Rezension

Kathrin Reeckmann: Anfänge der Barockarchitektur in Sachsen. Johann Georg Starcke und seine Zeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2000,
Buchcover von Anfänge der Barockarchitektur in Sachsen
rezensiert von Eva-Maria Seng, Institut für Kunstgeschichte, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg

"Nach Jahrzehnten weitgehender Vernachlässigung" (243) gegenüber der Architektur des 17. Jahrhunderts in Deutschland durch die Kunstgeschichtsschreibung erwartet man Einiges von einem Buch, das nicht nur eine Monografie zum Werk Johann Georg Starckes liefern möchte, der als Ingenieur, Oberlandbaumeister und schließlich Leiter des kursächsischen Oberbauamtes die staatliche und insbesondere höfische Baukunst in Sachsen von 1663 bis 1695 maßgeblich prägte, sondern das auch noch dieses Œuvre in die "reichische Architektur des 17. Jahrhunderts" einordnen möchte.

Diese beiden Teile - Monografie und allgemeine Bedingungen der Architektur im 17. Jahrhundert, wie Auftraggeber, Architekten und Architekturtheorie - bestimmen dann auch den Aufbau des Buches. Jedoch entfallen etwa fünf Sechstel des Textes auf den ersten Bereich; lediglich ein Sechstel der Arbeit oder etwa 50 Seiten behandeln die restlichen Gegenstände. Damit sind wir auch schon bei den Stärken und Schwächen des Buches. Der Autorin ist es trefflich gelungen, die noch vorhandenen Archivalien zu recherchieren und die Quellen aufzuarbeiten. Hier handelt es sich insbesondere um Bestände des Sächsischen Hauptstaatsarchivs, des Dresdner Stadtarchivs und der Württembergischen Landesbibliothek - die Akten des Sächsischen Bauamtes hat ein Brand im Jahre 1728 vernichtet.

Diese Materialien führen zu einer wirklich lesenswerten Monografie über Johann Georg Starcke und die wichtigsten höfischen Bauten Dresdens wie das Lusthaus im italienischen Garten, das Palais im Großen Garten sowie auch die Börse in Leipzig, ein Projekt für die bürgerlichen Großhändler der bedeutendsten sächsischen Handelsmetropole, das nun nach der Zuschreibung der Verfasserin nicht auf Starcke selbst zurückzuführen, jedoch auch in Abhängigkeit zur Dresdner Architektur zu sehen ist. Kathrin Reeckmann gelingt es anhand der Analyse der Bauten, schlüssig den Wandel der Orientierung an italienischen Bauten des Cinquecento und vor allem den Villen Palladios beim Bau des Lusthauses im italienischen Garten 1665-1668 hin zu einer Aufnahme von französischen Formen, gepaart mit zeitgenössischer römischer Architektur, beim Bau des Palais im Großen Garten zehn Jahre später 1676-1691 nachzuzeichnen. Als Ursachen für diese Umorientierung benennt sie die politische Situation nach dem Dreißigjährigen Krieg, den Aufstieg Frankreichs zur Großmacht und den Anspruch Sachsens, nun im Kreise dieser europäischen Mächte seinen Platz einzunehmen, den es auch architektonisch zum Ausdruck bringen wollte. Zugleich erreicht sie so ihr Ziel, Johann Georg Starcke und die Dresdner höfische Architektur als wichtige Vorboten des Hochbarocks im Deutschen Reich aufzuzeigen.

Dagegen fällt der zweite Teil nicht nur etwas kurz aus, sondern bisweilen auch fehlerhaft. So wertet sie Joseph Furttenbachs zahlreiche architekturtheoretische Schriften als "Ventilfunktion für mangelnde Aufträge", offensichtlich ohne die Position und den Aufgabenbereich eines patrizischen Stadtbaumeisters in Ulm richtig zu kennen. Denn dabei handelt es sich wie schon im Falle Endres Tuchers im Nürnberg des ausgehenden 15. Jahrhunderts um eine Beaufsichtigung des städtischen Bauwesens in rein verwaltungsmäßigem Sinne ohne praktische Bautätigkeit. Dementsprechend setzt sich diese Fehleinschätzung auch im Verhältnis Elias Holls und Marx Welsers im Zusammenhang mit den Baumaßnahmen in Augsburg und insbesondere dem Rathausbau fort. Holl war nämlich nicht Stadtbaumeister, sondern Stadtwerkmeister, und Welser war einer der vorgesetzten patrizischen Baumeister.

Was neben diesen Ungenauigkeiten des zweiten Teils noch zu bemerken wäre, ist dessen mangelnde Verknüpfung mit dem ersten Teil, dem Werk Starckes, der Dresdner Baukunst und Kursachsens überhaupt. So hätte sich die Autorin - falls sie wirklich die "Veränderung von Geschmacksnormen und Konventionen an den führenden Fürstenhöfen des Reiches" untersuchen und herausarbeiten hätte wollen - mit vergleichbaren Territorien, etwa Bayern, Brandenburg und anderen befassen müssen. Schließlich hätte dann auch die jeweilige politische Stoßrichtung - falls eine solche Auswirkungen auf die Baukunst hatte - genauer herausgearbeitet und benannt werden müssen. Dabei wäre es klug gewesen, ebenfalls nur die Jahrzehnte Starckes und damit den Zeitraum des ersten Buchteils auch dem zweiten Teil als Rahmen zu Grunde zu legen und nicht hier auf einmal trotz der Kürze des Kapitels das gesamte 17. Jahrhundert, ja sogar noch teilweise das ausgehende 16. Jahrhundert zu betrachten.

Entweder hätte also dieser zweite Teil einerseits eingeschränkt und andererseits deutlich ausgeweitet werden sollen, oder man hätte besser auf ihn verzichtet. Allemal wäre eine Fokussierung auf ihren Hauptgegenstand - das Werk Starckes und die kursächsische Rolle innerhalb des Barocks - auch in diesem Teil wünschenswert gewesen. Dennoch ist es ein unbestreitbares und nochmals hervorzuhebendes Verdienst der Dissertation, die Bauten Johann Georg Starckes in Dresden aufgearbeitet und auch die noch auffindbaren Zeichnungen publiziert zu haben, um damit für die Erforschung der barocken Hofbaukunst eine Lücke zu schließen.


Eva-Maria Seng

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Empfohlene Zitierweise:

Eva-Maria Seng: Rezension von: Kathrin Reeckmann: Anfänge der Barockarchitektur in Sachsen. Johann Georg Starcke und seine Zeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 5,

Rezension von:

Eva-Maria Seng
Institut für Kunstgeschichte, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg

Redaktionelle Betreuung:

Hubertus Kohle