Rezension

Susanne Gierczynski: Egbert Lammers. Glasmaler zwischen Historismus und Moderne, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2005, 312 S., ISBN 3-422-06511-3, 51.00 EUR
Buchcover von Egbert Lammers
rezensiert von Anne Heinig, Kiel

Die monumentale Glasmalerei wird oft aus der Perspektive ihrer Dienstbarkeit für die Architektur, ihrer im Vergleich zum Tafelbild begrenzten Ausdrucksmöglichkeiten und des in der Trennung von Entwurf und Ausführung begründeten Verlustes an Originalität betrachtet. Dies gilt auch für die moderne Glasmalerei. Bevor 1993 die "Stiftung Forschungsstelle Glasmalerei des 20. Jahrhunderts" ihre Arbeit aufnahm, hat man sich nur punktuell mit der Gattung befasst, sodass für die Moderne der Überblick fehlt und nur wenige Namen bekannt sind, darunter Adolf Hölzel, Gottfried Heinersdorff, Anton Wendling und Georg Meistermann. Hinzu kommt, dass für die moderne Glasmalerei andere Maßstäbe kunsthistorischer Bewertung heranzuziehen sind als für diejenigen zwischen Mittelalter und Historismus.

Diesen Problemen stellt sich Susanne Gierczynski mit ihrer Dissertation über den Glasmaler Egbert Lammers (1908-1998). Lammers gehörte zum Berliner Kreis Heinersdorffs, der eine Reihe expressionistischer Künstler für die musivische Glasmalerei begeisterte und Technik und Ausdrucksspielraum dieser Gattung weiter entwickelte. Gierczynskis Untersuchung fußt unter anderem auf einer ersten, von der Forschungsstelle Glasmalerei unterstützten Monografie über Lammers. [1] Sie widmet sich aber auch dem bisher vernachlässigten kunsthistorischen Kontext, um somit zugleich einen Beitrag zur Erforschung der von Heinersdorff entwickelten musivischen Glasmalerei (33) zu leisten. Entsprechend folgt der Biografie im ersten Teil ein Kapitel über Stilerbe und Stiltradition der Gattung. Der zweite Hauptteil gehört der exemplarischen Untersuchung der Werkentwicklung bei Lammers. Der materialreiche Anhang mit Farbabbildungen, Briefauszügen und Werkverzeichnis belegt die solide Quellenbasis der Studie.

Aus der Biografie geht hervor, dass Egbert Lammers eine Vielzahl von intellektuellen Einflüssen und künstlerischen Impulsen verarbeitet hat. Eine unbefangene Auseinandersetzung z. B. mit der französischen Glaskunst von Rouault bis Matisse, mit Johan Thorn-Prikker oder mit Arbeiten deutscher Künstler wie Hölzel wurde jedoch zunächst gebremst. Die ersten größeren Aufträge gingen während der NS-Zeit ein. Lammers erhielt sie, weil er sich am nazarenischen Figurenstil orientierte. Ein Schritt in die 'innere Emigration' war seine bewusste Hinwendung zur katholischen Kirche. Hatte diese in der Weimarer Zeit eine kulturelle Blüte erlebt und auch Künstlern und Literaten neue religiöse Erlebniswelten eröffnet, zog sie sich in der NS-Zeit auf eine konservative Haltung zurück, die bis zum 2. Vatikanischen Konzil 1962-1965 weit gehend erhalten blieb.

Briefe des Künstlers belegen nun, dass er sich wiederholt gegen die restriktive Haltung der Kirche zur Kunst auflehnte (158) und eigene, dezidierte Vorstellungen über die Umsetzung religiöser Themen besaß. Da die Autorin den Anteil der Auftraggeber jedoch nicht überbewerten will (14), verzichtet sie auf die hier wünschenswerte, zusammenhängende Analyse der kirchlichen Kunstpolitik. Die genauere Auswertung der christlichen Kunstzeitschriften der Nachkriegszeit hätte hier Anhaltspunkte geboten, und auch die Dokumentation von Horst Schwebel und Andreas Mertin über 'Kirche und moderne Kunst' wurde nicht berücksichtigt. [2]

Das Kapitel über das Stilerbe musivischer Glasmalerei geht ausführlich auf den im 19. Jahrhundert aufgebrochene Konflikt zwischen dem am Tafelbild nazarenischer Prägung orientierten Glasgemälde und dem Glasmosaik ein; er lässt sich als Dualismus zwischen "Malerei auf Glas" und "Malerei mit Glas" knapp fokussieren. Letztere erlebte nach der Wiederaufnahme durch die Neugotiker und später mit Arbeiten z. B. von Johan Thorn-Prikker ihre Renaissance. Die materialgerechte Verarbeitung und Färbung des Glases, die konsequente Flächigkeit der Komposition und die ausdrucksvolle Linienführung des statisch unabdingbaren Bleirutennetzes gehörten in der Folge zu den wichtigsten Eigenschaften der von Heinersdorff vertretenen berlinischen Richtung. Etwas unstrukturiert wirken die Ausführungen zum Verhältnis der Glasmalerei zum Licht sowie zur Architektur, doch nimmt sich die Autorin vor, bei der Werkbetrachtung die Vielfältigkeit der Verhältnisse zwischen Glasmalerei und Architektur zu berücksichtigen.

Den zweiten Hauptabschnitt leitet Gierczynski mit einem Kurzüberblick über die Werkentwicklung bei Lammers ein, der sich auch anhand der Farbabbildungen im Buch gut mit verfolgen lässt. Hatte sich Lammers zwischen 1935 und 1950 am nazarenischen Figurenstil orientiert, brach er in der Nachkriegszeit mit dem Historismus, indem er Impulse z. B. des Kubismus und der Formabstraktion Adolf Hölzels verarbeitete. Die folgende Werkphase stand im Zeichen des durch Matisse inspirierten, ornamentalen Schwungs vegetabiler Motive. Innerhalb des Kirchenraumes veränderten und verfremdeten diese zusammen mit den von Léger und Braque angeregten Symbolfundus das tradierte christliche Themenspektrum; doch ist die Autorin nur in einem Unterkapitel auf Lammers' Streben nach Erneuerung der christlichen Ikonografie eingegangen (100). Die letzten beiden Jahrzehnte, in denen die Zahl der Aufträge abnahm, standen im Zeichen zunehmender Freiheit in der Entwicklung der musivischen Technik. Lammers erreichte in einigen Arbeiten eine hohe grafische Dichte und erprobte in anderen neue Synthesen der bisher erreichten Stilvariationen.

Hauptsächlich handelt es sich bei der Werkbetrachtung also um eine detailreiche deskriptive Stilanalyse, deren begriffliches Instrumentarium teilweise dem Schrifttum oder Aussagen des Künstlers entnommen ist. Doch zeigen die gewählten Titel für die Haupt-Werkphasen, z. B. "Formwelten des Geometrischen und Organischen" oder "die geheimnisvollen Ordnungen der Welt" auch die Problematik kunstwissenschaftlicher Erfassung moderner Glasmalerei. Da den Betrachtungen einzelner Werkphasen keine klärenden Zusammenfassungen folgen, ist der Leser zum genauen Hinsehen gezwungen. Die auf der beiliegenden CD akribisch aufbereitete Bilddokumentation erfordert zwar Geduld, hat aber den Vorteil, dass Bilddetails genau betrachtet werden können. Die schematischen Grundrisse der vorwiegend neuromanischen und neugotischen Kirchen geben allerdings keinen Aufschluss über die auch im Text nicht konsequent behandelte, tatsächliche Wechselwirkung zwischen Architektur und Glasmalerei.

Insgesamt zeichnet sich die Dissertation durch große Einfühlung in die Charakteristika der Glasmalerei von Lammers aus. Die stilgeschichtliche Einordnung des Glasmalers "zwischen Historismus und Moderne" greift zwar zu einer mittlerweile abgegriffen anmutenden Formel, ergibt aber angesichts seiner Stilentwicklung durchaus Sinn. Während die Untersuchung der Werke noch systematischer weiter geführt werden könnte, bietet der Anhang des Buches gut geordnetes Material. Wertvoll ist vor allem das vom Manuskript des Künstlers ausgehende Werkverzeichnis, das die Autorin durch eine korrekte thematische Situierung der Bilder vervollständigt und somit zu einem wichtigen Leitfaden für die Denkmalpflege aufbereitet hat.

Anmerkungen:

[1] Annette Jansen Winkeln: Künstler zwischen den Zeiten - Egbert Lammers, Eitorf 1998.

[2] Horst Schwebel und Andreas Mertin (Hg.): Kirche und moderne Kunst. Eine aktuelle Dokumentation, Frankfurt 1988.


Anne Heinig

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Empfohlene Zitierweise:

Anne Heinig: Rezension von: Susanne Gierczynski: Egbert Lammers. Glasmaler zwischen Historismus und Moderne, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2005
in: KUNSTFORM 7 (2006), Nr. 9,

Rezension von:

Anne Heinig
Kiel

Redaktionelle Betreuung:

Stefanie Lieb