Rezension

Erna-Maria Wagner: Der Bilderzyklus im ehemaligen Bayerischen Nationalmuseum. Genese - Inhalt - Hintergründe. Ein Beitrag zum Münchner Historismus, München: Scaneg 2004,
Buchcover von Der Bilderzyklus im ehemaligen Bayerischen Nationalmuseum
rezensiert von Anne Heinig, Kiel

Wer das Staatliche Museum für Völkerkunde in München durchwandert, stößt im Ostflügel auf Wandbilder, die mit ihren Darstellungen zur Geschichte Frankens nicht recht zu den Exponaten außereuropäischer Kulturen passen. Sie gehören zu einem ursprünglich 143 Bilder umfassenden Zyklus zur Geschichte Bayerns, der einmal das Herzstück des ehemaligen Bayerischen Nationalmuseums bildete. Auftraggeber der zwischen 1860 und 1867 ausgeführten Fresken war König Maximilian II. von Bayern (1848-1864), der - angeregt durch die historische Galerie in Versailles - seinen Untertanen eine stets zugängliche Stätte der Erinnerung an die bedeutende Rolle Bayerns innerhalb der Reichsgeschichte schenken und damit ihren Patriotismus und ihre Loyalität zur Monarchie stärken wollte. Als Besonderheit dieses Vorhabens ist die dahinter stehende Geschichtsauffassung hervorzuheben. Sie stand im Zeichen der wissenschaftlichen Quellenkritik des Historikers Leopold von Ranke und sollte in eine Historienmalerei münden, die unter Verzicht auf Anekdoten, Legenden und allegorische Verkürzungen nur schildern sollte, "wie es eigentlich gewesen" - so der Objektivitätsanspruch des Historikers und seines Schülers und Freundes Maximilian II.

Nähe zu den Quellen und eine insgesamt klare Darstellung der Fakten zeichnen auch den Gesamtüberblick aus, den Erna-Maria Wagner mit ihrer Münchner Dissertation zum Bilderzyklus im ehemaligen Bayerischen Nationalmuseum vorgelegt hat. Ihr geht es hauptsächlich um die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte, um den Themenkreis und seine inhaltlichen Bezüge sowie um die bisher unterbliebene Dokumentation der noch vorhandenen Skizzen und Entwürfe und nicht zuletzt um den historischen Kontext des Zyklus. Diese Schwerpunkte prägen den vierteiligen Aufbau der Arbeit. Als Quellengrundlage dienten unter anderem die Akten und Pläne in bayerischen Archiven sowie die Erläuterung der Bilder, die der Historiker Carl Spruner 1868 veröffentlichte. Die Forschungsliteratur - z. B. die Arbeiten von Körner und Harrer [1] - hat Museum und Bilderzyklus bisher nur am Rande behandelt.

Der erste Hauptabschnitt ist zunächst der Geschichte des nach Plänen Eduard Riedels errichteten Museums und dem langwierigen Prozess der Themenfindung für den Zyklus gewidmet. Bieten die Archivalien für den genauen Ablauf der Entstehung kaum brauchbare Anhaltspunkte, so geben doch die Zitate aus Briefen des beteiligten Malers Carl von Häberlin einen lebendigen Einblick in die paradoxe Situation der Künstler, individuell schaffen zu dürfen und gleichzeitig dem Postulat historischer Treue - z. B. in der Farbe der Kostüme - gehorchen zu müssen.

Auch das Schicksal und die Rezeptionsgeschichte der Wandbilder, deren Vollendung der König selbst nicht mehr miterlebte, wird mit der Änderung des Museumskonzepts kurz nach der Eröffnung, mit dem zunehmenden Desinteresse an Historienmalerei, der zeitweisen Verhängung der Bilder, mit Kriegszerstörungen, dem mühsamen Kampf der Denkmalpflege um Erhaltung der Überreste und der Nutzung bis in die Gegenwart sehr ausführlich dokumentiert.

Der zweite Abschnitt beginnt mit einer hermeneutisch gestützten Definition des Begriffs 'Geschichte' und einer Betrachtung der geschichtsphilosophischen und kunsttheoretischen Grundlagen von Historienmalerei. Der Wechsel zwischen beiden Aspekten und die durch altbekannte Fakten zum Historismus geprägte Darstellung verunklären die Zusammenhänge etwas, die Darstellung gewinnt erst durch die Erläuterung der Geschichtsauffassung Rankes an Kontur. Sein Einfluss auf die Planung des Königs wird nur knapp zusammengefasst: Maximilian II. habe die Exponate des Museums ebenso wie den Geschichtszyklus in Epochen und Zeitalter eingeteilt, die jeweils als in sich geschlossenes Ganzes Spiegel ihrer Zeit sein sollten (61). Einleitend eher beiläufig erwähnt, wird mit dem Problem der 'Historischen Treue' zudem ein wichtiges Leitmotiv der Arbeit erläutert, wobei hier die zur Historienmalerei publizierte Text- und Quellensammlung von Thomas Gaehtgens (1996) Erwähnung verdient hätte. [2] Der durch die Kunsttheorie seit der Renaissance führende Exkurs nennt zwar Empfehlungen des 19. Jahrhunderts zum Studium der Geschichte und der Kostümkunde, mündet aber nicht in eine gezielte Fragestellung für die nachfolgende Bildanalyse.

Hier folgt die Autorin nun nicht der ursprünglichen Anordnung des Zyklus, sondern stellt dem Leser fünf eigens ausgewählte Themenkreise vor: Mit Schlachten, Staatsakten und Zeremonien, Glaube und Frömmigkeit, Wissenschaften und Künsten sowie im 19. Jahrhundert besonders aufgegriffene Motiven seien stichwortartig die Bildgruppen erwähnt, in welche die 31 Bildanalysen einsortiert werden. Zu begrüßen ist die systematische Ordnung, die jedem Themenkreis eine historische Einleitung entlang der Abhandlung Spruners, generelle Aussagen zur Themenpalette und zur Vielfalt der künstlerischen Umsetzung voranschickt. So einleuchtend in der Einzelanalyse Ikonografie, Bildtradition und Bezüge zur bayerischen Geschichte und politischen Gegenwart herausgearbeitet werden, sind jedoch erst im Resümee wichtige Kriterien greifbar. Es zeigt sich, dass mit dem Ziel der Integration im Zyklus eine ausgewogene Mischung von Begebenheiten aus allen bayerischen Provinzen veranschaulicht wurden, ferner traditionelle Werte mit Exemplum-Charakter wie Mut oder Gerechtigkeit sowie aktuelle Werte wie Vaterlandsliebe, Familiensinn oder Toleranz. In der Beschränkung auf wissenschaftlich eruierte Fakten und der Genauigkeit in Porträts, Topografie und Kostümen sieht die Autorin die Umsetzung des Postulats historischer Treue erwiesen. Sie schreibt dem Zyklus eine machtpolitische Zielsetzung zu und weist somit auf den letzten Arbeitsabschnitt hin.

Nach der sorgfältigen Dokumentation der erhaltenen Skizzen und Entwürfe im dritten Teil - ein thematisch fruchtbarer Anschluss an die vorangehende Bildanalyse war hier leider nicht möglich - folgt zuletzt die historische Einordnung des Zyklus in den Kontext der Trias-Politik Maximilians II. Der hohe Stellenwert innerhalb der Kulturoffensive des Königs und die aus der vergleichsweise breiten Themenvielfalt resultierende Einzigartigkeit des Zyklus täuschen allerdings nicht darüber hinweg, dass die Ziele des Auftraggebers - nämlich die politische Integration, die glaubwürdige Vermittlung historischer Wahrheit und die Memoria-Funktion - letztlich nicht erreicht worden sind.

Umso mehr ist die Darstellung dieses bisher nahezu 'vergessenen' Aspektes innerhalb der sonst bereits gründlich erschlossenen Münchner Monumentalmalerei des Historismus zu würdigen. Ein Anhang mit Skizzen, brauchbarem Bildmaterial, Entwurfsdokumentation, Themenlisten und Künstlerbiografien macht die Untersuchung zu einem wertvollen Handbuch, dem man allerdings eine gründlichere Redaktion hinsichtlich der Namensschreibungen und einiger Zitate gewünscht hätte.


Anmerkungen:

[1] Cornelia Andrea Harrer: Das ältere bayerische Nationalmuseum, Diss., München 1993 / Hans-Michael Körner: Staat und Geschichte in Bayern im 19. Jahrhundert, München 1992.

[2] Thomas W. Gaehtgens und Uwe Fleckner (Hrsg.): Historienmalerei ( = Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren 1), Berlin 1996.


Anne Heinig

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Empfohlene Zitierweise:

Anne Heinig: Rezension von: Erna-Maria Wagner: Der Bilderzyklus im ehemaligen Bayerischen Nationalmuseum. Genese - Inhalt - Hintergründe. Ein Beitrag zum Münchner Historismus, München: Scaneg 2004
in: KUNSTFORM 6 (2005), Nr. 11,

Rezension von:

Anne Heinig
Kiel

Redaktionelle Betreuung:

Stefanie Lieb