Rezension

Bayerische Staatsgemäldesammlungen: (Hg.) Venus. Bilder einer Göttin. Ausstellungskatalog München 2001, : 2001,
Buchcover von Venus
Ekkehard Mai / Ursula Weber-Woelk: (Hg.) Faszination Venus. Bilder einer Göttin von Cranach bis Cabanel, Ausstellungskatalog Köln, Gent: Snoek Ducaju & Zoon 2000,
Buchcover von Faszination Venus
rezensiert von Katja Kwastek, Amsterdam

Rekordverdächtige Besucherzahlen und vergriffene Kataloge sind untrügerisches Indiz dafür, dass die Venus-Thematik die breiten Massen für die Kunst begeistern kann, egal, ob sie (wie in Köln) enzyklopädisch ikonographisch oder (wie in München) als kleinere chronologische Präsentation von Meisterwerken behandelt wird. Und den Katalog einleitende blumige Formulierungen wie "Venus, der Schönsten der Schönen, der Göttin des Liebreizes und der Liebe" (Baumstark) oder "Venus, Archetyp, Inbild und Modell der Frau durch Tausende von Jahren" (Mai) zeigen, dass auch die Ausstellungsmacher der Faszination des Themas erlegen sind. Das fast vollständige Ausklammern von Antike und Mittelalter, die Konzentration auf die Zeit von der Hochrenaissance bis zum Klassizismus, die beiden Stationen eigen war, legt nahe, dass diese Faszination vor allem der Göttin in ihrem idealen oder barock verklärten (nackten) Zustand galt. Konsequenterweise wurde in München die Auswahl gleich auf ästhetische Highlights beschränkt (allerdings um einige wichtige, in Köln nicht zu sehenden Stücke - u. a. Tizians Venus mit dem Orgelspieler, Watteaus Dresdener Liebesfest, Baudrys Perle und Meereswoge - ergänzt) während die Kölner die inhaltlichen Implikationen der Venus-Darstellung insofern betonten, als sie thematisch ordneten. Jedoch - die verschiedenen Mythologien, die sich um die Göttin ranken, mögen noch so interessant sein - um die Nebeneinanderreihung von Bildern gleichen Themas für den Besucher gewinnbringend zu präsentieren, hätte es mehr Didaktik in den Ausstellungsräumen bedurft, zumal oft nicht die berühmten Prototypen entleihbar waren. Eine Beschäftigung mit aktuellen Fragen der Rezeptionsästhetik, Kontext- und Genderforschung und damit ein Hinterfragen des Zusammenspiels von ästhetischen Reizen und ikonographischen Inhalten, die einzelne Katalogaufsätze durchaus bieten, blieb auch der Kölner Präsentation versagt. Dabei drängt sich doch letztlich jedem interessierten Besucher die gleiche Frage auf: Handelt es sich bei den Venusbildern nur um mythologisch legitimierte Erotik, um tiefsinnige Allegorien oder ist es doch die Auseinandersetzung mit dem immer wieder zitierten "Ewig-Weiblichen", die die Faszination des Themas ausmacht?

Die Katalogautoren sind hier keineswegs einer Meinung: Werner Hofmann analysiert die vielschichtigen Sinnverwandtschaften der Göttin mit Eva einerseits und Maria andererseits. Während Eva ausschließlich negativ, Maria positiv besetzt ist, schwankt Venus zwischen beiden Polen und kann wie Maria Repräsentantin himmlischer wie irdischer Liebe sein. Die formal wie inhaltlich zu verstehende "Polyfokalität" spätmittelalterlicher Darstellungen wird laut Hofmann durch die Zentralperspektive und damit die tiefenräumliche Konstruktion abgelöst, die die "zeitlose Parabel" der stehenden in die "zweideutige Eindeutigkeit" der liegenden Venus (Tizians) verwandelt. Während Hofmann nicht auf die Ursachen dieses Wandels eingeht, vertritt Victoria von Flemming - untermauert durch Interpretationsansätze der Psychoanalyse - die These, dass derartige Venusdarstellungen den Typ der "bösen Schönen", der Kurtisanen und Prostituierten verkörpern, der spätestens seit Castigliones Hofmann in Realität wie im Bild zur Befriedigung und Legitimation männlicher Triebe gebilligt wurde, um die eigentliche, moralische Liebe im Ehebund nicht zu gefährden. Dabei bleibt jedoch die Frage offen, inwiefern die Besitzer dieser Bilder derart öffentliche Geständnisse ihrer - wenn auch gezügelten - Triebhaftigkeit legitimieren konnten. Flemming sieht in dieser Entwicklung den Anfang einer Degradierung der Göttin zum "Objekt männlicher Begierde".

