Rezension

Thomas Brachert: (Hg.) Lexikon historischer Maltechniken. Quellen, Handwerk, Technologie, Alchemie, München: Georg D. W. Callwey 2000,
Buchcover von Lexikon historischer Maltechniken
rezensiert von Carolin Bohlmann,

In den seltensten Fällen sind Lexika Bücher, die man verschlingt oder eingehend studiert. Aber es gibt Ausnahmen, bei denen eine alphabetische Aufzählung weder pedantisch noch belehrend wirkt. Das "Lexikon historischer Maltechniken" von Thomas Brachert ist ein solches Buch. Es bietet eine umfangreiche Materialsammlung zur Geschichte der Kunsttechnik, die scheinbar entfernte und weit zurückreichende Quellen einbezieht. Sämtliche Begriffe, die mit Materialien, Geräten oder der Herstellung von Kunstwerken zu tun haben, werden hier lexikalisch und nach Stichworten angelegt aufgeführt. Auch die Erforschung künstlerischer Techniken findet hier eine gleichsam sortierte und unterschiedene Erwähnung über die Zusammenschau sämtlicher Bereiche, die durch die Kenntnisse der Maltechnik überliefert sind, wie die der untersuchten Kunstwerke selbst.

Die schriftlichen überlieferungen der Handwerkstraktate und all der anderen philologischen und naturwissenschaftlichen Quellenschriften ergänzen und stützen die reiche Sammlung. Die Zusammensicht der weit verstreuten Wissensgebiete ist beeindruckend, und der Autor betont auch im Vorwort die notwendige Interdisziplinarität, die diesem Projekt zum Gelingen verhalf. Zu den verschiedenen Bereichen gehören sowohl die Botanik mit den für künstlerische Zwecke genutzten Pflanzen zur Materialgewinnung, wie auch die Zoologie, ferner die Geologie und Mineralogie vieler Farbmittel und des damit verbundenen Bergwerks- und Hüttenwesens. Weiterhin zählt dazu die Metallurgie und das Gießereiwesen wie die Alchemie, die historische Chemie und natürlich die Pharmazie. Hinzu kommt die Entwicklung der verarbeitenden Kunsthandwerke, wie jene der die Materialien des Künstlers produzierenden Industrien. Trotz der immensen Breite der aufgezählten Wissenschaften bildet stets die Maltechnik den Fokus der Abhandlung mit detaillierten Beschreibungen zu Farbenherstellung, Zubereitung der Bindemittel, der öle, Temperen, Lacke, Firnisse, Metalllegierungen und Blattmetalle. Das Lexikon ist ein historisch-technisches Kompendium, das mit vielfältigen Querbezügen außergewöhnliche und interdisziplinäre Verbindungen knüpft und dadurch die Neugierde des Lesers wach hält.

Exotische Namen und altmeisterliche Rezepturen werden alphabetisch in einer großen Fülle ausgebreitet: Man erfährt alles über die Herkunft und Herstellung von Malmaterialien. Hierzu gehört in den meisten Fällen die etymologische Provenienz, die Vorkommen, die Gewinnung und Verarbeitung und vor allem auch die Erwähnung in alten Traktaten, Handwerksfibeln und Malerbüchern. Historische Zeichnungen und Stiche von Pflanzen oder Produktionsvorgängen aus mittelalterlichen Handbüchern illustrieren einzelne Stichwörter auf anschauliche Weise. So erfährt man beim Lesen so ungewöhnliche Dinge wie zum Beispiel, dass der Aschebedarf in der alten Technologie auf Grund seiner basischen Eigenschaften kaum zu stillen war. Um den begehrten Bedarf zu decken, bestand an vielen Orten eine Abgabepflicht. Man unterschied rein empirisch nach Qualitäten und Eigenschaften und testete sie beispielsweise mit der Zunge auf ihre Schärfe. Asche aus Brasilholz bildete die Grundlage für die Gewinnung von Farben wie Rot oder für violettbraunen Lack wie auch für das Berliner Blau.

Aber auch die historischen Malgeräte, Atelierausstattungen und sogar die chemischen Geräte finden mit ihren alten Bezeichnungen Erwähnung: So liest man beispielsweise unter 'R': "Rosenhut: 'Rosenhuet (...) dardurch man wasser prennet' (Liber, 217n). Ein dem Alembicus (Alembic) ähnlicher alchemistischer Destillierkolben." Dem Verweis auf Alembic folgend, liest man folgendes: "'Alembic: Der helm des Destillierapparates, von al anbig (arab.). Das Geschirr darinn man Wasser brennt' (Birelli 1654, S. 17)." Durch die zahlreichen Verweise angeregt, blättert man vor und zurück in dem Lexikon, streift abenteuerliche Tiernamen, entdeckt verwunschene Kräuter und vertraute Ingredenzien in ungeahnten Metamorphosen, wie zum Beispiel Beinschwarz, welches aus "gebrannten hammelfüssen" hergestellt wurde. Nicht enden wollend sind die überraschungen, woraus Materialien für die Kunst gewonnen wurden: Farbe extrahierte man aus alten Lumpen, bevor diese in der Papierherstellung verwendet wurden. Aus ägyptischen Mumien ließ sich eine schöne schwarzbraune Farbe gewinnen, und selbst Urin, weißer Hundekot, Läuse, Ohrenschmalz und alte stinkende Stiefel fanden Verwendung.

Aber auch detaillierte Beschreibungen alter Kunsttechniken finden ihre umfassende Erwähnung, wie zum Beispiel die Enkaustik: "Bezeichnet eine Wachsmalerei, von griech. enkaustikos = eingebrannt, die als Schmelz- und Einbrenntechnik ausgeführt wurde, mittels Bienenwachs oder Punischem Wachs und eventuellen Zusätzen wie Harzen, ölen, Carnaubawachs und Pigmenten. Zusätze von trocknenden ölen machten das Wachs pastiger und bewirkten auf die Dauer eine Durchhärtung (Plinius XXXIII, 122). Das Material wurde entweder heiß mit dem Pinsel auf eine erwärmte Malfläche aufgetragen oder mit einem erhitzten Spachtel oder Löffelchen, dem Cauterium, modellierend verteilt bzw. heute auf Stein mittels der Lötlampe aufgebrannt (...)." Mit einem ausführlichen Literaturanhang, überlieferten Quellen, wie auch aktuellen Aufsätzen und einer Farbtafel, die ein Beispiel enkaustischer Malerei präsentiert, wird dieses Stichwort von allen Seiten erhellend dargestellt. Weitere Farbtafeln im Mittelteil des Buches dokumentieren die verschiedenen Maltechniken und demonstrieren auch Arbeitsvorgänge. Hierbei kommen unter anderem Lüstermalerei, Musierung, Polimentvergoldung, Primamalerei, Scaliogla und die Technik der Wachsbrokatherstellung zur Darstellung. Auch Fotografien aus der Gemäldeuntersuchung zeigen maltechnische Einzeluntersuchungen. Einschlägige Abbildungen von fotografischen Flächen- und Tiefenaufnahmen (Röntgen- beziehungsweise Infrarotbilder) demonstrieren Untermalungen und Schadensbefundsituationen an Gemälden und polychromen Skulpturen.

Im Anhang befindet sich eine übersichtliche Auflistung aller Quellenschriften, die der Autor zitiert. Diese unterscheidet eine ausführliche Liste der historischen Traktate, Handwerksvorschriften und Malerbücher und eine sehr weitreichende übersicht über die Spezialliteratur zur Kunsttechnologie und Maltechnik im Besonderen.

Weiterhin beinhaltet das Lexikon eine aktuelle und übersichtlich gestaltete CD-ROM. Sie ermöglicht neben dem alphabetischen einen thematisch geordneten Zugriff auf die Stichworte des Lexikons. In einem Kategoriensystem werden folgende Hauptpunkte unterschieden: Bindemittel - Farbstoffe - Kunsttechnik - Lösemittel - Materialien - Pigmente. Für jeden dieser Bereiche ergeben sich weitere Untergliederungen, die den jeweiligen Stichwort zugeordnet sind. Sämtliche Informationen sind mit Suchbegriffen abrufbar. Die CD-ROM liefert zudem zahlreiche interessante Verknüpfungen auf Internetseiten.

So bietet das Buch dem Leser ein breites Spektrum, welches die Lebendigkeit historischer Maltechniken und handwerklicher überlieferungen widerspiegelt. Es vermittelt eine Fülle unentbehrlicher und interessanter Informationen für die praktische Kunstbetrachtung, deren Kenntnis auch dem Theoretiker so manches Mal von Nutzen ist.


Carolin Bohlmann

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Empfohlene Zitierweise:

Carolin Bohlmann: Rezension von: Thomas Brachert: (Hg.) Lexikon historischer Maltechniken. Quellen, Handwerk, Technologie, Alchemie, München: Georg D. W. Callwey 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 5,

Rezension von:

Carolin Bohlmann

Redaktionelle Betreuung:

Hubertus Kohle