Rezension

Kathrin Pilger: Der Kölner Zentral-Dombauverein im 19. Jahrhundert. Konstituierung des Bürgertums durch formale Organisation, Köln: SH-Verlag 2004,
Buchcover von Der Kölner Zentral-Dombauverein im 19. Jahrhundert
rezensiert von Rüdiger Schütz, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen

Die auf einer Münsteraner Dissertation basierende Studie versteht sich im Kontext der neueren Bürgertums- und historischen Vereinsforschung als eine am Beispiel des Kölner Zentral-Dombauvereins unternommene Untersuchung zum vielschichtigen Prozess der Klassenkonstituierung des 'neuen Bürgertums' im 19. Jahrhundert, bei dem (nach Th. Nipperdey) dem Vereinswesen im Übergang von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft eine bedeutende Rolle zukam. Es geht Kathrin Pilger um eine "Organisationsanalyse in historischer Perspektive" mit dem Ziel aufzuzeigen, wie sich am Beispiel der Entwicklung des Dombauvereins die Formierungsprozesse innerhalb des Bürgertums auf lokaler Ebene vollzogen und durch welche Mechanismen "formale Organisation die Konstituierung des Bürgertums gefördert hat" (18). Methodisch stützt sich die Verfasserin auf ein Modell der Organisationssoziologie, in dessen Zentrum das "zweckorientierte Eintreten der Organisation für die Verwirklichung ihrer Ziele" steht (19). Auf den Dombauverein bezogen hieß das: Finanzierung des Fortbaus des Doms, Orientierung des Fortbaus am so genannten "ursprünglichen Plan" und Vollendung des Doms als 'katholische' Kathedrale (19). Da letztere Zielsetzung nur von einer Minderheit der Vereinsmitglieder vertreten wurde, die Mehrheit hingegen den Symbolwert des Doms als deutsches Nationaldenkmal in den Vordergrund stellte, führte dieser Aspekt zu zahlreichen Konflikten.

Daneben gilt das Interesse der Verfasserin auch der Organisationsstruktur des Vereins im Hinblick auf Fragen der Formalisierung und Bürokratisierung, der Kommunikationsstruktur und der Schaffung einer Ämterhierarchie. Ergänzend soll eine Untersuchung der Vereinsmitglieder, ihrer sozialen Rekrutierung wie auch ihrer vereinsinternen Partizipations- und Aufstiegsmöglichkeiten erfolgen. Ferner geht es Pilger darum, "die Bedeutung der organisationseigenen Inklusions- und Exklusionsmechanismen für eine stratifikatorische Differenzierung der stadtkölnischen Gesellschaft" herauszuarbeiten und der Frage nachzugehen, "wie speziell der Dombauverein die soziale Konstituierung des Bürgertums in Köln vorantrieb" (20). Daneben sollen auch die vielfältigen Außenkontakte des Vereins zu Wirtschaft, Kultur und Politik in den Blick genommen werden. Der zeitliche Rahmen der Untersuchung erstreckt sich von 1813/14 bis zum Jahr 1880, in dem das Vereinsziel mit der Vollendung des Doms erreicht war.

Pilger kann sich für ihre Studie auf umfängliches Quellenmaterial aus dem Dombauarchiv Köln, dem Vereinsorgan "Kölner Domblatt", den Ministerialakten im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, den Akten des Oberpräsidiums der Rheinprovinz im Landeshauptarchiv Koblenz sowie Materialien aus dem Historischen Archiv der Stadt Köln stützen.

Die Arbeit gliedert sich in vier Hauptkapitel, die in sich stark ausdifferenziert sind und jeweils mit einer Zusammenfassung abschließen. Nach einleitenden Bemerkungen zur Vereins- und Bürgertumsforschung, zum Dombauverein als Gegenstand einer historischen Organisationsanalyse sowie zur Quellen- und Forschungslage widmet sich das erste Kapitel der Entstehungsphase der Vereinsgründung (1813/14-1842). Nachdem zugleich mit der Genehmigung des Statuts des Dombauvereins im Dezember 1841 der König auch das Protektorat über den Verein übernommen hatte, konnte im März 1842 die konstituierende Sitzung des Vereinsvorstandes erfolgen. Im Hinblick auf ihre Leitfragen gelangt die Verfasserin zu dem Ergebnis, dass die Vereinsgründung einen Beitrag sowohl zur "sozialen" wie auch zur "politischen und kulturellen Konstituierung des neuen Bürgertums" leistete und zudem "Probleme einer rein diskursiven Willensbildung" löste, da es gelang, durch Selbstorganisation (Gremienbildung mit beschränkter Mitgliederzahl) "die Stimmenvielfalt innerhalb der Dombaubewegung im Blick auf handlungsleitende Entscheidungen zu bündeln" (104ff.). Hinsichtlich der Mitgliederstruktur ergibt sich eine deutliche Dominanz der bürgerlichen Schichten, da der Mindestbeitrag einen zumindest kleinbürgerlichen Sozialstatus voraussetzte. Zugleich förderte die Vereinsgründung die Herausbildung einer bürgerlichen Elite, die sich in den Vereinsgremien profilieren konnte. Im politisch-kulturellen Bereich ging es in der Gründungsphase vorrangig um die Auseinandersetzung mit dem "Ultramontanismus" und dem "politischen Radikalismus". Vertreter der "Ultramontanen" gelangten zwar in den Vereinsvorstand, in das Vereinsstatut vermochten sie ihre Forderungen nach einer Verknüpfung von Dombauprojekt und katholischer Interessenvertretung aber nicht einzubringen. So lautet das Fazit der Verfasserin, dass im Zuge der Organisationsbildung "Positionen auf kulturellem bzw. politischem Gebiet, die sich nicht mit denen des neuen Bürgertums, insbesondere nicht mit denen des rheinischen Wirtschaftsbürgertums deckten, ausgeschlossen wurden" (105).

