Rezension

Wolfram Prinz: Die Storia oder die Kunst des Erzählens in der italienischen Malerei und Plastik des späten Mittelalters und der Frührenaissance 1260-1460. Mit Beiträgen von Iris Marzik, Mainz: Philipp von Zabern 2000,
Buchcover von Die Storia oder die Kunst des Erzählens in der italienischen Malerei und Plastik des späten Mittelalters und der Frührenaissance 1260-1460
rezensiert von David Ganz, Kunsthistorisches Institut, Universität Zürich

Rund sieben Kilo bringen die beiden Bände auf die Waage, die Wolfram Prinz und Iris Marzik jetzt zur "Storia" vorgelegt haben. Auch der Titel lässt ein besonders gewichtiges Unternehmen vermuten, das den inzwischen gut etablierten Zweig der kunsthistorischen Narratologie um einige grundlegende Einsichten zu erweitern verspricht. Der Gegenstandsbereich ist reizvoll gewählt: Mit Speerspitzen wie Giotto, Duccio bis hin zu Donatello und Piero della Francesca darf die italienische Bildkunst zwischen 1260 und 1460 als eines der innovativsten Felder in der Geschichte bildlicher Erzählung gelten. Bisherige Forschungen haben eher den Charakter punktueller Sondierungen, die auf einzelne Künstler oder auf spezielle Aspekte wie den erzählten Raum fokussiert sind. Eine umfassende Untersuchung, wie sie Prinz und Marzik in Angriff nehmen, stand dagegen bisher noch aus. Um es gleich vorwegzunehmen: Sie bleibt auch nach Erscheinen dieser Studie ein Desiderat. Der Komplexität ihres Materials, man muss es so hart ausdrücken, erweisen sich die beiden Autoren in keiner Weise gewachsen. Wie im Vorwort zu erfahren ist, fand sich lange Zeit kein Verlag, der das schon 1990 abgeschlossene Manuskript des Buches in sein Programm aufnehmen wollte. Zabern hat es jetzt in einer Art Notausgabe auf den Markt gebracht, d.h. ohne die für ein Buch dieser Kategorie eigentlich obligatorischen Farbtafeln. Auf eine Einarbeitung neuerer Forschungsergebnisse wurde dabei weitgehend verzichtet.

In der Einleitung legt Prinz dar, weshalb er glaubt, über den aktuellen Diskussionsstand in Sachen Bilderzählung großzügig hinwegsehen zu können: hierzu sei "bis auf wenige Ausnahmen, die meist in die Zeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert datieren, ... in der Literatur kaum ein hinreichender Beitrag zu finden" (S. 9). Angesichts der Fülle an einschlägigen Publikationen seit Mitte der achtziger Jahre kann man hier nur ungläubig die Stirn runzeln. Wo bleiben die Studien Beltings, Kemps, Ringboms oder Thürlemanns, welche mit neuen Methoden und Fragestellungen so etwas wie eine kunsthistorische Erzählforschung überhaupt erst begründet haben? Zwei Absätze später räumt Prinz deren Existenz zwar ein - "In den letzten Jahren sind mehrere Werke erschienen, die den Themen der Bilderzählung gewidmet sind" - meint einer näheren Auseinandersetzung aber durch den Hinweis aus dem Weg gehen zu können, dass diese "nicht in der Weise vorgehen, wie ich es tue" (S. 10).

Was Prinz als methodische Alternative hervorzaubert, ist wenig konzise und entpuppt sich schnell als Pasticcio altbekannter Zutaten: ein bisschen Bild-Text-Vergleich, ein bisschen Albertis Storia-Konzept, ein bisschen Programm-Forschung, ein bisschen Entwicklungsgeschichte der Naturdarstellung - alles jeweils auf eher anspruchslosem Niveau diskutiert und zudem im Anwendungsteil eher unsystematisch angewandt. Im Hinblick auf das Konzept der "Storia", dem das Buch seinen Haupttitel verdankt, hat Prinz zumindest eine originelle These anzubieten: Alberti habe 1435 lediglich in eine theoretisch reflektierte Form gebracht, was die Künstler schon seit den Pisano und Giotto praktisch in die Tat umgesetzt hätten. In Umkehrung der üblichen Blickrichtung sei der Pictura-Traktat nicht als vorgängige Normierung, sondern als nachträgliche Kodifizierung erzählerischer Bildpraxis aufzufassen. Mehr noch: In der Zeit nach Alberti sei es dann mit Filippino Lippi und Ghirlandaio relativ schnell zu einer Abkehr von den Prinzipien der "überzeugenden" Bilderzählung gekommen, weshalb 1460 den Endpunkt der Untersuchung markiert. Nach Belegen für diese These sucht man im Anwendungsteil allerdings vergeblich. Weshalb die Künstler nach 1460 weniger "überzeugend" erzählen, wird dem Leser an keiner Stelle verraten.

