Rezension

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Das 19. Jahrhundert ist seit nunmehr einem Jahr als neues Teilgebiet in "KUNSTFORM" vertreten. Anlass genug, diesen Zeitraum in einem eigenen Themenheft zu präsentieren. Dabei war es uns wichtig, chronologisch und thematisch ein möglichst breites Spektrum zu berücksichtigen; hierbei werden auch bislang häufig vernachlässigte, für das 19. Jahrhundert jedoch prägende Aspekte zur Sprache kommen. Dem überkommenen Bild des 19. Jahrhunderts ausschließlich als Wegbereiter der Moderne des 20. Jahrhunderts, als bloßer retrospektiver Fortführung der Bildformeln des Ancien Régime oder als ideenloser Eklektizismus vergangener Epochen, gilt es einen alternativen Entwurf entgegen zu stellen: Tatsächlich werden in diesen Jahrzehnten gravierende Weichen gestellt, die das Verständnis, die Wahrnehmung und die Präsentation von Kunst und Architektur entscheidend verändert haben.

Zu den Missverständnissen der Kunstgeschichte gehört die Fixierung auf eine starre epochale Grenzziehung, die mit den Jahrhundertwenden 1800 und 1900 einhergeht. Hier wäre zu überlegen, ob nicht das historische Modell eines "langen", von 1789 bis 1914 währenden Zeitraums, für die Kunstgeschichte noch stärker ins Blickfeld gerückt werden sollte. Vor diesem Hintergrund erfolgte die Zusammenstellung der vorliegenden Beiträge. Bei der Betrachtung der Publikationen zur Architektur wurde deshalb der Bogen vom französischen Klassizismus zwischen 1760 und 1800 im Elsaß bis hin zu den Auseinandersetzungen um Auguste Perrets Standpunkt in der Architekturdebatte 1900 bis 1930 gespannt. Die Zeit bis 1850 wird vertreten durch die Rezension zu Ludwig Persius' Tätigkeit als Architekt König Friedrich Wilhelms IV. Mit der Darstellung eines der wohl bekanntesten Künstler des 19. Jahrhunderts, Gottfried Semper, sind über die Architektur hinaus weitere für diese Epoche wichtige Kategorien angesprochen, so beispielsweise das sich etablierende Design. Dieser Bereich wird separat in dem Text zur Berliner Möbelkunst vorgestellt.

Die neu entstehende Öffentlichkeit und das damit einhergehende Interesse des Bildungsbürgertums an Kunst und ihrer Präsentation spiegeln die in dieser Zeit gegründeten, allgemein zugänglichen Museen und Privatsammlungen. Eine der bedeutendsten deutschen Sammlungen - die der Brüder Boisserée - wird in einem Beitrag vorgestellt. Den Wandel der Kunstwahrnehmung im Verlauf der hier betrachteten Zeitspanne demonstriert die veränderte Kunstlandschaft in Deutschland unter Kaiser Wilhelm II.

Eine besondere Signifikanz erfährt die Selbstreflexion des Künstlers, die nicht selten zum Zweck der Kommerzialisierung des Werks und Popularität der eigenen Person betrieben wurde, wie es die Lebensläufe viktorianischer Maler anschaulich verdeutlichen.

Die Rezeption außereuropäischer Kulturen, die gemeinhin mit Picasso und den Expressionisten in Verbindung gebracht wird, setzte - wenn auch unter anderen Vorzeichen - bereits wesentlich früher ein. Im 19. Jahrhundert war es vor allem eine ethnologisch und archäologisch motivierte Faszination am "Exotischen"; beispielhaft hier der Bezug auf Mesopotamien.

In der Malerei ist insgesamt das Phänomen einer Auflösung traditioneller Gattungshierarchien und Fragestellungen zu verzeichnen. So zielen die Landschaftsbilder Caspar David Friedrichs häufig auf subjektiv gefärbtes religiöses Erleben. Bei Manet liegt ein besonderes Problem der Forschung in der antagonistischen Behandlung von Form und Inhalt; durch eine veränderte Sichtweise lassen sich diese Aspekte jedoch vereinen. Auch die scheinbar rückwärts gewandten, popularisierten Historien eines Piloty erweisen sich bei genauerer Betrachtung als spannend und durchaus neuartig erzählte Geschichten. An dieser Stelle erweist sich die besondere Wichtigkeit, die immer noch verpönte "Akademiemalerei" wesentlich stärker zu berücksichtigen.

Die stärkere Zusammenarbeit der Künste im Sinne eines "Gesamtkunstwerks" demonstriert insbesondere das Theater um 1900, so zum Beispiel in den Bühnenbildentwürfen Edward Gordon Craigs.

Wir möchten an dieser Stelle allen Rezensentinnen und Rezensenten herzlich für ihr Engagement und ihre Mitarbeit danken und wünschen der Leserschaft viel Spaß bei der Lektüre!

Ekaterini Kepetzis / Stefanie Lieb


zur Ausgabe KUNSTFORM 5 (2004), Nr. 3

Empfohlene Zitierweise:

Javier Vilaltella: Rezension von: Werner Hofmann: Goya. Vom Himmel durch die Welt zur Hölle, München: C.H.Beck 2003
in: KUNSTFORM 5 (2004), Nr. 3,

Rezension von:

Javier Vilaltella
Institut für romanische Philologie, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Redaktionelle Betreuung:

Hubertus Kohle