Rezension

Oskar Bätschmann / Christoph Schäublin: (Hg.) Leon Battista Alberti. Das Standbild. Die Malkunst. Grundlagen der Malerei, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000,
Buchcover von Leon Battista Alberti
rezensiert von Johannes Myssok, Kunstakademie, Düsseldorf

Auch wenn die Kunstgeschichte Italiens an bundesdeutschen Hochschulen auf dem Rückmarsch scheint, gibt es doch immer wieder deutschsprachige Publikationen, die deutlich auf ein gegenteiliges Bedürfnis und auf den nach wie vor grundlegenden Charakter der Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte Italiens verweisen. Gerade im Kontext der jüngeren, stark auf Frankreich fokussierten Forschung zum Historienbild wird es trotz allem wohl niemanden geben, der ohne die Kenntnis derjenigen Schrift auskäme, die den Begriff der 'Historia' grundlegend einführte: Leon Battista Albertis 'De Pictura'.

Was vielleicht auf den ersten Blick wie hehre Grundlagenforschung wirken mag, erweist sich damit als ein Unternehmen, das weit über die Textkritik und die Kunsttheorie im strengeren Sinne hinausdeutet und der aktuellen Kunstgeschichte eine Vielzahl von Impulsen zu geben vermag. Für den deutschen Sprachraum stellt die kritische Edition und Neuübersetzung der drei Texte 'De Statua', 'De Pictura' und 'Elementa Picturae' ein lang gehegtes Desiderat dar, das vielleicht nur von demjenigen nach einer deutschen Vasari-Ausgabe übertroffen wird. Denn immerhin liegt die letzte deutsche Edition von 'De Pictura' und 'De Statua' über einhundert Jahre zurück, als beide in Eitelbergers 'Quellenschriften zur Kunstgeschichte' erschienen; die 'Elementa' sind ein völlig neu edierter Text, der jedoch als wenig bekannte und rezipierte Ergänzung zu 'De Pictura' instruktiv ist.

Als textkritische Edition dreier Basistexte der Kunsttheorie konzipiert, fügt sich der Band einerseits in die bereits vorhandenen Schriftensammlungen des Herausgebers Oskar Bätschmann in der 'Bibliothek der Kunstliteratur' zur Renaissance und zum (Früh-) Klassizismus, andererseits unterscheidet er sich doch auch deutlich von diesen Sammlungen in der Konzentration und eindeutig forschungsbezogenen kritischen Edition der Texte mit Lesartvarianten, was im Detail Kristine Patz zu verdanken ist. Die Publikation ist zugleich umfassend und um Präzision bemüht.

Auf eine Einleitung Bätschmanns (hierzu weiter unten) folgen die Texte in paralleler Anordnung des lateinischen Originals und der deutschen übersetzung, jeweils abgeschlossen durch einen knappen Kommentar, der die Hauptthemen der einzelnen Abschnitte überschriftartig gliedert und auf Grundlage der jeweils neuesten Forschung beleuchtet. Im Weiteren zur Textedition zu zählen ist der 'Dokumente' überschriebene Teil, der im wesentlichen die Widmungsschreiben Albertis und diejenigen der verschiedenen übersetzungen enthält. über den Sinn dieser Herauslösung von im Falle Albertis eigentlich meist integrativ zum Text gehörenden Bestandteilen mag man streiten, doch scheint es zumindest durch die eigene Textsorte dieser Schriften gerechtfertigt, wenn auch hierdurch dem Alberti-Neuling einige wichtige Gedanken verloren gehen werden, die hier quasi als Proömium geäußert werden. Aber der Neuling ist wohl kaum das Zielpublikum der Edition.

Dies dürfte spätestens bei einem Blick auf die eindrucksvollen Apparate des Bandes deutlich werden, in denen nicht nur eine Vollständigkeit anstrebende (und wohl auch erreichende) Zusammenstellung aller Manuskripte und der gedruckten Ausgaben in den europäischen Sprachen zu finden ist, sondern auch eine fünfzigseitige Bibliographie, abgerundet durch ein Register, das zunächst für die einzelnen Texte und sodann als alphabetischer Gesamtindex den Weg zu einzelnen zentralen Begriffen bahnt.

