Rezension

Thomas Biller: (Hg.) Der Crac des Chevaliers. Die Baugeschichte einer Ordensburg der Kreuzfahrerzeit, Regensburg: Schnell & Steiner 2006, 445 S., ISBN 978-3-7954-1810-6, 86.00 EUR
Buchcover von Der Crac des Chevaliers
rezensiert von Michael Lissok, Caspar-David-Friedrich-Institut, Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald

Gegenstand des umfänglichen Bandes ist eine der größten und bekanntesten Kreuzfahrer-Burgen im Vorderen Orient. Schon die Nennung ihres klangvollen Namens ruft Assoziationen wach und setzt die Phantasie in Bewegung: Vor dem geistigen Auge entsteht das idealtypische Bild einer mächtigen Feste, die als das herausragende Werk hochmittelalterlicher Befestigungskunst gilt und zum wohl populärsten Monument des mönchisch organisierten Rittertums im Zeitalter der Kreuzzüge avancierte. Die imposante Höhen- und Abschnittsburg im Nordwesten des heutigen Syrien liegt nur rund 35 Kilometer von der Mittelmeerküste entfernt. Sie war von 1142 bis 1271 einer der wichtigsten militärischen Stützpunkte des Johanniter-Ordens und sicherte einen permanent umkämpften Grenzbereich sowie Abschnitte bedeutsamer Heeres- und Handelsrouten auf dem Territorium der Grafschaft Tripolis, also einer von den vier großen fränkisch-abendländischen Herrschaften, die zwischen Taurusgebirge und Sinai im Ergebnis des 1. Kreuzzuges entstanden waren. Als der Crac des Chevaliers nach kurzer, aber heftiger Belagerung im April 1271 an die Mameluken übergeben wurde, nahmen diese am Bauensemble letztmalig massive Verstärkungen und tief greifende Modifikationen vor.

Die 445-seitige Edition enthält Beiträge von acht Autoren. Sie und weiteres im Band veröffentlichtes Material ergeben eine systematische Gesamtdarstellung vom Crac des Chevaliers, mit der ein beispielhaftes publizistisches Werk moderner Bauforschung vorliegt. Vom Herausgeber, der zugleich Verfasser mehrerer Aufsätze ist, wird zurecht auf die enge und fruchtbare Team-Arbeit hingewiesen, welche von einer interdisziplinären Forscher- und Expertengruppe zwischen 1998 und 2003 beharrlich und mit hohem Engagement geleistet wurde. Das Team nahm intensive und akribische Untersuchungen am Objekt vor, darunter die Analyse des aufgehenden Mauerwerks sowie exakte Beobachtungen an ungestörten Gebäudeschichten, ohne dass direkte Eingriffe in die Bausubstanz oder archäologische Grabungen erfolgten. Hinzu kamen ausführliche Vermessungs- und Dokumentationsarbeiten, einschließlich einer tachymetrischen, computergesteuerten Neuvermessung der Befestigungsanlage. Somit wurden im Verlauf dieses ambitionierten Projekts gleich mehrere Methoden moderner Bauforschung und Bauerfassung erfolgreich angewandt.

In Konsequenz des weit ausgreifenden Projektes sind zudem die Schriftquellen nochmals gründlich befragt und ausgewertet worden. Gleichfalls wurden bereits vorliegende Untersuchungsergebnisse, Befunde und Thesen zur Baugeschichte der Ordensburg einer Revision unterzogen. Da der Crac des Chevaliers auch eine der am besten erhaltenen Kreuzfahrerfesten ist, wurde er schon frühzeitig zu einem "Vorzugs-Objekt" der Burgenforschung. Bereits im 19. Jahrhundert weckten die Gemäuer des Crac das Interesse der Gelehrten. Während der französischen Mandatszeit in Syrien (1920-1943) wurden dann umfassende Freilegungs-, Restaurierungs- und Forschungsarbeiten durchgeführt. Der die aufwändigen Kampagnen leitende Kunsthistoriker und Burgenspezialist Paul Deschamps (1888-1973) verfasste und edierte ein Opus, das noch heute zu den Standardwerken seines Genres gehört. [1] Die Resultate von Deschamps Bemühungen zur Erkundung und Dokumentation der Johanniter-Burg wie auch die anderer, welche mit Deschamps zusammenarbeiteten oder in dessen Fußstapfen traten, bildeten das solide Fundament und die Ausgangsbasis für die neuesten, zwischen 1998 und 2003 entfalteten Forschungsaktivitäten. Diese sollten den Fundus des zur Burg vorhandenen Wissens weiter anreichern und ihn aktualisieren. Dem Team gelang es, die Chronologie der Bauentwicklung weiter zu präzisieren, einzelne Bauabschnitte noch exakter zu definieren bzw. voneinander abzugrenzen und für deren Ablauf genauere Datierungsvorschläge zu unterbreiten, als dies zuvor der Fall war. Außerdem finden sich im Band plausible Deutungen und Hypothesen zur ursprünglichen Nutzung (fast) aller Räume und Raumfolgen des Burgenkomplexes. Mit wenigen Ausnahmen, wie etwa beim großen Saal im Zentralbereich der Burg, waren diese bisher recht vage bestimmt oder noch gar nicht ernsthaft erörtert worden.

Aus der Vielzahl neuer Einsichten und Einzelbeobachtungen, mit denen uns der Band bekannt macht, seien hier nur wenige herausgegriffen und kurz erwähnt. So wird z. B. überzeugend dargelegt, dass wohl die gesamte Kernburg als ein Neubau anzusprechen ist, in dem eben nicht größere Partien einer früheren Befestigung einbezogen wurden, die ein Erdbeben 1170 beschädigt hatte (was u. a. von Deschamps angenommen wurde). Auch scheint nach den jüngsten Untersuchungen gesichert, dass die Burgkapelle gleichfalls zusammen mit dem Kernkomplex zwischen ca. 1170 und 1180 errichtet wurde und nicht das Ergebnis unterschiedlicher, zeitlich weiter auseinander liegender Bauphasen sei. Interessant ist auch die neu gewonnene, sichere Erkenntnis darüber, dass es sich beim nördlichen Mauerturm der Kernburg nicht um einen umgewandelten Torturm handelt; vielmehr hatte man ihn als eine Art "Massen-Latrine" ("Danzker") konzipiert und ausgeführt. Diese wehrhafte wie höchst rationell angelegte Aborteinrichtung zeugt von einem bemerkenswerten hygienischen Standard. Auch ein nie vollendetes Außen- bzw. Vorwerk, das im Zuge letzter Ausbaumaßnahmen (ab etwa 1250) von der fränkischen Besatzung in Angriff genommen wurde, erhält nun seinen festen Platz in der Chronik der berühmten Feste.

Analog zum authentischen Baubestand konzentrierte sich die Tätigkeit des Forscher- und Autoren-Teams auf die Historie und Architektur der Burg im Zeitraum zwischen 1170 und 1300. Doch auch ihre "Frühgeschichte" als "Kurdenschloss" Hosn el-Arak sowie unmittelbar nach der Eroberung durch christliche Heerscharen (1110) und vor dem Erdbeben von 1170 wurde in den Focus genommen. Ebenso erfährt die Leserschaft in gesonderten Kapiteln etwas vom Crac des Chevaliers als Objekt der Archäologie und Denkmalpflege. Andere Beiträge informieren über die Geschichte der Kreuzzüge und beschreiben, wie und von was sich die einstigen Burgbewohner ernährten. Analytische Vergleiche mit anderen Architekturwerken im Heiligen Land, in Frankreich sowie mit Fortifikationen des byzantinischen Kaiserreiches und armenischer Herrschaften geben weitere Aufschlüsse und erweitern das inhaltlich-thematische Spektrum des Bandes erheblich.

Der in jeglicher Hinsicht gewichtige Band ist opulent ausgestattet. Seine instruktive Güte, formale Attraktivität und hohe Anschaulichkeit basieren zu einem Gutteil auf zwei Baualterplänen, elf Bestandsplänen, vier Rekonstruktionsplänen, die die Burg aus der Vogelschauperspektive zeigen sowie auf 30 farbigen Neuaufnahmen im Mittelformat in einem gesonderten Tafel-Abbildungsblock. Hinzu kommen noch weitere 311 grafische und fotografische Abbildungen!

Inhalt und Umfang des Sammelbandes entsprechen der hohen Bedeutsamkeit des historischen Baudenkmals, dem er gewidmet ist, einem großartigen und faszinierenden Werk mittelalterlicher Fortifikationsarchitektur.


Anmerkung:

[1] Paul Deschamps: "Le Crac des Chevaliers - Etude historique et archéologique...", Bildband und Album, Paris 1934.


Michael Lissok

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Empfohlene Zitierweise:

Michael Lissok: Rezension von: Thomas Biller: (Hg.) Der Crac des Chevaliers. Die Baugeschichte einer Ordensburg der Kreuzfahrerzeit, Regensburg: Schnell & Steiner 2006
in: KUNSTFORM 8 (2007), Nr. 6,

Rezension von:

Michael Lissok
Caspar-David-Friedrich-Institut, Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald

Redaktionelle Betreuung:

Ulrich Fürst