Rezension

Olivier Bonfait: (Hg.) La description de l'œuvre d'art. Du modèle classique aux variations contemporaines, Paris: Somogy éditions d'art 2004,
Buchcover von La description de l'œuvre d'art
rezensiert von Felix Thürlemann, Arbeitsgruppe Kunstwissenschaft, Universität Konstanz

Die Beschreibung von Werken der bildenden Künste ist seit Jahren ein Lieblingsgegenstand von interdisziplinären kunst- und literaturwissenschaftlichen Sammelpublikationen. Doch sind Kunstwissenschaftlerinnen von der Frage nach dem Status der Bildbeschreibung anders, auf direktere Weise, betroffen als die Literaturwissenschaftler. In der Kunstwissenschaft ist die Bildbeschreibung nicht bloß Gegenstand der Textanalyse. Wer weiß, wie Rubens sein Gemälde "Der Krieg" kurz nach dessen Vollendung in einem Brief beschrieben hat, wird sich die Frage stellen müssen, ob eine erneute Verbalisierung des Gemäldes erlaubt, möglich oder gar notwendig ist. Wer immer, in der Lehre oder in seinen Publikationen, die Untersuchung der Werke bildender Kunst in das Zentrum seiner Tätigkeit stellt, kommt nicht darum herum, über die Grundlagen der sprachlichen Erfassung von Bildern überhaupt nachzudenken.

Es ist üblich geworden, das Problem der Bildbeschreibung unter dem Konzept "Ekphrasis" aus der antiken Rhetorik zu verhandeln, wobei entweder ein historischer Begriffsapparat unbesehen übernommen oder dieser als Folie für die eigene mehr oder weniger systematische Begriffsbildung benutzt wird. Im Falle des hier zu besprechenden Bandes hatte der Ekphrasis-Begriff, wie es der ursprüngliche, italienische Titel des Kolloquiums verrät, eine spezifische Verweisfunktion: Ziel war es, die humanistische Bildbeschreibung in ihrem Status als Modell bis in die Gegenwart hinein darzulegen. Damit war gleichzeitig eine These ausgesprochen. Bereits ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis zeigt jedoch, dass wenige der eingeladenen Rednerinnen und Redner sich auf diese These einlassen wollten, ja überhaupt bereit waren, sich auf das klassisch-humanistische Modell der Bildbeschreibung zu beziehen. Herausgekommen ist ein bunter Blumenstrauß von Aufsätzen, der hauptsächlich aufgrund seiner Vielfalt fasziniert. Dabei überwiegen historische Fallstudien. Systematische Fragen werden nur selten offensiv, in den meisten Beiträgen höchstens versteckt angegangen.

Ein besonderes Gewicht haben im ersten Teil Studien zur Beschreibung von Kunstwerken beziehungsweise zur Wiederaufnahme der antiken Ekphrasis als literarische Gattung im 17. und 18. Jahrhundert. Bei diesem Prozess spielten französische Kunstschriftsteller und Autoren eine besondere Rolle. Olivier Bonfait, ehemals Chargé de Mission pour l'Histoire de l'Art an der französischen Akademie in Rom und Initiator der Tagung, kann in seinem gewichtigen Beitrag (21-44) aufzeigen, wie Fréart de Chambray und Félibien ausgehend von den Discours de l'Académie einen neuen, gegen Vasari gerichteten modellhaften Diskurs zur Beschreibung von Kunstwerken entwickelten, der bald darauf vom Italiener Giovanni Bellori übernommen und schließlich für ganz Europa maßgebend werden sollte. Als Beispiel untersucht anschließend Tomaso Montanari einen von ihm hier erstmals herausgegebenen anonymen Text, in dem das von Jean-Baptiste Théodore im Jahre 1705 für die Kapelle des Palazzo del Monte di Pietà in Rom geschaffene Altarrelief mit dem Thema "Josef verkauft den Ägyptern Korn" beschrieben und gedeutet wird. Antonio Pinelli schließlich weist am Beispiel Canovas auf, in welch engem Ping-Pong-Spiel zwischen ekphrastischen Texten und plastischen Werken sich die klassizistische Skulptur entwickelte.

