Rezension

Xander van Eck / Christiane E. Coebergh-Surie / Andrea C. Gasten: The stained-glass windows in the Sint Janskerk at Gouda. The works of Dirck and Wouter Crabeth, Amsterdam: Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschapen 2002,
Buchcover von The stained-glass windows in the Sint Janskerk at Gouda
rezensiert von Sabine Rehm-Deutinger, Kleeberg

Mit dem vorliegenden Corpusband wird die Trilogie über die Glasmalereien in der Sint Janskerk in Gouda abgeschlossen, nachdem die Bände I und III bereits 1997 und 2000 erschienen sind. Der Band dokumentiert die von den Brüdern Dirck und Wouter Crabeth in den Jahren zwischen 1555 und 1572 geschaffenen 14 Fenster, die in Chorumgang (fünf Fenster), Querhaus (sechs Fenster) und Mittelschiff (drei Fenster) eingesetzt wurden. Die aus denselben Werkstätten stammenden Fenster des Chorobergadens und der Van der Vorm-Kapelle sind bereits in Band I behandelt, die derselben Verglasungsphase angehörigen, aber von anderen Meistern ausgeführten sechs Fenster des Chorumganges in Band III. Den Richtlinien des Corpus Vitrearum entsprechend teilt sich das Werk in den die einzelnen Glasmalereien dokumentierenden Katalog und in eine dessen Ergebnisse zusammenfassende und in größere Zusammenhänge stellende Einleitung.

Als unvergleichliche Kunstwerke pries Rubens während seines Besuchs in Gouda die monumentalen Fenster der Sint Janskerk. Tatsächlich hat sich in ihnen das größte Ensemble niederländischer Glasmalereien des 16. Jahrhunderts erhalten, das sich bereits einer großen zeitgenössischen Wertschätzung erfreute. Schon im 17. Jahrhundert lockte es rund 3000 Besucher jährlich an, um im 19. Jahrhundert schließlich zu einem nationalen Kunstschatz Hollands zu avancieren (zu Rezeption und Literatur: 17-20). Mit dem Ruhm der Fenster stieg derjenige der beiden Glasmaler, die von jeher - ohne die weiteren für die Janskerk tätigen Meister zu berücksichtigen - als ihre Schöpfer genannt werden: Dirck und Wouter Crabeth (zu den Künstlern und deren Stil: 48-60). Von den 14 hier behandelten Fenstern sind zehn Dirck und seiner Werkstatt, vier seinem jüngeren Bruder zuzuordnen. Die Wertschätzung der Glasmalereien wird nicht zuletzt in ihrer umfassenden Restaurierung in den Jahren zwischen 1899 und 1936 deutlich. Ihren ursprünglichen Zustand überliefern die in der Mehrzahl erhaltenen Originalkartons des 16. Jahrhunderts sowie Zeichnungen nach den Fenstern aus dem 17. und 18. Jahrhundert (20-21). Beide Bildquellen sind für die im vorliegenden Band behandelten Fenster vollständig wiedergegeben.

Für die nach der verheerenden Brandkatastrophe von 1552 notwendig gewordenen Fensterneuanfertigungen konnte eine Reihe von prominenten Stiftern gewonnen werden. Diese rekrutierten sich für die zunächst in Angriff genommene Chorverglasung (1555-1570) vornehmlich aus der hohen Geistlichkeit Utrechts, angeführt von Bischof Joris van Egmond. Die zwei bedeutendsten und zugleich größten Fenster der Janskerk in der Nord- und Südwand des Querhauses (1559 und 1563) wurden von König Philipp II. von Spanien und der Generalstatthalterin der Niederlande, Margarete von Parma finanziert. Die Querhaus- und Mittelschifffenster hingegen sind überwiegend Stiftungen des Adels und städtischer Würdenträger (21-23). Den Stiftern wurde im unteren Teil der Fenster ausreichend Platz zur Selbstdarstellung in Porträts und Wappenreihen gegeben (zur Heraldik: 60-61). Auf das Bildprogramm der Glasmalereien, dem eine wohl überlegte Gesamtkonzeption in den einzelnen Gebäudeteilen zu Grunde liegt, hatten die Geldgeber mit Ausnahme des königlichen Finanziers keinen weiteren Einfluss.

Positiv herauszustellen ist, dass sowohl in der Einleitung wie im anschließenden Katalog großer Wert auf die Einbettung der kunsthistorischen Betrachtungen in ihre historischen Zusammenhänge gelegt wurde. Dies äußert sich vor allem im Katalogteil in den sehr ausführlichen Erläuterungen zu den Stiftern und ihren Wappen. Die reichen biografischen, genealogischen und heraldischen Informationen, die manche Berichtigung in der Bezeichnung der Wappen enthalten, werden ergänzt durch zahlreiche Abbildungen von Siegeln, Grabsteinen oder Wappenbüchern. Der Heraldik ist somit neben den eigentlichen kunsthistorischen Untersuchungen ein beachtlicher Stellenwert eingeräumt worden. Zur Erschließung dieses umfangreichen Materials wäre jedoch zumindest ein Personenregister wünschenswert gewesen. Der Katalog (67-155), der die einzelnen Fenster in chronologischer Reihenfolge behandelt, enthält die üblichen Daten zu den einzelnen Glasmalereien (Künstler, Datierung, Abmessungen, Literatur, Beschreibung, Erhaltungszustand, Ikonographie, Stifter, Heraldik, Komposition, Ornament, Farbigkeit, Technik und Stil) und zudem Beschreibungen der zugehörigen Kartons. Im anschließenden Abbildungsteil (156-215) ist jedes Fenster mit vier Abbildungen vertreten: einer Gesamtansicht des Fensters, einem Bleiriss mit Angaben zum Erhaltungszustand, einer Wiedergabe des Kartons und einer Detailansicht. Abgeschlossen wird der in gewohnter Solidität ausgestattete Band mit einer verhältnismäßig knappen Bibliografie (217-225).

Umfangreiche Ausführungen widmen die Bearbeiter des Corpusbandes dem ikonographischen Gesamtprogramm, das der 1552 beginnenden und infolge des Niederländischen Unabhängigkeitskrieges 1572 zum Erliegen gekommenen Verglasungscampagne zu Grunde lag. In ihre Betrachtungen beziehen sie notwendigerweise auch die sechs nicht von den Brüdern Crabeth ausgeführten Chorfenster mit ein. Die Verglasung des Chorumgangs zeigt Szenen aus dem Leben Johannes des Täufers als dem Kirchenpatron, die in Beziehung gesetzt sind mit Ereignissen aus dem Leben Christi. Die Chorfenster betonen somit die Rolle Johannes des Täufers als dem letzten und unmittelbaren Vorläufer Christi, dessen Lebensweg nicht nur typologisch zu deutende Parallelen zu dem des Messias zeigt, sondern diesen auch faktisch kreuzt (23-36).

Ebenfalls typologisch angelegt ist das Bildprogramm der Querhausfenster, welche Moses, Salomon, Elias, Jonas und Bileam als Vorläufer Christi zeigen. Die alttestamentarischen Szenen befinden sich in den beiden großen Fenstern der abschließenden Nord- und Südwand oberhalb der neutestamentarischen Darstellungen des Letzten Abendmahls und der Fußwaschung, oder - ebenfalls auf diese Hauptbilder bezogen - in den beiden westlichen kleineren Fenstern des Querhauses. Die typologischen Bezüge beruhen hier in erster Linie auf dem gesprochenen beziehungsweise geschriebenen Wort der Propheten und Christi selbst. In den beiden östlichen Fenstern zu Zuseiten des Choreingangs (Vertreibung Heliodors aus dem Tempel; Reinigung des Tempels durch Christus) beziehen sich Typus und Antitypus hingegen auf die Handlungsanalogie (36-43). Keine näheren Aussagen lassen sich schließlich über die theologischen Überlegungen machen, die der Gegenüberstellung von alt- und neutestamentarischen Szenen in den Fenstern der Nord- und Südseite des Mittelschiffes zu Grunde lagen, da hier bis 1572 lediglich drei Fenster zur Ausführung kamen (43-46).

Der Deutung der Bearbeiter zufolge ist das Bildprogramm der Sint Janskerk nicht dezidiert gegenreformatorisch ausgerichtet. Vielmehr sei es sowohl in der Gesamtkonzeption wie in der Einzelikonographie inklusive der Anbringung zahlreicher lateinischer Bibelzitate durch eine starke Bibelnähe ausgezeichnet, die im Humanismus eines Erasmus von Rotterdam wurzele. Es ermahne, so die Quintessenz, den Gläubigen mit gewissen reformatorischen Anklängen, allein Christus und seinem Wort zu folgen, in dem sich alle Prophezeiungen erfüllen und der alle weiteren göttlichen Zeichen überflüssig mache (46-48). Nun ist freilich die heilsgeschichtliche Steigerung hin zum neutestamentlichen Antitypus durchaus das Spezifikum der typologischen Denkweise an sich und somit jedwedem, auch mittelalterlichen, typologischen Bildprogramm immanent. Zu fragen wäre hinsichtlich der Religionskämpfe des 16. Jahrhunderts dagegen, welchen Stellenwert der Glaube an ein kontinuierliches Heilshandeln Gottes, an die Einheit von Altem und Neuem Testament, aufseiten der einzelnen Konfessionen hatte, und ob hier gegebenenfalls spezifisch katholische oder protestantische Komponenten fassbar gemacht werden können. Bei der Charakterisierung des ikonographischen Programms hätte man sich dementsprechend eine deutlichere Abgrenzung zu den theologischen Konzepten mittelalterlicher typologischer Zyklen sowie den Vergleich mit zeitgleichen typologischen Kompendien und Bildfolgen gewünscht, wie sie sowohl auf katholischer als auch auf reformatorischer Seite verbreitet waren (etwa die zwischen 1543 und 1548 angefertigten Glasmalereien der Kathedrale von Segovia oder die um 1550 entstandene "Concordantz alt vnd news Testaments"). Im Hinblick auf die typologische Konzeption der gesamten Verglasung erstaunt, dass die einschlägige Literatur zu Typologie und typologischen Bildprogrammen nicht herangezogen wurde.

Auch die Feststellung, dass das Bildprogramm in einer der größten katholischen Kirchen der Nördlichen Niederlande keine gegenreformatorische Tendenz aufweise, wäre zu überdenken. Darstellungen der Reinigung des Tempels durch Christus und der Vertreibung Heliodors aus dem Tempel beinhalten im 16. Jahrhundert beispielsweise häufig glaubensverteidigende Aspekte und propagieren die Rechtmäßigkeit der katholischen Kirche. Darüber hinaus ist der rechte Glaube an Gott auch in allen anderen Szenen im Querhaus angesprochen: Beim Letzten Abendmahl fragt der Apostel Philipp nach einem Zeichen Gottvaters und empfiehlt Christus gleichzeitig den neben ihm dargestellten König Philipp II. Bei der Fußwaschung sind Gottesliebe und Nächstenliebe thematisiert. In den Darstellungen der Weihe des salomonischen Tempels und des Elias auf dem Berg Karmel nimmt Gott jeweils das Opfer der Rechtgläubigen an. Jonas und der Walfisch gelten als göttliches Zeichen, das die Männer von Ninive zum rechten Glauben bekehrt, und auch Bileams Verblendung wird durch Gottes Offenbarung geheilt.

Unbeschadet der Fragen, die sich hinsichtlich der ikonographischen Gesamtdeutung ergeben, liegt mit dem vorgestellten Band über die Sint Janskerk nunmehr ein Grundlagenwerk in abgeschlossener Form vor, das künftig durch seine sorgfältig recherchierte, detaillierte Dokumentation der einzelnen Fenster für jede Beschäftigung mit der niederländischen Glasmalerei des 16. Jahrhunderts unverzichtbare Dienste leisten wird.


Sabine Rehm-Deutinger

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Sabine Rehm-Deutinger: Rezension von: Xander van Eck / Christiane E. Coebergh-Surie / Andrea C. Gasten: The stained-glass windows in the Sint Janskerk at Gouda. The works of Dirck and Wouter Crabeth, Amsterdam: Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschapen 2002
in: KUNSTFORM 4 (2003), Nr. 5,

Rezension von:

Sabine Rehm-Deutinger
Kleeberg

Redaktionelle Betreuung:

Dagmar Hirschfelder