Das zweite Hauptkapitel behandelt den Zeitraum zwischen 1842 und 1848/49. Hier gelangt Pilger auf der Basis ihrer detaillierten Untersuchung zu dem Ergebnis, dass der Verein "entscheidenden Einfluss auf den Formierungsprozess des stadtkölnischen Bürgertums" ausübte (173). Das gelte gleichermaßen "in Bezug auf die politischen, die kulturellen, die sozialen und (eingeschränkt) die wirtschaftlichen Faktoren der Klassenkonstituierung, die mit unterschiedlicher Gewichtung auf allen drei Ebenen der Organisationsanalyse (das sind Ziel, Struktur und Mitglieder) erkennbar" geworden seien (173). Die Dominanz der "elitären Vereinsspitze" sei nach außen besonders bei den beiden Dombaufesten von 1842 und 1848 deutlich geworden.

Das dritte Hauptkapitel ist der Vereinsgeschichte zwischen 1850 und der Reichsgründung gewidmet. In dieser Phase ging es vorrangig um Finanzierungsfragen (neue Finanzquellen, Dombaulotterie) und um die Neustrukturierung des Vereins. Auch hier ergibt die Materialanalyse den Befund, dass "vor allem die wirtschaftliche, dann aber auch die politische und kulturelle Konstituierung des Bürgertums weiter vorangetrieben" wurde (234). Dabei habe insbesondere die Dombaulotterie und die finanzielle Förderung durch Aktiengesellschaften den "Zusammenhang von formaler Organisation und wirtschaftlicher Konstituierung des Bürgertums" deutlich werden lassen. Die Konflikte über die adäquate Interpretation des 'ursprünglichen Plans', die stets erneute Auseinandersetzungen mit Fragen der Kunst und Denkmalpflege nach sich zogen, förderten "die Ausprägung einer je eigenen kulturellen Identität der Wirtschafts- und Bildungsbürger" (236).

Das abschließende Kapitel untersucht die Zeit des Kulturkampfes zwischen 1871 und 1880. Im Mittelpunkt steht die Kontroverse um "Bischofskirche oder Kaiserdenkmal", gefolgt von einer Skizzierung des Ringens um die Vorherrschaft im Verein ("Katholische oder nationalliberale Dominanz?"). Den Abschluss bildet das "Fest der Domvollendung von 1880 als nationale Weihefeier". Das Ergebnis der Verfasserin: "Auf dem Dombaufest von 1880 zeigte sich die konsolidierte Vereinsführung fest in nationalliberaler Hand"(296).

Als Fazit ihrer detaillierten Untersuchung kann die Verfasserin konstatieren, dass die gesamte Entwicklung von der Vereinsgründung an den "politischen Konstituierungsprozessen einer bürgerlichen Elite" spiegelt, in dessen Verlauf "politische Gegner" systematisch hinausgedrängt wurden, um "die Kohäsion der eigenen Gruppe zu stärken" (302). Zugleich habe der Verein "die wichtige Funktion eines Mediums für die soziale Konstituierung des Kölner Bürgertums im ganzen und speziell seiner neubürgerlichen Oberschicht" erfüllt (302). In der weiteren Entwicklung seien innerhalb der Führungsgremien das anfangs dominierende "kunstinteressierte Bildungsbürgertum" und die "beamtete Intelligenz" aufgrund der Probleme der Dombaufinanzierung zunehmend durch das Wirtschaftsbürgertum verdrängt worden, sodass sich in den Spitzenpositionen des Vereins "bis zur Domvollendung eine mehrheitlich großbürgerliche Oberschicht sozial konstituieren konnte" (303). Dombauspenden von Wirtschaftsbürgern und die Dombaulotterie förderten die "wirtschaftliche Konstituierung der Kölner Bourgeoisie" (304). Auch zum Prozess der "kulturellen Klassenkonstituierung" habe der Verein beigetragen, da er seine Mitglieder ständig dazu anhielt, "in den Auseinandersetzungen um 'Kunst' und 'Kirche' Stellung zu beziehen" (304). Das Resümee Pilgers lautet somit zu Recht: "Die Fallstudie des Kölner Dombauvereins macht deutlich, auf welche Weise generell im 19. Jahrhundert Vereine als Organisationen nicht nur die soziale, sondern auch die politische, wirtschaftliche und kulturelle Konstituierung des Bürgertums als Klasse unterstützt haben. Mit ihrer Fähigkeit zur Exklusion schufen Vereine angesichts der Inklusionstendenzen der bürgerlichen Gesellschaft die Voraussetzungen für Spezialisierung und soziale Differenzierung" (305).

Mit ihrer akribisch gearbeiteten, quellenfundierten Studie hat die Verfasserin einen verdienstvollen Beitrag nicht nur zur Geschichte des Kölner Dombauvereins geleistet, sondern darüber hinaus auch zur historischen Vereins- und Bürgertumsforschung.


Rüdiger Schütz

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Empfohlene Zitierweise:

Rüdiger Schütz: Rezension von: Kathrin Pilger: Der Kölner Zentral-Dombauverein im 19. Jahrhundert. Konstituierung des Bürgertums durch formale Organisation, Köln: SH-Verlag 2004
in: KUNSTFORM 6 (2005), Nr. 7,

Rezension von:

Rüdiger Schütz
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen

Redaktionelle Betreuung:

Nils Freytag