Rezension

Hartmut Laufhütte: (Hg.) Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit. 9. Kongress des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Barockforschung in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 31. Juli bis 2. August 1997, Wiesbaden: Harrassowitz 2000,
Buchcover von Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit
rezensiert von Irmgard Müsch, Landesmuseum Württemberg, Stuttgart

Die vom Wolfenbütteler Arbeitskreis für Barockforschung organisierten Kongresse sind Veranstaltungen höchster Produktivität, zu denen die sonst in alle Himmelsrichtungen verstreuten Germanisten, Philosophen, Musik- und Kunsthistoriker strömen. Mit den beiden Bänden "Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit" fand nun der 9. Kongress dieser Art seinen eindrucksvollen Niederschlag. Während der Kongress allerdings durch interdisziplinäre Dialoge in Diskussionen und informellen Begegnungen seine besondere Atmosphäre erhielt, argumentieren die nun publizierten Vorträge überwiegend fachimmanent. Angesichts der fast barocken Fülle von 66 Beiträgen in sechs Abschnitten, die um die theoretische Fundierung der Künste, besonders in ihrem Verhältnis zur Natur, kreisen, können hier nur einige Aufsätze beispielhaft besprochen werden. Die große Bedeutung der Naturnachahmung, der Mimesis, in diesen Diskursen, spiegelt sich in zahlreichen Beiträgen. Zunächst fragt Wilhelm Schmidt-Biggemann, welche Natur denn eigentlich nachgeahmt wurde. Er konstatiert, dass die Künstler keine Physiker oder Astronomen gewesen seien und sich auf "die Natur der vorcartesianischen Epoche" (S. 133) bezogen hätten - eine Natur, die theologisch geprägt gewesen und nicht auf Basis ihrer Berechenbarkeit wahrgenommen worden sei. Dass dieser Naturbegriff, wie ihn Schmidt-Biggemann fasst, zumindest für die Bildende Kunst zu kurz greift und das mechanische Kosmosmodell durchaus Relevanz für die Künstler hatte, belegen die omnipräsente Metapher vom göttlichen Werkmeister, dem die Künstler nacheifern, der Eingang des machina-Begriffs in die Kunsttheorie oder die mathematische Fundierung von Optiktheorien und Perspektivkonstruktionen. Auch die von Birgit Franke vorgestellten Apparaturen, die in der Gartenkunst zur Anwendung kamen, sind "Ausdruck des mechanistischen Weltbildes." (S. 1080).

Mit dem Bedeutungszuwachs der Anatomie erklärt Claudia Benthien in einer interdisziplinär angelegten Studie die seit etwa 1500 zunehmenden Darstellungen der Marsyas-Schindungen, in denen der Sartyr zum "anatomischen Demonstrationsobjekt" (S. 336) wurde. Diese Interpretation erweitert Benthien durch eine These zum sich wandelnden und noch unsicheren Künstlerselbstverständnis. Sowohl in Apoll, der in einigen Bildbeispielen Marsyas wie ein Bildhauer aus der tierischen Hülle schält und somit die Natur purifiziert, als auch im dionysischen Marsyas fand der Künstler Identifikationsmomente in seiner Suche nach einer neuen Rolle.

Das Ziel, den Künsten einen höheren Rang zuzuweisen, verfolgen zahlreiche kunsttheoretische Traktate der frühen Neuzeit. Einigen wohlbekannten Klassikern dieses Genres konnten neue Aspekte abgewonnen werden. Beispielsweise zeichnen Kristine Patz und Ulrike Müller Hofstede die Wege der Textüberlieferung von Albertis De Pictura und De Statua nach, die vor ihrer Drucklegung Mitte des 16. Jahrhunderts in Abschriften zirkulierten und die kunsttheoretischen Debatten beeinflußten. In seiner Analyse von Joachim von Sandrarts Teutsche Academie (1675-79) kontrastiert Karl Möseneder dessen biographisch strukturierte Kunstgeschichte mit ihrem Vorbild, den 1550 zuerst erschienenen Viten Giorgio Vasaris. Ließ Vasari die Kunstentwicklung auf einen Höhepunkt in seinem Zeitgenossen Michelangelo hinauslaufen, stand Sandrart vor der Notwendigkeit, die Kunst nach Michelangelo zu erklären und zu legitimieren. Mit dem Topos der "vielfältigen und fortdauernd gebärenden Mutter Natur" (S. 172), der natura naturans, verband Sandrart die Auffassung, die Kunst habe sich stetig zu verändern und der Künstler sich nicht an alte Gewohnheiten zu binden. Dieser Vorstellung einer positiv zu bewertenden Vielfalt der fortwährenden Kunstentwicklung trug Sandrart in seiner Arbeitsweise Rechnung. Die Teutsche Academie ist kein in sich geschlossener Text eines Autors. Die Künstlerbiographien wurden von vielen Verfassern geschrieben und addieren sich zu einem prinzipiell erweiterbaren Werk, das der Mannigfaltigkeit der Phänomene Rechnung trägt. Eine glückliche Ergänzung erfahren die Ausführungen Möseneders durch den Beitrag von Doris Gerstl. Sie zeigt, dass in Sandrarts Werk sehr unterschiedliche kunsttheoretische Positionen nebeneinander Platz haben. Betont Sandrart die Rolle von Naturnachahmung und Farbgebung, so vertritt der schwedische Hofmaler David Klöckner in seinen Texten die idealistische Position G. P. Belloris und unterstreicht die Bedeutung der Zeichnung.

Als textunabhängig formulierte Position zum Paragone-Streit interpretiert Kerstin Schwedes zwei Skulpturen Michelangelos, die römische Pietà und den Christus in Santa Maria sopra Minerva. Das dort äußerst reflektiert eingesetzte Mittel der Mehransichtigkeit strukturiert die Bildaussage in eine sukzessive erfahrbare 'historia' und führt somit die inhaltlichen Ausdrucksmöglichkeiten von Skulptur vor.

Zur Verteidigung von Michelangelos Jüngstem Gericht setzte Vasari in der zweiten Auflage der Viten (1568) an. Wie Roland Kanz herausarbeitet, setzte er gegen den Capriccio-Vorwurf der Kritiker, die in dem Werk künstlerische Willkür walten sahen, eine positive Deutung des Begriffes Capriccio. In den ungewöhnlichen Erfindungen sei im Fall Michelangelos kein Verstoß gegen das decorum zu sehen, vielmehr seien diese schöpferischen Einfälle Teil der künstlerischen Freiheit, die es dem Künstler ermöglichten, neue Bilder zu finden und die Kunst weiter zu entwickeln.

Mehrere Beiträge widmen sich gegenreformatorischen Positionen zur Kunst. In Bezug auf die Wirkungsästhetik stellt Jens M. Baumgarten eine "analoge Konzeption von sakraler Rhetorik und sakraler Kunst" (S.524) fest. Da neben Predigten auch Bilder zur moralischen Lenkung eingesetzt werden sollten, nahmen der Jesuit Gian Domenico Ottonelli und der Maler Pietro da Cortona die zeitgenössische Kunsttheorie auf und erweiterten sie um eine christliche Dimension. Wie Elisabeth Oy-Marra feststellt, deuten sie in dem Traktat "Della pittura et scultura. Uso e abuso loro" (1652) den zunächst ästhetisch determinierten Grundsatz, der Künstler habe die Natur in seiner Kunst zu verbessern, moralisch um. Nach ihrer Auffassung habe der christliche Künstler "mittels kritisch-moralischer Selektion eine zweite, von allen Sünden geläuterte keusche Natur zu erschaffen" (S.442).

Diese wenigen Bemerkungen mögen zeigen, dass unter dem sehr weitgefassten Thema des Kongresses eine Vielzahl von zumeist sehr kenntnisreichen Einzelstudien Platz gefunden haben, die einen schier unerschöpflichen Fundus an Material und wertvolle Anregungen bieten. Die von Hartmut Laufhütte zum Kongressauftakt postulierte "Gelegenheit zum Bilanzieren" (S. 25) ist hervorragend genutzt worden. Wünschenswert wäre es allerdings gewesen, mit übergreifenden Einführungen in die Sektionen Querverbindungen zwischen den vielen Beiträgen zu schaffen und die interdisziplinären Diskussionsergebnisse widerzuspiegeln.


Irmgard Müsch

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Irmgard Müsch: Rezension von: Hartmut Laufhütte: (Hg.) Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit. 9. Kongress des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Barockforschung in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 31. Juli bis 2. August 1997, Wiesbaden: Harrassowitz 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 3,

Rezension von:

Irmgard Müsch
Landesmuseum Württemberg, Stuttgart

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Jan Mohr