Einen ganz anderen und weitgehend unabhängigen Entwicklungsgang nahm die literarische Tradition. Patrick Dandrey weist auf, welche bedeutende Wirkung die Übersetzung von Philostrats Eikones durch Blaise de Vigenère (Erstausgabe 1578, reich illustrierte Prachtausgabe 1614 unter dem Titel Les Images ou tableaux de plate peinture de Philostrate Lemnien sophiste grec) über Giambattisto Marinos Galeria auf die französische Literatur hatte. Sie machte das französische 17. Jahrhundert mit den Beiträgen von Georges de Scudéry, den beiden Jesuiten Pierre le Moyne und Pierre Richeome, sowie Jean de La Fontaine, Charles Perrault und Jean-Baptiste Molière - eine Liste, die Anne-Elisabeth Spica in ihrem Beitrag durch zahlreiche weitere Namen ergänzt - literarhistorisch betrachtet zu einem Jahrhundert der Ekphrasis. Die von Spica untersuchten Beispiele zeigen, wie die in der antiken rhetorischen Tradition verfassten ekphrastischen Texte, selbst wenn sie sich auf reale Kunstwerke beziehen, ein Eigenleben mit starker selbstreflexiver Dimension besitzen: Die Ekphrasis erlaubt es der Fiktion, "sich selbst zu beobachten und sich zu formulieren, während sie schreibt" (132).

Während im besprochenen Sammelband das 17. und das 18. Jahrhundert kunst- und literaturwissenschaftlich getrennt behandelt werden, zeigen die Beiträge von Richard Wrigley zur Salon-Kritik und Bernard Vouilloux zu den Kunstbeschreibungen im französischen Roman des 19. Jahrhunderts, wie fruchtbar eine Kunstgeschichtsschreibung sein könnte, welche die wandelnden Formen der künstlerischen Produktion systematisch zusammen mit den auf diese sich beziehenden sprachlichen Diskursen untersuchen würde.

Eine eigene Abteilung bilden die beiden anregenden Beiträge zur diskursiven Bearbeitung der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts in Deutschland (Elisabeth Décultot) und England (Pierre Wat). Die Kunst des 20. Jahrhunderts wird von Paul-Louis Rinuy am Beispiel der Skulptur und von Jean-Paul Bouillon am Beispiel von Gemälden von Paul Gauguin, bei denen Selbstbeschreibungen ein besonderes Gewicht haben, behandelt.

Einen besonderen Stellenwert im angezeigten Band nimmt der Beitrag von Raphael Rosenberg ein, in dem aus historisch übergeordneter Position heraus untersucht wird, welche Rolle - sie erweist sich als sehr wandelbar - die geometrische Begrifflichkeit in der Beschreibung von Werken der bildenden Kunst spielt.

Etwas wird aus der Lektüre der verschiedenen Beiträge klar: Die Verwendung des Begriffs der "Ekphrasis" bleibt vor allem aus kunsthistorischer Sicht problematisch: Zum einen führt sie dazu, dass jede Form der Rede über bildende Kunst - häufig ohne jegliche Grundlage - an die antike rhetorische Tradition zurückgebunden wird, zum andern dazu, dass die "Beschreibung" im engeren Sinne als eigentlicher Kern einer jeden Form der diskursiven Aneignung von Kunst überhaupt betrachtet wird. Notwendig wäre eine Untersuchung der kunsthistorischen Texte aus einer übergreifenden systematischen Position heraus, die fähig wäre, die wandelnden Formen der Bilddiskurse in ihrer historischen Differenz zu verstehen und ihre spezifischen Leistungen für die Vermittlung von ästhetischen Konzepten darzulegen.

Der Sammelband La déscription de l'œuvre d'art ist für die Leser in seiner stofflichen Vielfalt bei gleichzeitiger Abwesenheit einer leitenden Reflexion als ganzer nur schwer zu verdauen. Immerhin erlauben die Zusammenfassungen in drei Sprachen (französisch, italienisch, englisch) einen schnellen Zugriff zu den einzelnen, von Anne-Lise Desmas sorgfältig herausgegebenen und präzise illustrierten Beiträgen.


Felix Thürlemann

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Empfohlene Zitierweise:

Felix Thürlemann: Rezension von: Olivier Bonfait: (Hg.) La description de l'œuvre d'art. Du modèle classique aux variations contemporaines, Paris: Somogy éditions d'art 2004
in: KUNSTFORM 6 (2005), Nr. 6,

Rezension von:

Felix Thürlemann
Arbeitsgruppe Kunstwissenschaft, Universität Konstanz

Redaktionelle Betreuung:

Hubertus Kohle