Flankiert werden die allgemeinen überlegungen der Einleitung durch einen systematischen Schlussteil zu den "Mitteln der Erzählkunst", der Kategorien höchst unterschiedlicher Zugehörigkeit und Relevanz recht willkürlich miteinander vermengt: erzählerisch wichtigere Aspekte wie "Gemütsbewegungen", "Gesten" und "Zeitablauf" stehen zwischen Kapiteln zu "Kunst und Natur", "Kontrapost", "Wettbewerb mit der Antike", ja gar "Pflanzen" und "Tieren", in denen die Autoren das Thema Bilderzählung völlig aus dem Blick verlieren. Am besten schneidet hier noch Iris Marziks Repertorium der geläufigsten Gesten ab, während etwa Prinz' überlegungen zu Bewegung und Zeitablauf deutlich hinter den Stand zahlreicher jüngerer Forschungen zurückfallen.

Den Hauptteil des Buches macht die Behandlung von rund dreißig exemplarischen Werkkomplexen aus, die in einen Mittelalter- und einen Frührenaissanceteil gruppiert werden. Jedes der Beispiele, in der Regel ein längerer Zyklus, wird dabei Bildfeld für Bildfeld unter die Lupe genommen. Die Auswahl der Werke umfasst das wichtigste Material und geht von daher in Ordnung. Allerdings wäre, um den Leser bei der Stange zu halten, entweder eine Verringerung der Beispiele oder eine Aufgabe des kleinteiligen Untersuchungsprinzips vonnöten gewesen, das auch aus methodischen Gründen als höchst problematisch gelten muss: indem Prinz immer nur Bildfeld für Bildfeld durchbuchstabiert, verabsolutiert er unhinterfragt die Kategorie des Einzelbildes, die in der Giottozeit erst eigentlich als Komponente der Bilderzählung eingeführt wird. Unter den Tisch fällt damit jener Faktor, welcher die mittelalterliche Erzählkunst bis dahin dominiert hatte, und die auch in der Folgezeit noch lange nicht abdankt: das Beziehungsgeflecht zwischen den Bildfeldern als eigenständige Strukturierung einer ganzen Handlungssequenz. Eine Untersuchung dieser beiden Komponenten, von Ausgestaltung des Einzelbildes und narrativer Strukturierung des Zyklus, wäre eine gewinnbringende Fragestellung gewesen, die einiges zum Wandel zwischen Mittelalter und früher Neuzeit hätte beitragen können.

Um es kurz zu machen: Der geduldige Leser mag bei aufmerksamem Studium der Analysen manches neu gesehene Detail entdecken, für die Gesamtdeutung der behandelten Werke fällt hingegen an keiner Stelle ein nennenswerter Erkenntnisgewinn ab. Einige grundlegende Defizite seien im folgenden an den zentralen Stationen der Untersuchung verdeutlicht.

Als prominenteste Figur der Frühzeit rangiert - wie könnte es anders sein - der Erzähler Giotto, dessen Schaffen mit insgesamt vier Großzyklen (Assisi, Padua und die Kapellen in Santa Croce) in gebührender Ausführlichkeit vorgestellt wird. Gerade die ersten beiden Werkkomplexe sind allerdings nicht unbedingt als Neuland der Erzählforschung anzusprechen. Für die Scrovegni-Kapelle hat Max Imdahl 1980 eine Studie vorgelegt, die gerade im Hinblick auf die narrative Leistung einzelner Bildfelder neue Maßstäbe gesetzt hat. Im Anmerkungsapparat der "Storia" wird der Name Imdahl beharrlich totgeschwiegen. Ein Vergleich der beiden Deutungen, etwa zur "Auferweckung des Lazarus", fällt für Prinz nicht gerade vorteilhaft aus. Vereinfacht gesagt hangelt seine Lektüre sich ausschließlich an den szenisch-mimetischen Inventionen des Bildes entlang, etwa "den beiden vorzüglichen Bewegungsstudien derjenigen, die die Grabplatte abgehoben haben" (S. 87). Jegliches Gespür für den planimetrischen Ordnungscharakter des Bildes in der Fläche geht seiner Analyse ab. Imdahl hingegen kann zeigen, wie das Ineinander von szenischem Gefüge und planimetrischer Ordnung eine hochkomplexe Zeitstruktur der Bilderzählung begründet. Wenn Prinz bei seiner Lektüre dann zu dem Ergebnis kommt, dass sich "auch hier ... die Handlung wieder von links nach rechts" vollziehe, erscheint dies angesichts des von Imdahl erreichten Erkenntnisniveaus nur wie eine stark verbrauchte Platitüde.

Auf die Werke Giottos folgt in durchaus sinnvoller Gegenüberstellung eine Gruppe von Beispielen der sienesischen Erzählkunst, angeführt von Duccios Hochaltarbild für den Dom. Ein Punkt, den Prinz zu Recht als Charakteristikum dieser Bilder hervorhebt, ist der Reichtum der architektonischen Erfindung. In der Bewertung der Bildarchitekturen nach rein realistischen Kriterien bleibt er allerdings völlig konventionell und lässt sich wiederholt das Entscheidende entgehen: etwa die keines Wortes für würdig befundene Treppe, mit der Duccio das "Verhör Christi vor Hannas" und die "Verleugnung Petri" zu einer Doppelszene zusammenbindet und so die ansonsten strikt eingehaltene Aufteilung in zwei horizontale Register durchbricht. Wieviel narratives Potential in diesem und anderen Elementen trecentesker Bildarchitektur steckt, hat zuletzt Wolfgang Kemp gezeigt: Duccios Treppe schließt das Verhör Christi und das Verhör Petri zu einem typologischen Verhältnis zusammen, das den Apostel gleich mehrfach der Lüge überführt. Erst aus einer solchen Perspektive wird klar, dass die gemalten Architekturen für die Erzählung weit mehr sein können als bloße Ortsangaben mit mehr oder weniger realistischer Ausgestaltung.

Der Frührenaissanceteil schließlich ist ganz und gar auf Ghibertis Bronzetüren für das Florentiner Baptisterium zugeschnitten, deren Behandlung nahezu ein Drittel des Buches in Anspruch nimmt. Angesichts dieser Herausstellung dürfen Leser erwarten, hier auf einen der Gipfelpunkte der "Kunst des Erzählens" geführt zu werden. Es passiert jedoch genau das Gegenteil: Nach dem üblichen Durchgang durch die Bildfelder der beiden Türen überlässt Prinz seiner Koautorin Marzik das Feld. Diese verbreitet sich unter fleißiger Benutzung patristischen Schrifttums über das "ecclesiologische Programm" der Paradiestür - ein nahezu hundertfünfzig Seiten langer Exkurs, der in seiner Fixiertheit auf den sensus allegoricus die narrative Dimension der Reliefs konsequent einplaniert. Begründung: die "Erschaffung Evas" im ersten und die "Begegnung Salomos mit der Königin von Saba" im letzten Bildfeld seien als Anfangs- und Endpunkt des Zyklus allzu ungewöhnlich und gleichsam erzählwidrig ausgewählt. Eine solche Störung des zyklischen Zusammenhangs ist an Ghibertis Paradiestür tatsächlich zu beobachten, doch geht sie vorrangig auf das Konto einer Stärkung des Einzelbildes: innerhalb eines gemeinsamen Bildraumes sind dort nicht selten ganze Szenenfolgen in kunstvoll verschlungenen Parcours arrangiert. Gerade die überraschende Akzentuierung der beiden Frauenfiguren Eva und Königin hätte eine narratologisch stärker engagierte Untersuchung dann andererseits auch als wichtigen Fingerzeig begreifen können, dass es durchaus so etwas wie eine erzählerische Klammer der gesamten Relieffolge gibt. Prinz und Marzik dagegen streichen von Beginn an die Segel, was einer Kapitulation des ganzen Vorhabens gleichkommt.

Prinz' und Marziks Buch zur Storia wird vermutlich wenig zufriedene Leser finden: für den Kreis der fachlich Interessierten ist es zu anspruchslos und anachronistisch konzipiert, für das breitere Publikum zu spröde und langatmig geschrieben. Am ehesten wird man noch den Tafelband zur Hand nehmen: trotz der Zerschnipselung der Zyklen in einzelne Bildfelder bietet wenigstens er einen guten überblick über die italienische Bilderzählung des späten Mittelalters und der Frührenaissance.


David Ganz

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David Ganz: Rezension von: Wolfram Prinz: Die Storia oder die Kunst des Erzählens in der italienischen Malerei und Plastik des späten Mittelalters und der Frührenaissance 1260-1460. Mit Beiträgen von Iris Marzik, Mainz: Philipp von Zabern 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 2,

Rezension von:

David Ganz
Kunsthistorisches Institut, Universität Zürich

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr