Rezension

Michael Petzet: Claude Perrault und die Architektur des Sonnenkönigs. Der Louvre König Ludwigs XIV. und das Werk Claude Perraults, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2000,
Buchcover von Claude Perrault und die Architektur des Sonnenkönigs
rezensiert von Michael Hesse, Institut für Europäische Kunstgeschichte, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg

Seit 1957 hat Michael Petzet in zahlreichen Veröffentlichungen das architektonische Werk Claude Perraults und dessen Wirkungsgeschichte erhellt. Wenn die Forschungen jetzt zu der lange erhofften, ersten deutschsprachigen Monographie geführt haben, verdient dies Respekt angesichts der beruflichen und ehrenamtlichen Verpflichtungen des Autors. Den Architekturtheoretiker Claude Perrault hat Wolfgang Herrmann 1973 behandelt; ein Bild des universalen Gelehrten entwarfen die Pariser Ausstellung von 1988 und das begleitende Buch von Antoine Picon. Petzet hingegen widmet sich ganz den Bauten und Projekten des Architekten Claude Perrault.

Dessen Name ist untrennbar mit dem Louvre Ludwigs XIV. verbunden, besonders mit der verwickelten Planungs- und Baugeschichte der Ostfassade. Die Forschung sieht sich bekanntlich mit einem grundsätzlichen Problem konfrontiert: Ein zweibändiger Recueil von Plänen und Notizen, den Charles Perrault anlegte, um seinen Bruder unwiderlegbar als Autor der Ostfassade auszuweisen, wurde 1871 beim Brand des Tuilerien-Palastes vernichtet. Eine Rekonstruktion der Sammlung, hauptsächlich anhand der äußerungen Jacques-François Blondels, unternimmt Petzet im Anhang.

Wenngleich in der ära des Sonnenkönigs die architektonische Kompetenz Claude Perraults nicht unbestritten war, wurde er bereits im Ancien Régime eine Kultfigur der nationalen Baukunst. Geymüller, der 1867 noch die Originalzeichnungen Perraults studieren konnte, hatte keinen Zweifel an dessen Fähigkeiten und führender Rolle bei der Gestaltung der Ostfassade. Louis Hautecoeur hingegen sah in Louis Le Vau als Premier Architecte du Roi den eigentlichen Urheber der Kolonnadenfront; nur für deren Realisierung sei Perrault verantwortlich gewesen. Laprades D'Orbay-Monographie von 1960, erkennbar von der Aversion gegenüber den Perraults geprägt, dürfte aufgrund mangelnder Seriosität aus der Diskussion sein. Zuletzt hat Robert W. Berger sich 1993 eingehend mit dem Louvre des Sonnenkönigs beschäftigt, auf die Gemeinschaftsleistung des Petit Conseil abgehoben und die architekturikonographische Sinnfälligkeit des Kolonnadenmotivs vor dem Hintergrund des Sonnenpalastes in Lebruns Deckenprojekt für Vaux-le-Vicomte betont.

Im ersten und bei weitem umfangreichsten Kapitel breitet Petzet minutiös das gesamte Bild- und Textmaterial zu allen Planungs- und Bauphasen des Louvre zwischen 1652 und 1678 aus - eine Monographie innerhalb der Monographie, die für jeden einschlägig Forschenden auch ohne besonderes Interesse an Perrault unverzichtbar werden dürfte.

In seinen "Mémoires" behauptet Charles Perrault: "La pensée du peristile est de moi", was Petzet zu akzeptieren bereit ist. Womöglich im Kreis der Petite Académie sei Charles die Idee des Kolonnadenpalastes gekommen, wobei die Domus Augustana samt Tempel des Apollo Palatinus und Ovids Beschreibung der Regia Solis als Präfiguration der Säulenarchitektur für den Sonnenkönig und neuen Augustus gedient haben könnten. Die literarische Idee seines Bruders habe Claude in einen architektonischen Entwurf umgesetzt, "en l'embellissant infiniment". Charles wiederum konnte als Leiter der Bauverwaltung unter Colbert den Entwurf des nicht professionellen Architekten Claude Perrault lancieren. Schon 1664 habe Claude dieses nicht erhaltene und nun von Petzet rekonstruierte "erste Projekt" vorgelegt, also vor der Anforderung von Entwürfen italienischer Architekten. Bleibt noch der Entwurf des François Le Vau, der vor allem in den Zwischentrakten der realisierten Ostfassade erstaunlich nahe ist. Anders als Berger sieht Petzet darin die überarbeitung eines heute verlorenen Wettbewerbsbeitrags nach der Entscheidung für die Verdoppelung des Südflügels und schlägt dementsprechend eine Spätdatierung auf 1668 vor.

Als die Louvre-Planungen Berninis, nicht ohne Intrigen der Perraults, scheiterten, habe Charles in Claude - Experte und Autor des Projektes von 1664 - seinen Kandidaten für das nunmehr installierte Petit Conseil bei der Hand gehabt, dem Louis Le Vau und Le Brun gleichsam von Amts wegen angehörten. Nachdem Le Vau auf die Vorstellungen Claude Perraults eingeschwenkt sei, habe man dem König zwei Fassadenentwürfe vorlegen können, eine von Le Brun formulierte Lösung ohne Säulen und die auf Perraults Vorarbeiten beruhende Kolonnadenversion, für die sich Ludwig am 14.5.1667 entschied.

