII., während dessen langen Pontifikates von 1623-1644 nicht nur 1626 der Neubau geweiht, sondern auch das umfangreiche Altarbildprogramm beschlossen und realisiert wurde. Anschaulich zeigt sie, wie Urban VIII. die Wahl der Altarbildthemen durch geschickte Kompromisse zwischen der Kardinalsversammlung der Bauhütte, die offiziell die Aufträge an die Künstler vergab, und dem Domkapitel von St. Peter, das für die tagtäglichen Messen in den Kapellen zuständig war, zu steuern wusste.

Es folgt ein äußerst informatives Kapitel über die kunsttheoretischen und bildertheologischen Traktate mit dem Blick auf das Historienbild (61-99). Windorf arbeitet hierbei Parallelen zwischen Albertis Vorstellung einer guten historia und den Konzepten von Molanus und Paleotti heraus. Ein gutes Historienbild zeigt Figuren, die der Natur nachgeahmt sind und in Einklang zueinander stehen, sowie deutlich ihre Seelenregung zu erkennen geben. Ein solches Werk solle gleichermaßen den gelehrten und ungelehrten Betrachter anziehen und schließlich den Betrachter erfreuen, belehren und emotional berühren. Obwohl Kunsttheorie und Bildertheologie zwei verschiedenen literarischen Traktattypen angehören, erweisen sie sich gerade hinsichtlich der Beurteilung des Historienbildes und der historischen Wahrheit der Darstellung als sehr verwandt. Entsprechend fanden Bemerkungen von Molanus und Paleotti auch Eingang in kunsttheoretische Traktate, wie etwa Francisco Pachecos "Arte de la pintura" (1649) oder der "Trattato della pittura" (1652) von Giandomenico Ottonelli und Pietro da Cortona.

Hier nun angekommen wendet sich Windorf ihrem eigentlichen Untersuchungsthema zu, der Frage nach "Faktizität und Fiktionalität" des sakralen Historienbildes. Der Vorstellung von einem durch das "Bilderdekret" des Konzils von Trient hervorgerufenem "tridentinischen Stil", wie in der älteren Forschung immer mal wieder formuliert, erteilt sie eine klare Absage. Die bildertheoretischen Traktate richteten sich auch weniger an Künstler als vielmehr an die geistlichen Auftraggeber von sakralen Historienbildern. Insofern kann nach Windorf auch nicht von einer Bevormundung der Künstler durch die Bildertheoretiker die Rede sein, wie dies in der Forschung immer wieder vertreten wurde. Ebenso wenig vertritt sie aber die vor allem von Christian Hecht vertretene These der Praxisferne der Traktate. [2] Vielmehr kann sie durch detaillierte Textanalysen der Traktate von Molanus und Paleotti aufzeigen, dass diese einerseits durchaus auf die künstlerische Praxis Einfluss ausübten, andererseits aber gerade dem Künstler dann Freiheiten gewährten, wenn den darzustellenden Themen keine eindeutigen schriftlichen Quellen zu Grunde lagen. Oft genug war dies genau der Fall, allem voran bei den Märtyrerszenen des frühen Christentums. So auch bei den drei ausgewählten Altarbildern, die im Schlussteil ausführlich einer Analyse unterzogen werden: Andrea Sacchis "Wundersame Messe des heiligen Gregor des Großen", Valentin de Boulognes "Martyrium der heiligen Prozessus und Martinanus" und Domenichinos "Martyrium des heiligen Sebastian". Bei fehlenden oder unsicheren literarischen Quellen empfahlen die Traktatschreiber die Orientierung an der ikonographischen Tradition des Themas, immer vorausgesetzt, sie verstoße nicht gegen das Dekorum. Als vorbildlich für die Altarbilder in Neu-St. Peter konnten sich hierbei nicht nur die Werke in Alt-St. Peter erweisen, sondern auch diejenigen aus dem näheren Umfeld. Raffaels Fresken in den Stanzen wären hier zu nennen. So orientierte sich Sacchi etwa in der Gestalt des heiligen Gregor an der Darstellung des Kirchenvaters in Raffaels Disputa. Ebenso modernisierte er die liturgische Kleidung. Nach Ansicht Michele Lonigos, der zu den Beratern Urban VIII. gehörte, verstieß er damit eindeutig gegen die historische Überlieferung. Dennoch konnte sich Sacchis Darstellung gerade auch auf bildertheologische Schriften berufen, die forderten, dass den Betrachtern die historia verständlich vor Augen geführt werden sollte. Mit dem Rückgriff auf berühmte Vorbilder konnte dies gewährleistet werden. Auch bei Valentin de Boulognes Altarbild ließe sich die Rezeption der Werke Raffaels belegen. Welche Vorbildwirkung die Werke Raffaels gerade im 17. Jahrhundert hatten, verdeutlicht schließlich die von Jusepe Martínez überlieferte Äußerung Jusepe de Riberas (der von Urban VIII. in den Christus-Orden aufgenommen wurde): "Wenngleich man heute nach anderer Richtung und anderer Praxis malt, so wird leicht ein schlimmes Ende nehmen, wer sich nicht auf diese Basis des Studiums gründet, vor allem in der Historienmalerei, die der Höhepunkt der Perfektion ist, und hierin unterweisen uns die von dem unsterblichen Raffael gemalten Historien im Heiligen Palast: Wer diese Werke studiert, wird sich zum wahrhaften und vollendeten Historienmaler bilden." [3]