Gerade an dieser Stelle erhebt sich eine grundsätzliche Frage an diese Form der Textedition, diejenige, ob denn eine ausschließliche Printausgabe in den Zeiten des e-books und elektronisch lesbarer Editionen wie etwa die CD-ROM der "Art-Theorists of the Italian Renaissance", ja frei im Internet verfügbarer Alberti-Texte (http://www.liberliber.it/biblioteca/index.htm) noch zeitgemäß sei. Wie weit die Welt der kunsthistorischen Textkritik der elektronischen Edition abwehrend gegenübersteht, bewies nicht zuletzt der große und teure Wortindex Paola Barocchis zu ihrer Vasari-Ausgabe, den jedermann (vielleicht sogar spezifischer) hätte erstellen können, vorausgesetzt, er hätte Zugang zu dem bestens gehüteten elektronisch lesbaren Text gehabt. Auch im Falle Albertis ist der Gedanke äußerst reizvoll, über einfache Suchanfragen die präzisen Textstellen und ebenso den Kontext und die Abwandlungen der verschiedenen Termini aufspüren zu können, was in der gegenwärtigen Form der genauen Lektüre überlassen bleibt. Gleichwohl bietet das Register für die wichtigsten Begriffe eine zuverlässige Zugriffsmöglichkeit, und schließlich sollte angesichts der neuen Medien und ihren Möglichkeiten nicht der Wert einer kritischen Edition vergessen werden.

Bätschmanns Einleitung und Kommentare verstehen sich als Zusammenfassung des Forschungsstandes, aber zugleich auch als eigene, weitere Forschung anregende überlegungen. Dies erweist sich aufgrund der bewusst knapp gehaltenen Textgestalt als sehr anspruchsvoll und manchmal nicht unproblematisch. Die Einleitung betrachtet dabei sowohl die Biographie Albertis als auch konkrete Probleme der Texte. So glaubt Bätschmann nicht nur das Vorbild für Albertis berühmte Augenimprese gefunden zu haben, worin man ihm folgen mag, sondern ebenso den Grund für die übernahme des Vornamens 'Leon'. Diesen allerdings auf Albertis legitimatorische Bestrebungen zurückzuführen, die über den Marzocco-Löwen (Leo) auf seinen Florentiner Bürgerstolz verweisen sollen, erweist sich als eher forschungsfernes Schreibtischkonstrukt. Alberti hätte bei derartiger Absicht sich wohl eher zu 'Ercole' umgetauft, da Herkules seit der Verwendung auf dem Florentiner Stadtsiegel für die politische Ikonographie der Stadt prägend war und nicht der später und mit ganz anderen Konnotationen hinzugetretene Marzocco.

In den Kapiteln zu den Fragen an die einzelnen Texte wird eine Summa gezogen, vielfach mit schlüssig begründeten Positionen, so etwa zur Datierung der einzelnen Schriften und ihrer lateinischen wie auch italienischen Fassungen. Allerdings geht die Forschung weiter, und so ereilt die Edition das Schicksal, dass sie nahezu parallel mit den Kongressakten des Mantuaner Alberti-Kongresses von 1998 erschienen ist (Leon Battista Alberti e il Quattrocento. Studi in onore di Cecil Grayson e Ernst Gombrich. Hg. Luca Chiavoni, Gianfranco Ferlisi, Maria Vittoria Grassi. Firenze: Olschki 2001, 452 S., ISBN 88-222-4957-7, Lit 98.000), in denen sich eine ganze Reihe von Beiträgen findet, die an der Dauerhaftigkeit der von Bätschmann herausgearbeiteten Konsensposition zweifeln lassen.

Trotz der auch dort besonders von Charles Hope vertretenen Skepsis hinsichtlich der Verbreitung und dem Bekanntheitsgrad der Schriften Albertis versucht Bätschmann meines Erachtens zu Recht immer wieder, die Rezeption der Theorie in der künstlerischen Praxis des 15. Jahrhunderts aufzuzeigen, oder, wenn dies nicht möglich ist, die Wirkung auf nachfolgende Künstler und Kunsttheoretiker. Ein deutlicher Akzent liegt dabei auch auf der nordalpinen Rezeption Albertis, für die nicht nur die Texteditionen und Handschriften erschlossen werden, sondern im Falle Dürers darüber hinaus konkret nach dessen Kenntnis der Schriften des Italieners gefahndet wird.

Auch international wird diese bislang gründlichste Edition der drei Schriften Albertis ein unverzichtbares Arbeitsinstrument sein, das seinen Wert im Umgang mit den präzis erschlossenen Texten und den umfassenden Apparaten erweist.


Johannes Myssok

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Empfohlene Zitierweise:

Johannes Myssok: Rezension von: Oskar Bätschmann / Christoph Schäublin: (Hg.) Leon Battista Alberti. Das Standbild. Die Malkunst. Grundlagen der Malerei, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 3,

Rezension von:

Johannes Myssok
Kunstakademie, Düsseldorf

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr