Rezension

Thomas Ketelsen: Rembrandt, oder nicht? Hamburger Kunsthalle: Die Gemälde. Katalog zur Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle, 15. Oktober 2000 bis 21. Januar 2001, Ostfildern: Hatje Cantz 2000,
Buchcover von Rembrandt, oder nicht? Hamburger Kunsthalle: Die Gemälde
Anne Röver-Kann: Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten. Katalog zur Ausstellung in der Kunsthalle Bremen, 15. Oktober 2000 bis 21. Januar 2001, Ostfildern: Hatje Cantz 2000,
Buchcover von Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten
rezensiert von Martin Papenbrock, Institut für Kunst- und Baugeschichte, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Nicht von ungefähr ist es immer wieder das Werk Rembrandts, an dem sich seit Jahrhunderten die kennerschaftliche Diskussion entzündet. Wie kaum ein zweiter Künstler - das hat uns Svetlana Alpers in ihrem Band "Rembrandt's Enterprise" (Chicago 1988) vor Augen geführt - verstand es Rembrandt, mit den Arbeiten seiner Werkstatt ein eigenes Label zu begründen, das seinen Namen trug. Mit der organisierten künstlerischen Reproduktion seiner "wyse van schilderen" verstärkte er seine Präsenz auf dem Markt und steigerte den Umsatz und den Gewinn seiner Werkstatt, ohne dass das einzelne, unter seinem Namen angebotene Kunstwerk an Originalität und Aura verlor. Die Ungewissheit, ob und bis zu welchem Grad es sich bei dem einzelnen Bild um ein eigenhändiges Werk des Meisters handelte, schien die Phantasie der Betrachter eher zu beflügeln als ihr Interesse sinken zu lassen.

Dieses Interesse weckende Moment in der Frage nach der Autorschaft eines Kunstwerks ist bis heute wirksam. Die Hamburger Kunsthalle und die Kunsthalle Bremen machten es sich in einer gemeinsamen Ausstellung zu Nutze, um neben ihren wenigen Rembrandt-Originalen auch die vielen ehemals zugeschrieben Arbeiten aus dem Umkreis des Meisters aus ihren Beständen präsentieren zu können. Die Hamburger Kunsthalle zeigte Gemälde, Rembrandts Simeon und Hanna im Tempel (um 1627) und das Bildnis des Maurits Huygens (1632), neben 18 weiteren Bildern aus dem Umfeld Rembrandts, während die Kunsthalle Bremen für die Zeichnungen zuständig war. 100 Blätter wurden in Bremen ausgestellt, darunter etwa 20, die als Originale Rembrandts angesehen werden können. Die leitende Fragestellung, Rembrandt oder nicht?, ist - wie ausgeführt - alles andere als neu und originell, aber sie wurde von den Ausstellungsmachern (Thomas Ketelsen in Hamburg und Anne Röver-Kann in Bremen) sehr geschickt umgesetzt: Die Fragen nach der Autorschaft des Künstlers und der Kennerschaft des Betrachters wurden nicht neu diskutiert, sondern sie wurden vernünftigerweise historisiert und als ein Aspekt der Sammlungsgeschichte der beiden Häuser aufgearbeitet.

In einem sehr schönen, einführenden Aufsatz im Hamburger Katalog versucht Thomas Ketelsen, die Rembrandtsche Reproduktionspraxis ebenso wie die kennerschaftliche Rezeption seiner und der ihm zu- und abgeschrieben Werke vor dem Hintergrund der künstlerischen Ausbildungspraxis im 17. Jahrhundert, der Marktmechanismen und der älteren und jüngeren Kunsttheorien, insbesondere mit Blick auf die Begriffe der Nachahmung, der Manier und des Stils, zu beleuchten. Kritisch und sehr differenziert erläutert er die objektiven und subjektiven Kriterien der Sicherung von Kunstwerken, die Kriterien der Kennerschaft und der Stilkritik und ihre Bedeutung als Paradigmen früherer und heutiger Museumsarbeit. Am Beispiel der ausgestellten Gemälde rekonstruiert er die Indizienbeweise für oder gegen die Autorschaft Rembrandts und macht so das Konzept der Ausstellung durchsichtig und die Fragestellung "Rembrandt oder nicht?" für den Besucher der Ausstellung bzw. den Leser des Katalogs nachvollziehbar.

Versucht Ketelsen in seinem einführendem Aufsatz das Verhältnis von künstlerischer Reproduktion und Originalitätsdiskursen durch die Einbeziehung kunsttheoretischer Modelle und theoretischer Konzepte der frühen Kunst- und Museumswissenschaft zu klären, begreift Anne Röver-Kann in ihren einführenden Texten des Bremer Katalogs das Phänomen eher als das Ergebnis einer künstlerischen und musealen Praxis: der Praxis des Kopierens als Bestandteil des Ausbildungs- und Werkstattbetriebs des 17. Jahrhunderts und der Praxis des Sammelns und Dokumentierens der Kunstwerke im Museum. Die Grenzen der dokumentarischen Bearbeitung der Werke und der exakten Bestimmung ihrer Autorschaft und Provenienz sind ihr dabei ebenso bewusst wie die Grenzen der Stilkritik, und zwar ganz einfach aus der Kenntnis der Sammlungs- und Rezeptionsgeschichte der Werke heraus. Dies im Katalog herausgestellt und transparent gemacht und den Exponaten damit eine ganz spezifische Geschichte gegeben zu haben, gehört zu den Verdiensten der Ausstellung.

Nicht gefragt wurde nach den materiellen Interessen, die hinter der künstlerischen Praxis der Reproduktion, vor allem aber hinter den Originalitätsdiskursen und der kennerschaftlichen Diskussion über Kunst standen und stehen. Dies hätte deutlicher thematisiert und kritischer reflektiert werden können. Das Thema "Rembrandt oder nicht?" wurde als ein künstlerisches und ein wissenschaftliches Problem behandelt, es hat aber auch eine materielle Dimension, sowohl für Rembrandt und seine Mitarbeiter, für die zeitgenössischen Käufer und Sammler als auch für die heutigen Sammler und Museen. Es wäre einmal zu fragen, wer eigentlich von den Originalitätsdiskursen, von den Zu- und Abschreibungen profitiert hat und immer noch profitiert und um welche Summen es dabei konkret geht. Oder ist es verpönt, im Zusammenhang mit Kunst über Geld zu sprechen?

Im Hinblick auf eine Sozialgeschichte der Kunstbetrachtung (die noch nicht geschrieben ist) wäre aber auch die Frage zu stellen, wer im Rahmen einer kennerschaftlichen Kunstbetrachtung die Kriterien der Bildwahrnehmung und des Bildverstehens bestimmt und über sie verfügt, wer also auf dem Feld der visuellen Wahrnehmung die Normen setzt, wer im Rahmen dieser Praxis - gesellschaftlich gesehen - davon profitiert und wer ausgeschlossen bleibt. Das alles sind Fragen, die weit über den Fall Rembrandts und der Rembrandt-Rezeption hinausweisen. Das Thema der Originalität, der Urheberschaft und der Authentizität von Bildern, aber auch der Nachprüfbarkeit und Verifizierung dieser Eigenschaften ist keines, das nur das 17. Jahrhundert betrifft. Im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit von Bildern ist es aktueller denn je. Insofern haben die Hamburger Kunsthalle und die Kunsthalle Bremen ein brisantes Thema aufgegriffen, ohne allerdings den Brückenschlag vom historischen Gegenstand zu den aktuellen Diskussionen zu wagen.


Martin Papenbrock

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Empfohlene Zitierweise:

Martin Papenbrock: Rezension von: Thomas Ketelsen: Rembrandt, oder nicht? Hamburger Kunsthalle: Die Gemälde. Katalog zur Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle, 15. Oktober 2000 bis 21. Januar 2001, Ostfildern: Hatje Cantz 2000
Anne Röver-Kann: Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten. Katalog zur Ausstellung in der Kunsthalle Bremen, 15. Oktober 2000 bis 21. Januar 2001, Ostfildern: Hatje Cantz 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 3,

Rezension von:

Martin Papenbrock
Institut für Kunst- und Baugeschichte, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Redaktionelle Betreuung:

Peter Helmberger