In der folgenden locker chronologischen Aufsatzreihe klärt zunächst Erika Simon die Herkunft von Aphrodite/Venus in der Antike. Bodo Guthmüllers Ausführungen zu mythologischen Enzyklopädien der Renaissance nennen dann weitere Quellen für Venusmythen, fragen aber nicht nach deren Bedeutung für die bildende Kunst und bleiben daher sehr abstrakt. Obwohl der Autor selbst eingesteht, dass die Dichtung wichtigere Quelle der Renaissancekünstler war, erwähnt er nur am Rande Polizians Stanzen und deren Verbindung zu Botticellis Gemälden, über die - obwohl spätestens seit Bredekamp eingehend bekannt - der Leser in diesem Katalog leider nichts erfährt.

Erst mit dem folgenden Aufsatz setzt der Münchener Katalog ein, der lediglich die 40 hier gezeigten Gemälde (Köln 76), 20 Zeichnungen (Köln 30) und 41 Druckgraphiken (Köln 59, dazu 23 plastische Werke) und auch nur sechs der sechzehn Kölner Aufsätze enthält, was allerdings der Griffigkeit sowie Layout und Bildqualität des Aufsatz- und Graphikteils zugute kommt. Gregor J. M. Weber interpretiert das Urbild der liegenden Venus, die Schlafende Venus von Giorgione als "visualisiertes Hochzeitsgedicht" und setzt wie Flemming und Hofmann Tizians - zwar formal, aber nicht ikonographisch Giorgione folgende - Venus von Urbino an den Anfang einer Entwicklung, die durch den nun wachen Blick der Göttin und das zeitgenössische Interieur die genannten negativen Assoziationen ermöglicht. Spätestens jetzt vermisst der Leser einen überblick zum Forschungsstand zu Tizians von allen als Zäsur postuliertem Meisterwerk, eine Auseinandersetzung mit den jüngst von Rona Goffen (Titian's Venus of Urbino, 1997) zusammengetragenen Thesen.

Veronika Mertens behandelt dann (wieder nur im Kölner Katalog) einen weiteren Prototyp des Venus-Bildes, die Toilette der Venus Vasaris, die sie als Illustration des neoplatonischen Schönheitsbegriffs deutet. Für sie dauert es - im Gegensatz zu den bisher genannten Autoren - bis ins 18. Jahrhundert, bis sich dieser "immer mehr von einem ethisch-moralischen zu einem sinnlichen (d. h. ästhetischen)" wandelt.

Berthold Hinz untersucht die "Venus im Norden" (vgl. sein Buch Aphrodite, 1998) und geht zunächst auf die mittelalterlichen Darstellungen der Göttin ein, sei es im als Traum legitimierten Parisurteil, als Mutter der Planetenkinder, als Götzenbild oder Protagonistin des Ovide moralisé. Er zeigt dann am Beispiel Cranach und Baldung Grien, wie die "Ablösung des mittelalterlichen Bedeutungsballastes" vonstatten ging; die Erklärung, die Göttin würde nun nur noch als "multivalente Figurine" dienen, bleibt jedoch unbefriedigend. Hier würde man sich eine ausführlichere Analyse der Darstellungen der deutschen Renaissance wünschen, auf die ein Vortrag von Anne-Marie Bonnet im Rahmen der Kölner Ausstellung neugierig gemacht hatte.

Während der Kölner Katalog nun zwei Aufsätze zum Manierismus in Fontainebleau und Haarlem (Ekkehard Mai) sowie in Prag ( Thomas DaCosta Kaufmann) einschiebt, geht der Münchener direkt zum Barock über. Fiona Healy gibt einen überzeugenden überblick über die Situation in den Niederlanden, indem sie die geläufigsten Ikonographien mit ihren möglichen (!) moralischen und politischen Deutungen vorstellt. Wiederum nur für Köln behandelt Ursula Weber-Woelk die Darstellungen Simon Vouets und seines Umkreises, v. a. hinsichtlich ihrer allegorischen Sinngebung. Thomas W. Gaehtgens beschäftigt sich mit dem französischen 18. Jahrhundert, für dessen Beginn er eine "psychologische Vertiefung" feststellt, die fälschlich als "oberflächliche Sinnlichkeit" gedeutet werden könnte. Mit der Gestaltung der Figuren nach lebenden Modellen und damit ihrer Ent-Idealisierung sieht er die Einbeziehung des Betrachters in das Bildkonzept verwirklicht. Dennoch muss auch Gaethgens zugeben, dass sich spätestens mit Boucher "die mythologische Malerei in vielen Fällen zu einer rein erotischen, nicht selten zu einer pornographischen Kunst entwickelt". Die heftige Kritik an dieser Entwicklung, v. a. von Seiten Diderots führt zu einer Verlagerung des erotischen Sujets auf die Genremalerei eines Fragonard, häufig jedoch gleichnishaft überhöht durch die Darstellung der antiken Götter als Statuen, besonders in den sogenannten Venusfesten. Diesen widmen sich die nächsten beiden Aufsätze: Claudia Denk analysiert die Analogien von Watteaus Einschiffung nach Kythera zur Hypnerotomachia Poliphili, die zusammen mit einer allegorischen Deutung der Venusstatue eine Interpretation der Szene als Einschiffung "im Zeichen des gebändigten Amors" nahe legen. Eher verwirrend erscheint es dann, wenn Jean Starobinski (wieder nur im Kölner Katalog) die vermeintliche Isoliertheit der Statuen, die wir gerade allegorisch zu deuten gelernt haben, als "göttliche Abwesenheit" interpretiert. Generell kann seine zwischen kompositioneller und inhaltlicher Argumentation wechselnde Darstellung der Liebesfeste von Tizian bis Fragonard mit einem wenig motivierten Exkurs zu Baudelaire kaum überzeugen.

Ekkehard Mai betrachtet das 19. Jahrhundert mit dem Venus-Salon von 1863 einerseits und den Aktdarstellungen von Goya bis Cezanne andererseits. Er resümiert den Streit zwischen Salonkunst und Avantgarde am Beispiel Venus treffend mit dem Gegensatz "Wahre Nacktheit" oder "nackte Wahrheit", verwahrt sich dabei aber gegen die Abwertung der akademischen Malerei. Die zunehmende Entmythologisierung der Göttin wird laut Mai durch eine Metamorphose zur "Realallegorie" kompensiert. Hiermit schließt der Münchener Aufsatzteil, während der Kölner Katalog diesen Wandel noch in zwei Aufsätzen zur Moderne analysiert (Rita E. Täuber, Udo Reinhardt).

Fazit: Dem Mythos der schönen Göttin huldigte die Münchener Schau eindeutig besser und auch der abgespeckte Katalog liest sich leichter, während der reichhaltige Kölner Rundumschlag durch die Ausweitung des Kataloges von der Antike bis in die Moderne und die teils widersprüchlichen Thesen sicher teilweise schwer verdaulich, aber auch anregender ist.


Katja Kwastek

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Empfohlene Zitierweise:

Katja Kwastek: Rezension von: Bayerische Staatsgemäldesammlungen: (Hg.) Venus. Bilder einer Göttin. Ausstellungskatalog München 2001, : 2001
Ekkehard Mai / Ursula Weber-Woelk: (Hg.) Faszination Venus. Bilder einer Göttin von Cranach bis Cabanel, Ausstellungskatalog Köln, Gent: Snoek Ducaju & Zoon 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 2,

Rezension von:

Katja Kwastek
Amsterdam

Redaktionelle Betreuung:

Peter Helmberger