Rezension

Udo Grote: (Hg.) Kirchenschätze - 1200 Jahre Bistum Münster. Begleitpublikation zur Ausstellung in der Domkammer des St.-Paulus-Doms in Münster (12.3. - 10.7.2005) und im gesamten Bistumsgebiet (12.3. - 9.10.2005), Münster: Aschendorff 2005,
Buchcover von Kirchenschätze - 1200 Jahre Bistum Münster
rezensiert von Lioba Schollmeyer, Berlin

Mit der Weihe des Hl. Liudger am 30. März 805 zum ersten Bischof von Münster beginnt auch die Geschichte des Bistums. Zur Würdigung eines solch eindrucksvollen Jubiläums waren in Münster im Jahr 2005 drei große Ausstellungen zu sehen. Sie ermöglichten die Sicht auf die abwechslungsreiche Geschichte des Bistums aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Während das Stadtmuseum Münster eine Ausstellung dem Leben und Wirken des Bistumsgründers und somit der Christianisierung der Region widmete, dokumentierte das Westfälische Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte anhand der Bildhauer Heinrich und Johann Brabender Münster für die Jahre zwischen 1480 und 1562 als Kunstzentrum Nordwestdeutschlands. Die dritte, zeitlich und geografisch wohl umfassendste Ausstellung mit dem Titel "KirchenSchätze" realisierte das Bischöfliche Generalvikariat Münster.

Der zweibändige Katalog "KirchenSchätze" unternimmt damit keine geringere Anstrengung, als einen Überblick über die Kirchen des nun 1200 Jahre alten Bistums und deren Schätze zu vermitteln, eines immens großen Sprengels, der sich vom Niederrhein an der niederländischen Grenze bis an die Nordseeküste erstreckt. Er besteht aus drei Teilen, dem westfälischen mit dem Bischofssitz Münster, dem oldenburgischen und dem niederrheinischen. Letzterer gehörte ursprünglich zu den Erzbistümern Köln und Utrecht und wurde erst 1821 Münster zugeschlagen. Dementsprechend ist der Sprengel bis heute von unterschiedlichen künstlerischen Traditionen geprägt. Im Bistum wirkten zahlreiche bedeutende Architekten, Maler und Bildhauer, sodass von dort kunsthistorische Einflüsse bis in unsere Gegenwart ausgehen.

Es ist also ein durchaus ehrgeiziges Ansinnen, das insgesamt gelungen ist, wenn man berücksichtigt, dass dem Leser in erster Linie ein reich bebildertes, fast ausschließlich nur mit Farbillustrationen ausgestattetes und anschaulich geschriebenes Opus an die Hand gegeben werden sollte, dessen Durchsicht zu Erkundungen im gesamten Bistumsgebiet einlädt.

Band I "Kirchen" ist vornehmlich der Sakralarchitektur vorbehalten, wobei auch die bedeutendsten Entwicklungen der Kirchenausstattung dargestellt werden. Der Band beginnt mit der Zeit noch vor der Bistumsgründung, die im 4. Jahrhundert mit der Christianisierung römischer Soldaten und Kolonisten in Xanten am Niederrhein beginnt.

Liudger wird 792/793 von Karl dem Großen mit der Missionierung Westsachsens, dem heutigen Münsterland, betraut. Das Ende der Sachsenkriege 803/04 macht den Neuanfang mit mehreren Bistumsgründungen, darunter Münster, möglich. Ausgesuchte Beispiele karolingischer und ottonischer Kirchenbauten in Xanten, Zyfflich, Vreden und Emmerich leiten zu einer die Christianisierung befördernden Heiligen- und Reliquienverehrung über, die im Frühmittelalter architektonisch durch den Bau immer ausgedehnterer Krypten ihren Niederschlag findet.

Die weitere Gliederung des Bandes in die Kapitel Romanik, Gotik und Renaissance, Manierismus und Barock, Klassizismus, Historismus, Moderne und Gegenwart legt eine Stilgeschichte nahe. Dies ist jedoch nicht der Fall, vielmehr wird im weiteren Verlauf anhand zahlreicher ausgewählter Orte ein chronologisch gegliedertes Handbuch dargeboten, das vor allem die architektonische Vielfalt des Bistums dokumentieren soll. Kirchengeschichtliche Ausführungen bis in die Gegenwart ergänzen die Kapitel. Erläutert wird beispielsweise das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) und zu den Kirchenbauten von Dominikus Böhm in Beziehung gesetzt. Weiterhin finden sich kunsthistorische Ausführungen, wie zum Beispiel zur westfälischen Tafelmalerei, zur hochgotischen Skulptur oder zur gotischen Glasmalerei, wie auch zur modernen kirchlichen Kunst.