Petzets Argumentation, die auch nach seiner eigenen Einschätzung mit einigen Hypothesen operiert, ist überaus plausibel, geht im Bemühen um eine Art geistiger Händescheidung aber sehr weit: Man kann dies als Verkennung der kollektiven Aufgabe des Petit Conseil monieren - so auch französische Fachkollegen auf einem vom Deutschen Forum für Kunstgeschichte als Herausgeber der Monographie veranstalteten Kolloquium. Man kann darin aber auch den akribischen Nachvollzug der geschickt manövrierenden Kunstpolitik Colberts und seiner Entourage erkennen. Eben dann hat aber Bergers Deutung der königlichen Entscheidung als Wahl zwischen einer naheliegenden Säulen-Lösung und einer a priori unterlegenen, säulenlosen Version ihren Reiz.

Unzweifelhaft ist Claude Perrault jedoch die bestimmende Figur nach der Entscheidung für die Verdoppelung des Südflügels. Er passte ab 1668 die Ostfassade den gewandelten Bedingungen an und radikalisierte dabei die Idee des monumentalen Podiumstempels. Er übertrug ferner - wegweisend für künftige königliche Architektur - an der Südfassade Baugedanken der Ostseite in die Fläche und beeinflusste wohl zudem die Gestaltung der Nordseite. Auch Claude Perraults übrige Louvre-Planungen nach 1668 kommen zu ihrem Recht: darin die Grand Projets zur Verbindung von Louvre und Tuilerien sowie die beiden Treppenhausentwürfe in Stockholm, von denen der eine als Vorstufe zum Escalier des Ambassadeurs angesehen werden muss und der andere das Freisäulenarchitravsystem in einen gewölbten Innenraum überführt.

Ein zweites Kapitel behandelt, im Rückgriff auf ältere, eigene Aufsätze, mit dem 1666 datierten Projekt eines über hundert Meter hohen Obelisken auf der Rive gauche, mit dem königlichen Observatorium und dem Triumphbogen der Place du Thrône weitere Entwürfe für die Kapitale des Sonnenkönigs. Petzet arbeitet hier nicht nur das gemeinsame Programm der universalen Herrschaft Ludwigs XIV. und der überbietung antiker Kulturleistungen heraus. Er vertieft auch die Einsichten in Stil und Motivrepertoire Claude Perraults zur Bestätigung von dessen Anteil am Louvre.

Perraults Beitrag zum Sakralbau ist Gegenstand des dritten Kapitels. Hier steht das vielleicht schon 1667 anzusetzende Projekt eines Um- und weitgehenden Neubaus der Abteikirche Sainte-Geneviève im Mittelpunkt. Die Tempelkolonnade wird darin zum Träger der Wölbung eines basilikalen Raums. Eine wegweisende Lösung, in der nicht nur die Schlosskapelle von Versailles vorbereitet wird, sondern sogar die Kolonnadenästhetik des 18. Jahrhunderts, wie Petzet selbst bereits 1961 in seiner Dissertation über Soufflots Sainte-Geneviève darlegte.

Schließlich werden Claude Perraults Projekte für Versailles versammelt: sein nur schwer fassbarer Beitrag zu den Planungen der Enveloppe, der Ummantelung des alten Schlosses mit einer modernen Palastarchitektur, ferner die Thetis-Grotte nach einer von Charles beanspruchten Invention sowie Ideen von Charles und Claude zur Ausstattung des Parks.

Claude Perrault erscheint nach Petzets Monographie mehr denn je als ernst zu nehmender, den prominenten Architektenfiguren des Grand Siècle ebenbürtiger Künstler. Seine Bauten und Projekte vertreten - bei allem Erfindungsgeist bis hin zu skurrilen Vorschlägen - eine bisweilen penetrant antikisierende Richtung, die aber gerade in der evidenten Antikennähe den modernistischen überbietungsanspruch formuliert. Bis in den Frühklassizismus hinein wirkte die unter dem jungen Sonnenkönig im Kreis um Colbert, Claude und Charles Perrault propagierte Architekturstil prägend.

Petzets Buch zeugt von souveräner Kennerschaft. Angesichts des Quellendefizits werden spekulative Brückenschläge in der Argumentation auch weiterhin unvermeidbar sein. Aber die detaillierten, manchmal auch recht ausladenden und mit zahlreichen Querverweisen angereicherten Erörterungen, die ausführlichen Zitate und die reiche Illustration lassen dem Leser allen Raum zum kritischen Nachvollzug. Aufgaben künftiger Forschung zeichnen sich ab: Der Einfluss der Kunst Berninis bei der Genese der Kolonnadenkirche, eine Wirkungsgeschichte der mit Perraults Namen verbundenen Richtung der französischen Klassik, eine genaue Untersuchung von Fertigstellung und Freilegung der Louvre-Kolonnade im 18. Jahrhundert. In dem ansonsten hervorragend ausgestatteten Buch wünscht man sich allerdings ein vollständiges Literaturverzeichnis auch außerhalb der Anmerkungen.


Michael Hesse

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Michael Hesse: Rezension von: Michael Petzet: Claude Perrault und die Architektur des Sonnenkönigs. Der Louvre König Ludwigs XIV. und das Werk Claude Perraults, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 2,

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Michael Hesse
Institut für Europäische Kunstgeschichte, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr