Rezension

Heiner Borggrefe / Vera Lüpkes / Paul Huvenne: (Hg.) Hans Vredeman de Vries und die Renaissance im Norden. Ausstellung im Weserrenaissance-Museum Schloß Brake (26.5.-25.8.2002), Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen (15.9.-8.12.2002), München: Hirmer 2002,
Buchcover von Hans Vredeman de Vries und die Renaissance im Norden
rezensiert von Wolfgang Lippmann, Bonn

Das mit circa 420 Abbildungen versehene Werk erschien im Juni 2002 als Katalog und Begleitpublikation anlässlich einer Ausstellung im Weserrenaissance Museum Schloss Brake, die dort bis zum 25. August desselbigen Jahres lief. Der Band wurde von vornherein als eine paritätisch konzipierte Zusammenarbeit zwischen dem Weserrenaissance Museum Schloss Brake und dem Koninklijk Museum voor Schone Kunsten in Antwerpen angelegt, wo die Ausstellung anschließend gezeigt wurde (15. September - 8. Dezember 2002). Der Band enthält 13 Aufsätze und einen die Hälfte des Buches ausmachenden Katalogteil. Dieser ist seinerseits in Unterabschnitte aufgeteilt, die zu übergreifenden Themen (Vitruvianismus, Scenographia, Druckgrafik sowie zu den Aufenthaltsorten von Vredeman de Vries) Stellung nehmen.

H. Borggrefe erläutert die Vita von Hans Vredeman de Vries (1527-1609). Es folgt ein Beitrag von T. DaCosta Kaufmann, in dem die Bedeutung der flämischen und holländischen Künstler im 16. und frühen 17. Jahrhundert dargestellt wird. Er weist auf die politischen und religiösen Unruhen in Antwerpen zwischen 1560 und 1585 hin, die dazu führten, dass zahlreiche Künstler ihre Heimat verlassen mussten und oftmals in Freien Reichsstädten Zuflucht fanden (42-43). So gelangte Vredeman de Vries 1597 bis 1598 an den Prager Kaiserhof, gerade als die Landsgenossen Bartholomaeus Spranger und Aegidius Sadeler dort ebenfalls in kaiserlichen Diensten standen. Dabei handelt es sich aber nur um eine Station seiner "Peregrinatio", denn zuvor hatte der Künstler zwischen 1586 und 1589 am Hof des kunstbeflissenen Herzogs Julius von Braunschweig-Lüneburg gearbeitet, um nach dessen Tod um 1592 nach Hamburg weiterzuziehen, in jene Stadt, die bis zu seinem Tod ein fester Bezugspunkt bleiben sollte. Dies hinderte ihn jedoch nicht, zwischen 1592 und 1596 die Sommerratsstube in Danzig auszustatten und im Jahre 1600 einen Abstecher nach Amsterdam zu unternehmen.

Der Beitrag von I. Veldman über "Hans Vredeman de Vries und die Herausbildung des Antwerpener Graphikgewerbes" (51 ff.) gilt dem Schwerpunkt der Ausstellung und der begleitenden Publikation: Vredeman de Vries als Schöpfer unzähliger Architektur- und Ornamententwürfe.

P. S. Zimmermann schreibt: Da "nur Weniges zur Ausführung [kam], und bis heute kein Bauwerk erhalten [ist], das eindeutig auf ihn zurückgeht", geht seine "Wirkung auf die Architektur seiner Zeit [...] daher vor allem von seinen reich illustrierten Publikationen aus" (73). Allerdings sind sich nicht alle Autoren des Bandes in gleicher Weise über seine Bedeutung und Wirkung einig. Während laut H. Borggrefe Vredeman de Vries "zu Recht als einer der einflußreichsten und bedeutendsten Künstler des 16. Jhs." gelten darf (30), bemerkt I. Veldman kritischer: Er "war kein herausragender origineller Entwerfer. Seine Ornamentstiche [...] fußten auf dem Werk von Vorgängern" (51). Veldman führt Cornelis Floris de Vriendt an, dessen Radierungen ein Jahr vor denen von Vredeman de Vries erschienen sind (240). Die genauen Rezeptionsverhältnisse werden von P. Fuhring in dem sich anschließenden Beitrag "Hans Vredeman de Vries und das Ornament als Vorlage und Modell" (61 ff.) untersucht. Der Autor stellt fest, dass neben Landsgenossen vor allem Franzosen wie Jacques Androuet du Cerceau bereits zuvor vergleichbare Motive in Stichserien behandelt hatten.

Den zentralen Beitrag über die Wirkung von Vredeman de Vries' Stichwerken und Publikationen im 16. und 17. Jahrhundert liefert B. Uppenkamp: "Der Einfluß von Vredeman de Vries auf Architektur und Kunstgewerbe" (91 ff.). Die Autorin verfolgt die Rezeption bis hin zur Kathedrale von Santo Domingo in Quito (Ecuador) beziehungsweise findet selbst noch in Bolivien und in Provinzkirchen Mexikos Beschlagwerkdekorationen, die "nach Vorlagen von Vredeman de Vries ausgestaltet" sind (96). Vor allem jedoch in Danzig und im Weserraum sowie in Holland nennt sie Beispiele, die mit Vredeman de Vries in Verbindung zu setzen sind. Tiefgreifendere Untersuchungen zur Wirkung, unter anderen in England, fehlen leider, auch wenn in diesem Zusammenhang bedeutende Bauten wie Wollaton Hall und Hardwick Hall gebührend erwähnt und auch teilweise abgebildet werden. Ein paar mehr Ausführungen wären freilich von Vorteil gewesen, ebenso ein Hinweis auf die nur teilweise erfolgte Übernahme von Architekturdetails in die Entwürfe: so in der Zeichnung "A front or a garden syde for a noble-man" von J. Thorpe (ca. 1565-1655) [1] oder nach den Ausführungen über Robert Smythson von Mark Girouard. [2] Vage bleibt der Hinweis auf die Karyatiden des Brunnens der Villa Aldobrandini (96), die eigentlich ebenso auf eine Radierung von Jacques Androuet du Cerceau (Abbildung 1 auf Seite 62) zurückgehen könnten, zumal Vredeman de Vries' Stichwerke und Publikationen in Italien nur bedingtes Interesse hervorriefen (vergleiche die von Vincenzo Scamozzi besessenen Werke von Vredeman de Vries, die er nur lapidar durchnummerierte, ohne - wie sonst üblich - irgendeinen Kommentar anzufügen. [3]

Immer wieder muss man beim Betrachten seiner Gemälde feststellen, dass Vredeman de Vries trotz aller Bravour bei den Architekturdarstellungen kein talentierter Figurenmaler war - dies fällt besonders in seinem Bild "Allegorie auf die Übergabe Antwerpens" auf (80 und 309). Deshalb hat er gelegentlich nur die Architekturstaffage gemalt, während er die figürliche Ausstattung darin Geschickteren überließ, unter anderen Hans Francken II, Gillis Mostaert oder Pieter Isaacsz. Und doch scheint er - allerdings vor allem wegen seiner architektonischen Hintergrundensembles - nicht nur eine beachtliche Nachwirkung gehabt zu haben, sondern als Maler zu seiner Zeit sehr geschätzt worden zu sein, wie die Tatsache zeigt, dass er für bedeutende Auftraggeber wie Kaiser Rudolf tätig war. Folgt man dem Beitrag von T. Fusenig und B. Vermet ("Der Einfluß von Hans Vredeman de Vries auf die Malerei") (161 ff.), soll sich noch P.P. Rubens bei seiner "Kreuzabnahme" in der Antwerpener Kathedrale von 1611-14 für ein Portaldetail "Inspiration" bei Vredeman de Vries geholt haben (175-176) - aber eben allein für ein architektonisches Motiv!

Während das Nachwirken von Vredeman de Vries ausführlich behandelt wird, gilt leider kein Beitrag dem Phänomen der Architekturmalerei beziehungsweise dem kulturellen Umfeld, aus dem er hervorging. Maler wie Jean Bellegambe (circa 1470 - 1534), Jan Gossaert (1478-1533/36) und vor allem Bernart van Orley (1488-1541) werden eher zufällig erwähnt. Dass das - inzwischen freilich nicht mehr ganz aktuelle - Werk von Max J. Friedländer über die niederländische Malerei [4] in der immerhin 14 Seiten langen "Bibliografie" nicht zitiert wird, entspricht der Tendenz der Herausgeber, die kaum dem kulturhistorischen Umfeld des Malers Rechnung tragen wollten. Dies wirkte jedoch bei dem anlässlich der Ausstellungseröffnung in Antwerpen anberaumten Kongress im November 2002 (im Koninklijk Museum voor Schone Kunsten) etwas befremdlich, hingen doch in den Sälen über dem Tagungsraum verschiedene Gemälde aus der Antwerpener Malerschule, die als direkte Vorbilder von H. Vredeman de Vries angesehen werden können. Zu Bernart van Orley lassen sich, über eine Vorbildrolle hinaus, Parallelen in der Vita und im künstlerischen Werdegang erkennen. Während sich die architektonischen Hintergrundmotive auch bei anderen Künstlern der Zeit wieder finden, ebenso die auffallende Verbindung von (spät-)gotischen und antikisch-klassischen Motiven, erscheint es bedeutsam, dass van Orley wie Vredeman de Vries Glasmaler war. Dieses Genre hatte ab der Mitte des Jahrhunderts in Flandern anscheinend keine Zukunft mehr, es wurden sogar Glasmalereien aus religiösem Fanatismus zerstört. Wie Vredeman de Vries später auch, hat daraufhin van Orley vor allem Entwürfe für Holzschneider, Teppichweber und dergleichen angefertigt - mithin eine Tätigkeit ausgeübt, die man im modernen Sprachgebrauch mit "Designer" umschreiben würde und die der von Vredeman de Vries sehr ähnelt.

Ein ausführlicher Abschnitt über Hans Vredemans Rolle bei der Entstehung der selbstständigen Bildgattung Architekturmalerei wäre wünschenswert gewesen. Meinenserachtens wurde durch ihn - wie in der zeitlich parallel laufenden Entstehung des Landschafts- und Genrebildes oder des Blumenstilllebens - sehr stark die Entwicklung zur selbstständigen Architekturmalerei forciert. Aus der ursprünglich nur sekundären Hintergrundsmalerei, in der die Architektur die Rolle einer bloßen Kulisse einnahm, entstand im Verlauf des 16. Jahrhunderts ein selbstständiger Bildtypus, der die vormals im Vordergrund stehenden Figurenszenen nun selbst zu einer Staffage degradierte.

Der Katalog stellt in seiner Fülle an Detailwissen eine unentbehrliche Grundlage für die Kenntnis von Hans Vredeman de Vries dar und hat die Rolle des Weserrenaissance Museums Schloss Brake als eines für diese Themen bedeutenden internationalen Zentrums bestätigt.

Anmerkungen:

[1] Publiziert von J.A. Gotch: Early Renaissance Architecture in England 1500 - 1625. London, 2. Aufl. 1914 [1. Aufl. 1901], 263.

[2] M. Girouard: Robert Smythson and the architecture of the Elizabethan era. London 1966.

[3] Vgl. hierzu F. Barbieri/G. Beltramini (Hg.): Vincenzo Scamozzi 1548-1616. Venezia 2003, 503 [Kat.-Nr. 80.7].

[4] Zuletzt kommentiert in Englisch publiziert: "Early Netherlandish Painting", Bde. 1 - 14, Leyden 1967-1976.


Wolfgang Lippmann

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Empfohlene Zitierweise:

Wolfgang Lippmann: Rezension von: Heiner Borggrefe / Vera Lüpkes / Paul Huvenne: (Hg.) Hans Vredeman de Vries und die Renaissance im Norden. Ausstellung im Weserrenaissance-Museum Schloß Brake (26.5.-25.8.2002), Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen (15.9.-8.12.2002), München: Hirmer 2002
in: KUNSTFORM 5 (2004), Nr. 7,

Rezension von:

Wolfgang Lippmann
Bonn

Redaktionelle Betreuung:

Stephan Hoppe