Windorf kann anhand dieser Analysen zeigen, dass die Traktate von Molanus und Paleotti den Künstler gerade nicht zu einem reinen Handwerker degradierten, der ihre Ideen ausführe. "Die Inhalte der hier betrachteten bildtheoretischen Abhandlungen bildeten vielmehr eine Legitimation offizieller Art für eine doch relativ freie Entfaltung der sakralen Historienmalerei im Dienste der katholischen Kirche." (180) Insofern war die Wirkung der bildertheologischen Schriften zwar nicht stilbildend, konnte es wohl auch nicht sein. Den Künstlern erwuchs gerade aus der Diskussion um das sakrale Historienbild aber eine wesentlich größere Verantwortung. Der Fall von Domenichinos Altarbild, dessen Gestaltung schon von einigen Zeitgenossen kritisiert wurde, zeigt deutlich, dass die Freiheiten auch von Nachteil sein konnten. Sie führten bei seinem "Martyrium des heiligen Sebastian" zur "Gedrängtheit und Unübersichtlichkeit des unteren Bereichs und damit zu einer Verunklärung der storia." (175) Schließlich missfiel dem Künstler selbst die Gestaltung und er hoffte, dass das Werk möglichst bald zu Grunde ginge, um es von Neuem anfangen zu können.

Den Abschluss der lesenwerten Arbeit bildet ein umfangreicher Anhang mit einer Sammlung von Quellentexten, die zwar bereits an verschiedenen Stellen publiziert sind, deren Zusammenstellung man aber dankbar konsultiert. Als kleiner Kritikpunkt sei angemerkt, dass man bisweilen bei der Lektüre über die doch recht zahlreichen Hinweise im fortlaufenden Text auf später noch zu erörternde Punkte stolpert. Hier hätte man sich eine etwas straffere Bündelung gewünscht. Vielleicht hätte sogar die Verschiebung von Kapitel II (Das Historienbild und Trient) in den einleitenden Teil etwas Abhilfe geleistet? Doch sind das Marginalien. Wiebke Windorfs Abhandlung überzeugt durch detaillierte Bildanalysen sowie klar formulierte Thesen und dürfte die Forschung nicht nur zu St. Peter in Rom erheblich befruchten.


Anmerkungen:

[1] Louise Rice: The Altars and Altarpieces of New St. Peter's. Outfitting the Basilica, 1621-1666, Cambridge 1997.

[2] Christian Hecht: Katholische Bildertheologie im Zeitalter von Gegenreformation und Barock: Studien zu den Traktaten von Johannes Molanus, Gabriele Paleotti und anderen Autoren, Berlin 1997.

[3] Jusepe Martínez: Discursos practicables del nobilísimo arte de la pintura, Edición, introducción y notas de María Elena Manrique Ara, Madrid 2006, 188.


Justus Lange

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Justus Lange: Rezension von: Wiebke Windorf: Sakrale Historienmalerei in St. Peter in Rom. Faktizität und Fiktionalität in der Altarbildausstattung unter Papst Urban VIII. (1623-1644), Regensburg: Schnell & Steiner 2006
in: KUNSTFORM 8 (2007), Nr. 9,

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Justus Lange
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Hubertus Kohle