Rezension

Carola Jäggi: Frauenklöster im Spätmittelalter. Die Kirchen der Klarissen und Dominikanerinnen im 13. und 14. Jahrhundert, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2005, 391 S., ISBN 978-3-86568-009-9, 69.00 EUR
Buchcover von Frauenklöster im Spätmittelalter
rezensiert von Tanja Michalsky, Universität der Künste, Berlin

Die Geschichte der religiösen Frauenbewegung wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder zum Gegenstand der Forschung unterschiedlicher Disziplinen, da sich hier nicht nur die Geschichte der Frömmigkeit, sondern auch jene von sozialen Ordnungen, ihren Institutionen sowie der Reintegration weiblicher Gegenentwürfe untersuchen lassen. Geprägt durch Bemühungen der 'gender-studies' traten Fragen nach dem weiblichen Selbstverständnis und eine Neuinterpretation spezifisch weiblicher Produktion und Rezeption bildender Kunst in den Vordergrund. Das Interesse an der weiblichen Erfahrung, insbesondere an den Bedingungen für weibliche Visionen in einem streng geregelten Umfeld, leitete viele Untersuchungen. Die historischen Räume, in denen sich die Nonnen bewegten und die ihren Bedürfnissen gemäß gestaltet waren, wurden indes stiefmütterlich behandelt. Da mittelalterliche Frauenklöster aller Orden lange als architekturgeschichtlich von geringerem Interesse galten, weil sie im Allgemeinen kleiner, unauffälliger und weniger idealtypisch angelegt waren als die Klöster der Männer, wurden ihnen lediglich Einzelstudien gewidmet, einen Überblick suchte man bislang vergebens.

Carola Jäggi hat nun mit ihrer Arbeit zu Klöstern von Klarissen und Dominikanerinnen im Spätmittelalter, die 2003 an der Technischen Universität Berlin als Habilitationsschrift angenommen wurde, diese Forschungslücke weitestgehend gefüllt. Dadurch, dass ebenfalls 2006 im gleichen Verlag das Buch von Claudia Mohn über "Mittelalterliche Klosteranlagen der Zisterzienserinnen. Architektur der Frauenklöster im mitteldeutschen Raum", erschienen ist, liegt nun endlich eine sehr viel breitere Materialbasis für Studium und Verständnis der mittelalterlichen Frauenklöster vor.

Dieser Materialaspekt ist besonders zu betonen, weil ein Verdienst von Carola Jäggi darin besteht, induktiv vorzugehen, also die ca. 140 Klarissen- und Dominikanerinnenklöster der ehemaligen deutschen, italienischen und osteuropäischen Ordensprovinzen zunächst einmal bauarchäologisch zu erfassen, um erst dann in Anbetracht der unterschiedlich gut repräsentierten Bautypen in einzelnen Regionen umsichtig Schlüsse zur Typologie zu ziehen und Antworten auf die religions- und kulturgeschichtlichen Fragen nach dem religiösen Leben der Nonnen in den Konventen zu geben. Der großformatige Band ist dementsprechend mit zahlreichen aussagekräftigen Fotografien wie auch angenehm großen Plänen auf neuestem Stand versehen, so dass die vielen behandelten Beispiele in ihrer architektonischen Komplexität und deren historischer Veränderung vor Augen stehen.

Die Arbeit gliedert sich nach einem kurzen Forschungsüberblick und den Vorgaben in der Architektur der Zisterzienserinnenklöster in drei große Abschnitte: Im umfangreichsten dritten Kapitel werden unter Verwendung der jüngsten Forschungsergebnisse die einzelnen Klöster in einem chronologischen Rahmen vorgestellt. Die dabei konstatierte Vielfalt von Baulösungen, die sich offensichtlich stärker an regionalen Vorlieben und Auftraggeberwünschen orientierten als an einem kaum zu definierenden Idealtyp des Frauenklosters, bietet die Grundlage für die im Mittelpunkt stehende funktionsgeschichtliche Frage des vierten Kapitels: Der Nonnenchor, ein liturgisch definierter Raum, der (auditive und/oder visuelle) Teilnahme an der Messe, Gebet und Gesang vor dem Gebot der strengen Klausur architektonisch umsetzen muss, wird hier als das Kernstück eines jeden Frauenklosters vorgestellt und in seinen wiederum stark ausdifferenzierten Versionen erfasst. Das abschließende Kapitel behandelt die Frage, ob die bildliche und künstlerische Ausstattung der Klausur eine spezifisch weibliche Frömmigkeit offenbare, die den restringierten Zugang zur Hostie kompensieren sollte.

In der chronologischen und topografischen Sortierung des umfangreichen Materials, zu dessen baugeschichtlicher Analyse alles verfügbare Quellenmaterial herangezogen wurde, gelingt es der Verfasserin bei aller Vorsicht vor allzu generalisierenden Schlüssen folgende Tendenzen aufzuzeigen: In der Anfangsphase wurden oft ältere Bauten modifiziert, was unter anderem an den anachronistischen Patrozinien deutlich wird. Im nordalpinen Bereich (siehe Marienthal) wurden dafür häufiger Profanbauten zur Verfügung gestellt. Die Neubauten bis 1250 sind durch langwierige Entstehungszeiten geprägt, aus deren unterschiedlichen Vollendungsstadien sich einige Sonderformen erklären, die allerdings nicht als typologische Entscheidung zu deuten sind, wie es in der älteren Forschung des öfteren getan wurde. Die besonders zahlreichen Neubauten aus den deutschen Ordensprovinzen, die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts errichtet wurden, weisen häufiger als erwartet einen Langchor auf. Die noch immer verbreitete Vorstellung eines typischen Nonnenchores auf der Westempore wird dadurch weit reichend modifiziert. Regionale Unterschiede manifestieren sich in den Proportionen von Langhaus und Chor sowie der Wahl der Chorabschlüsse. Im 14. Jh. nehmen Stiftungen des Hochadels signifikant zu. Das Anspruchsniveau der Bauten steigt, und damit ist auch das Vorurteil notwendig bescheidener Nonnenklosterarchitektur zu revidieren. Ganz generell betont Jäggi, dass die Gründerpersönlichkeiten einen größeren Einfluss auf die Baugestalt nahmen und dass die regionalen Bedingungen, unter denen die Bauten entstanden, "bestimmender war[en] als die Ordenszugehörigkeit" (162).

In der Auswertung von Constitutiones, Verträgen, Nonnenviten und Visitationsberichten gelingt es der Verfasserin, die Frage nach der Verbindung von Klausur und Messteilnahme sowie der Öffentlichkeit der Klosterkirchen sehr differenziert zu beantworten. Nicht nur die Positionierung des Nonnenchores auf Emporen oder im Ostchor ist zu konstatieren, sondern Chor wie Empore konnten temporär zu unterschiedlichen Zwecken genutzt werden. Besonders aufschlussreich ist darüber hinaus die Einsicht, dass die bislang als außergewöhnlich betrachteten Doppelklosteranlagen als Folge der notwendigen liturgischen Versorgung der Nonnen sehr viel häufiger auftraten. Die angevinische Anlage von Santa Chiara in Neapel etwa wirkt vor diesem Hintergrund zwar nach wie vor gigantisch, allerdings sind Funktion des Bautyps und Anspruchsniveau des Königshauses nun besser voneinander zu unterscheiden.

Im letzten Kapitel, das die Frage der Ausstattung als Kompensationsstrategie gegenüber den Klausurvorschriften und der räumlichen Trennung von der Wandlung am Altar behandelt, kann Jäggi erneut mit Vorurteilen der Literatur aufräumen. Nicht nur war die Ausstattung oft sehr qualitätvoll, sondern sie reagierte unter anderem auf das Bedürfnis nach der Präsenz Christi, die über Bildprogramme gewährleistet werden konnte. Dabei wehrt die Verfasserin sich gegen die Annahme eines weiblichen Stilmodus: Dieser lässt sich in der Fülle des vorgestellten Materials nicht verifizieren. Ganz allgemein wird die zukünftige Forschung zu Frauenklöstern und 'weiblicher Kunst' angesichts der ästhetischen Vieldimensionalität der hier behandelten Bilder allzu strikte Gender-Zuweisungen überdenken müssen.

Aufs Ganze gesehen bietet die Arbeit nicht nur, wie eingangs betont, umfangreiches Material, sondern auch einen kritischen Blick auf methodische Fragen im Umgang mit Kunst von und für Frauen im Spätmittelalter.


Tanja Michalsky

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Empfohlene Zitierweise:

Tanja Michalsky: Rezension von: Carola Jäggi: Frauenklöster im Spätmittelalter. Die Kirchen der Klarissen und Dominikanerinnen im 13. und 14. Jahrhundert, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2005
in: KUNSTFORM 8 (2007), Nr. 6,

Rezension von:

Tanja Michalsky
Universität der Künste, Berlin

Redaktionelle Betreuung:

Ulrich Fürst