Der Band ist großzügig, zumeist farbig bebildert, sodass ein Handbuch entstanden ist, das den Leser durchaus ermuntert, selbst das Bistum zu erkunden. Erschwerend ist hierbei allerdings die fehlende Nummerierung der Abbildungen. Sind im Text Kirchen oder Ausstattungsstücke erwähnt, so sind die zugehörigen Illustrationen nur durch suchendes Vor- und Zurückblättern auffindbar. Literaturhinweise zu den einzelnen Abschnitten, die auch bei einer für eine breitere Öffentlichkeit gedachte Publikation mit handbuchartigem Charakter Sinn macht, sucht man ebenfalls vergebens.

Der zweite Band "Schätze" dient als Katalog der in der Domkammer und im Kreuzgang des Domes in Münster ausgestellten liturgischen Geräte und Handschriften. Chronologisch gegliedert ist er in drei große Kapitel. Das Erste behandelt das Bistumsgebiet vom 5. bis zum 16. Jahrhundert (8-115), das Zweite die Sakrallandschaft von Münster (116-185), das Dritte schließlich das Bistumsgebiet vom 16. bis zum 21. Jahrhundert (186-241). Der Bogen spannt sich von einer spätantiken elfenbeinernen Pyxis aus Syrien über kostbare Zeugnisse mittelalterlicher Goldschmiedekunst, wie Reliquiare unterschiedlichster Form, ob als Kreuz-, Kopf-, Arm- oder Büstenreliquiar, über feinste Paramente, Buchmalereien aus Spätmittelalter und Renaissance, liturgische Gefäße des Barock, bis hin zu einer ornamentfreien und formschönen Hostienschale von Rudolf Bott aus dem Jahr 2002.

Band II verfügt im Anhang über ein übersichtlich gestaltetes Ortsregister sowie über ein ausführliches, die Vertiefung in die Materie erleichterndes Literaturverzeichnis. Der Katalog richtet sich ausdrücklich an ein breites Publikum, weshalb auf einen Fußnotenapparat verzichtet wurde. Bei den wissenschaftlich fundierten Beiträgen zu den einzelnen Ausstellungsstücken, die in der Forschung bislang zum Teil nur wenig bearbeitet sind, hätte man sich aber weiterführende Angaben gewünscht. Dem fachfremden Leser wäre überdies ein Glossar von Nutzen, wie es überhaupt leserfreundlicher wäre, wenn die in einer Gesamtliste erfassten Literaturtitel den entsprechenden Abschnitten zugeordnet wären.

Besonders positiv ist bei dem die liturgischen Geräte und Preziosen darbietenden Band die hohe Qualität der Abbildungen hervorzuheben. Sie vermitteln einen Eindruck vom materiellen, stärker noch vom spirituellen Reichtum im religiösen Leben des Bistums Münster. Man mag geteilter Meinung sein, ob die eher Verwirrung stiftende chronologische Ordnung der Objekte die glücklichste Verfahrensweise ist, eine derart große Vielfalt darzustellen, oder ob man bei der Fülle der möglichen Exponate nicht doch mit ausgesuchten Themenschwerpunkten präziser hätte werden können.

Die vorliegende Publikation dient, so darf man zusammenfassen, als Handbuch, als "vademecum" auf Reisen im Bistumsgebiet. Die Präsentation geht dabei über die neutrale historische oder kunsthistorische Analyse hinaus. Sie unterscheidet sich dadurch absichtsvoll von rein historischen oder kunsthistorischen Ausstellungskatalogen. Die Kunsterzeugnisse werden, wie es Reinhard Lettmann, Bischof von Münster, in seinem Geleitwort ausdrückt, "nicht nur mit den neutralen Augen der Geschichte" (6) begutachtet, sondern man soll sie als Ausdruck eines aus dem christlichen Glauben gezeugten Gestaltungswillens verstehen, die somit lebendiges Zeugnis von der Frömmigkeit während der 1200-jährigen Vergangenheit des Bistums Münster bis in dessen Gegenwart ablegen.


Lioba Schollmeyer

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Lioba Schollmeyer: Rezension von: Udo Grote: (Hg.) Kirchenschätze - 1200 Jahre Bistum Münster. Begleitpublikation zur Ausstellung in der Domkammer des St.-Paulus-Doms in Münster (12.3. - 10.7.2005) und im gesamten Bistumsgebiet (12.3. - 9.10.2005), Münster: Aschendorff 2005
in: KUNSTFORM 7 (2006), Nr. 3,

Rezension von:

Lioba Schollmeyer
Berlin

Redaktionelle Betreuung:

Gerhard Lutz