Rezension

Jeroen Giltaij: Rembrandt Rembrandt. Ausstellungskatalog Kyoto National Museum, Kyoto 2002/03 / Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt a.M. 2003, Wolfratshausen: Edition Minerva 2003,
Buchcover von Rembrandt Rembrandt
rezensiert von Christian Tümpel, Radboud Universiteit, Nijmegen

Die Ausstellung "Rembrandt - Rembrandt" ist den publikumswirksamen "Events" zuzuordnen, die heute von den in Geldnöten steckenden Museen oft unter dem Druck der städtischen oder staatlichen Verwaltung veranstaltet werden, um möglichst viele Besucher anzuziehen. Weil sich im Wesentlichen nur für die Shows der weltbekannten Künstler Sponsoren finden, werden deren Werke Opfer dieser Politik und erleiden Transport- und Klimaschäden, die selbst bei schonendster Behandlung unvermeidlich sind, ohne dass bei vielen dieser Ausstellungen selbst noch Einsichten gewonnen werden, die zum Erhalt oder zum Verständnis des Werkes und seines kulturhistorischen Hintergrundes wesentlich Neues bringen. Jeroen Giltaij, Konservator des Museums Boymans van Beuningen und anerkannter Spezialist der Rembrandtzeichnungen, wurde von seinem Museumsdirektor freigestellt, um für Kyoto und Frankfurt eine Ausstellung der Rembrandtgemälde zusammenzustellen. Seinem Namen und seinen internationalen Beziehungen ist es wohl zu danken, dass es ihm gelungen ist, auf der Frankfurter Ausstellung insgesamt 48 Gemälde Rembrandts, seiner Werkstatt und seiner Schule zeigen zu können. Davon können 26 als zweifelsfreie, echte und eigenhändige Werke des Meisters angesehen werden, darunter so grandiose Meisterwerke wie der Kasseler Jakobsegen, das Kölner Selbstporträt, die noch als Fragment faszinierende Anatomie des Dr. Deyman. Innerhalb der Ausstellung prunkte Frankfurt selbst mit seiner erschütternden Blendung Simsons.

Wie ist Giltaij nun mit den Zweifeln an der Zuschreibung sehr vieler der gezeigten Bilder an Rembrandt umgegangen? Träumten doch viele Eigner verständlicherweise davon, ihre Bilder wieder als Rembrandts anerkannt zu bekommen. Giltaij hat ihren Wunsch meist erfüllt.

Acht dieser Gemälde hatten das erste Team des Rembrandt Research Projektes (RRP I) (worunter auch Ernst van de Wetering) und der Rezensent nicht für eigenhändig gehalten. Fünf wurden jedoch inzwischen von Ernst van de Wetering - der sie zuvor selbst mit abgeschrieben hatte - wieder als authentisch akzeptiert. Giltaij schließt sich dem an und rehabilitiert zudem noch die drei restlichen der acht Werke. Umgekehrt werden Bilder, die das RRP I meines Erachtens zu Unrecht abgeschrieben hatte, die aber von Gary Schwartz (1984) und dem Rezensenten (1986/1993) als eigenhändige Werke abgebildet und besprochen wurden [1], so behandelt, als seien sie nun erst wieder in den "Kreis der authentischen Gemälde aufgenommen" (80, Kat. 13). Bei weiteren 11 Bildern, die das RRP I und/oder das RRP II für eigenhändig halten, andere Rembrandtforscher aber bezweifelt hatten, entscheidet sich Giltaij fast immer für die Auffassung des RRP II, ohne ernsthaft auf jene Probleme einzugehen, die andere Forscher zu ihren Zweifeln veranlasst hatten. Nur vier Exponate erklärt Giltaij eindeutig als Schulwerke beziehungsweise als Kopie. Bei einem weiteren schließt er sich der Skepsis des Rezensenten an.

Die Zweifel, die an den Werken ausgesprochen waren, führten selten zu einer ausführlichen Diskussion, in der den Bedenken der anderen Spezialisten ernsthaft nachgegangen wurde und kritische Vergleiche mit unangezweifelten Werken hinzugefügt wurden. Wenn aber nicht weniger als neun der auf der Frankfurter Ausstellung gezeigten Gemälde vom RRP I angezweifelt waren und weitere neun von anderen Rembrandtforschern, dann wird man vorsichtig sein müssen, diese Bilder als "unstrittige" Werke des Meisters zu erklären. Gerade eine kritische Darstellung wäre jetzt aber notwendig gewesen, weil wir in der Rembrandtforschung in einer Umbruchsituation stehen.

Zwei Jahrzehnte lang hat das Team des RRP I, dem Josua Bruyn, Bob Haak, Simon H. Levie, Pieter van Thiel und Ernst van de Wetering angehörten, versucht, mit möglichst genauen Beschreibungen und kontrollierbaren Ergebnissen einen definitiven Œuvrekatalog Rembrandts zu verfassen. Drei umfangreiche Teilbände (mit unter anderem Röntgen-, Infrarotaufnahmen und ausführlichen Analysen, Herkunfts- und vorbildlichen Zustandsbeschreibungen der Bilder) erschienen [2]. Ursprünglich intendierte das RRP I, das Œuvre in vier Gruppen zu teilen: eigenhändig, zweifelhaft, Produkt eines in der Umgebung von Rembrandt arbeitenden Fälschers, späte Nachahmung. In der Anlaufphase wurden nämlich bisher als echte Rembrandts geltende, stilistisch jedoch abweichende Gemälde einem Fälscher zugeschrieben. Durch dendrologische Untersuchungen stellte sich aber heraus, dass manche dieser für Fälschungen oder späte Nachahmungen gehaltenen Werke auf demselben Holz gemalt waren wie gesicherte Gemälde des Meisters. Der Unterschied musste also anders zu erklären sein. Rembrandts Werkstatt war - so wurde deutlich - nicht die eines genialen Einzelgängers, sondern unter seinem Namen wurden offensichtlich auch Werkstattprodukte verkauft, die in der Handschrift erheblich von seinem Stil abweichen konnten. Die Medien - die den hypothetischen Ausgangspunkt vieler Aussprachen nicht erkannten - feierten die Thesen des RRP I als unumstößliche naturwissenschaftliche Ergebnisse. Dagegen opponierte später zwar eine Gruppe vor allem angelsächsischer Kunsthistoriker (darunter viele Museumskuratoren) aus methodischen Gründen und aus Eigenbelang (weil die Rembrandtbestände ihrer Museen dezimiert wurden). Ihr Rembrandtbild war jedoch so weitherzig und schloss so viele Schulwerke als eigenhändig ein, dass auch ihr Gesamtbild nicht überzeugte.

Als die vier oben erwähnten älteren Mitglieder des RRP I-Teams nach zwei Jahrzehnten ihre Arbeit an dem viel zu prätentiös angelegten und daher nicht realisierbaren Projekt niederlegten, übernahm ihr jüngstes Mitglied das Erbe: Ernst van de Wetering (RRP II). Dieser warf das Forschungskonzept völlig um und widerrief eine Reihe seiner eigenen früheren Ansichten und den methodischen Ansatz, woraufhin sich seine früheren Kollegen von seinen Absichten öffentlich distanzierten. Nachdem die Ansichten des RRP I und II so - zumindest bei den Kennern - ihren Mythos als unfehlbare naturwissenschaftlich begründete Ergebnisse verloren haben, brauchen wir eine Abhandlung, die möglichst unparteiisch und allgemein verständlich den Stand der Rembrandtforschung schildert, feststellt, was heute noch als gesichertes Ergebnis gelten kann, darstellt, wo die Meinungen in der Rembrandtforschung divergieren und die Fragen formuliert, die geklärt werden müssten. Dabei müssen auch die Stimmen der Forscher gehört werden, die unabhängig vom RRP ihr Rembrandtbild beschrieben. Vor allem Ausstellungen bieten die Möglichkeit, die verschiedenen Hypothesen über das Werk Rembrandts, seine Werkstatt und seine Nachfolge, die Regeln der Werkstatt, der Ausbildung, der inhaltlichen Gestaltung zu klären. Geben sie doch dem Forscher und Kunstliebhaber Gelegenheit, Thesen, Hypothesen und Analysen anhand des Vergleichs von Originalen, Werkstattarbeiten und Nachfolgerprodukten zu überprüfen. Am meisten geeignet dazu sind Ausstellungen, die von kritischen Katalogen und Symposien der Fachleute begleitet werden, gleichzeitig das ganze Spektrum der Auffassungen verdeutlichen und damit den Dialog und Erfahrungsaustausch ermöglichen.

In zwei unter Beteiligung des RRP II entstandenen Ausstellungskatalogen, "Rembrandts Selbstbildnisse" und "Der junge Rembrandt - Rätsel um seine Anfänge", wurde von diesem Ansatz unzureichend Gebrauch gemacht [3]. Sie dienten vielmehr zu einer methodischen Selbstbestimmung des RRP II. Nur bei der zweiten Ausstellung fand ein kritischer Kongress statt, zu dem die maßgeblichen Repräsentanten der Rembrandtforschung eingeladen waren, doch blieben dessen Ergebnisse bedauerlicherweise unveröffentlicht. Insofern hatte die Ausstellung in Kyoto und Frankfurt die Möglichkeit, eine Standortbestimmung zu geben.

Doch greift Giltaij diese Möglichkeit einer kritischen Diskussion der Rembrandtforschung an exemplarischen Problemen nicht auf. Der Katalog erfüllt weithin nur die Erwartungen eines breiten Publikums: Die Exponate sind in guten Farbabbildungen abgebildet und ausführlich besprochen. Vertiefende Aufsätze zu Fragen der Forschung fehlen. Der Autor führt in sehr knappen Einführungen in jedes einzelne Jahr von Rembrandt als selbstständigem Künstler ein und stützt sich dabei vor allem auf die uns überlieferten Dokumente (11). Wenn man allerdings glaubt, auf diese Weise ein objektives Bild zu erhalten, so erliegt man einer Fiktion. Die Texte, die Rembrandt in seine Zeit einordnen sollen, bestehen bisweilen aus Zitaten der Urkunden, die seinen Werdegang und seine Bedeutung in seiner Zeit nicht beleuchten, sondern kuriose Anekdoten aneinander reihen. Dass Urkunden gewertet, gewogen, in Relation zu anderen interpretiert werden müssen, wird dabei übersehen. Nach den Minieinführungen in die Schaffensjahre des Künstlers folgen unmittelbar die ausführlichen Katalogtexte über das/die ausgestellte(n) Werk(e) des jeweiligen Jahres, sofern hierfür (ein) solche(s) verfügbar (ist) sind. In den Katalogtexten bietet Giltaij oft wertvolle Hinweise auf neuere Forschungsergebnisse und teilt auch unpubliziertes Neues mit, weil er bei den Werken ab der Mitte der Vierzigerjahre bisweilen auf unveröffentlichte Ansichten des RRP zurückgreift und sich bei seinen Zuschreibung auch der Meinung Ernst van de Weterings vergewissert.

Für alle Propagandisten einer Museums- und Ausstellungspolitik, die auf einen Verschleiß der Meisterwerke der Kunst durch ihre Vermarktung keine Rücksicht nimmt - was schon in der Doppelung des Namens "Rembrandt" zum Ausdruck kommt - ist und war die Frankfurter/Kyoter Ausstellung ein voller Erfolg. Auch der Rezensent war von der Fülle der "Rembrandts - Nicht-Rembrandts" beeindruckt.

Wer jedoch von Ausstellungen erwartet, dass sie trotz der Gefährdung für die Exponate durch den Gewinn an Erkenntnis eine deutlich konservierende Wirkung für das Gesamtwerk haben sollten, der hätte sich ein anderes Konzept gewünscht.

Anmerkungen:

[1] Gary Schwartz: Rembrandt: zijn leven, zijn schilderijen. Een nieuwe biografie met alle beschikbare schilderijen in kleur afgebeeld, Maarssen 1984; Christian Tümpel: Rembrandt. Mythos und Methode, Königstein/T. 1986, 2. rev. u. erw. Aufl. (in engl. Sprache) Antwerpen, New York 1993.

[2] Josua Bruyn u.a.: A Corpus of Rembrandt-Paintings. Stichting Foundation Rembrandt Research Project, 3 Bde., Den Haag, Boston, London 1982, 1986, 1989.

[3] Rembrandts Selbstbildnisse. Ausstellungskatalog The National Gallery, London 1999 / Mauritshuis, Den Haag 1999, Stuttgart 1999; Bernhard Schnackenburg / Ernst van de Wetering (Hg.): Der junge Rembrandt - Rätsel um seine Anfänge. Ausstellungskatalog Staatliche Museen Kassel, Schloss Wilhelmshöhe, Kassel 2001/02 / Museum het Rembrandthuis, Amsterdam 2002, Wolfratshausen 2002.


Christian Tümpel

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Empfohlene Zitierweise:

Christian Tümpel: Rezension von: Jeroen Giltaij: Rembrandt Rembrandt. Ausstellungskatalog Kyoto National Museum, Kyoto 2002/03 / Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt a.M. 2003, Wolfratshausen: Edition Minerva 2003
in: KUNSTFORM 5 (2004), Nr. 2,

Rezension von:

Christian Tümpel
Radboud Universiteit, Nijmegen

Redaktionelle Betreuung:

Dagmar Hirschfelder