Rezension

Ronald G. Kecks: Domenico Ghirlandaio und die Malerei der Florentiner Frührenaissance. , München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2000,
Buchcover von Domenico Ghirlandaio und die Malerei der Florentiner Frührenaissance
rezensiert von Till Busse, Köln

Ronald G. Kecks hat mit seinem 2000 erschienenen Werk ein Desiderat geliefert: eine wissenschaftlich fundierte Monografie zu einem Künstler, der oft im Schatten seiner Zeitgenossen Botticelli und Perugino und vor allem seines Schülers Michelangelo gesehen wurde und dessen Neubewertung, aber auch gründliche wissenschaftliche Erforschung seit langem anstand. 1943 verfasste Jan Lauts die letzte bedeutende Monografie zu Domenico Ghirlandaio, einen relativ dünnen Band, in dem keineswegs der komplexen Problematik um den Florentiner Künstler gerecht zu werden war.

Auch die vorangehenden Bücher von Steinmann (1897), Hauvette (1907), Davies (1908) und Küppers (1916) zu den Tafelwerken Ghirlandaios blieben nach heutiger wissenschaftlicher Methodik unvollständig, da sie nicht immer durch einen angemessenen Apparat an Fußnoten, Literatur- und Quellenverweisen begleitet wurden. Zwar gab es in den Jahren seit 1943 neben einigen populärwissenschaftlichen Monografien eine Fülle von Einzelstudien - etwa die Aufsätze J.K. Cadogans zum zeichnerischen Werk, Everett Fahys Forschungen zu Stilfragen des Ghirlandaio-Umkreises oder auch Studien zu ikonografischen Problemen, wie etwa die Arbeit von Eve Borsook und Johannes Offerhaus zur Sassetti-Kapelle, doch fehlten eine Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes und eine Neubewertung Ghirlandaios, der oft noch bis heute in seiner Funktion als Mittler zwischen Früh- und Hochrenaissance unterschätzt und überdies als profaner Künstler und bloßer Chronist der Arnostadt zu Zeiten Lorenzos des Prächtigen gehandelt wird. Wichtige Zwischenstation auf dem Weg zu dieser Monografie ist zudem sicherlich der 1996 veröffentlichte, zusammenfassende Band mit Aufsätzen zum 500-jährigen Todesdatum Ghirlandaios gewesen. Kecks' Buch erschien zudem fast gleichzeitig mit einer weiteren Monografie J.K. Cadogans, über die an anderer Stelle zu reden sein wird.

Nach einer umfassenden Untersuchung zu Ghirlandaios Fortüne in der Kunstliteratur und ästhetischen Kritik seit dem 16. Jahrhundert folgen eine Biografie und eine Chronologie der Werke sowie Analysen seiner künstlerischen Herkunft und stilistischen Entwicklung. Nun schildert ein Kapitel die künstlerischen "Aufgaben" der Zeit und ihre Umsetzung durch den Maler und seine Werkstatt, ein Kapitel, das über den Rahmen einer Künstlermonografie eigentlich hinausweist.

Kecks untersucht in einem weiteren Teil die Werkstattarbeit der Ghirlandaio-Familie: Davide, Benedetto, den späteren Schwager Sebastiano Mainardi sowie den Mitarbeiter Bartolomeo di Giovanni, der immer wieder für Prädellentafeln herangezogen wurde, weiterhin die Schulwirkung des Florentiner Meisters. Schließlich behandelt er die zeichnerischen Vorarbeiten des Malers beim Planen seiner Freskenzyklen. Kecks` Schlußkapitel versucht, Ghirlandaios Bedeutung für die zeitgenössische Kunst im Florenz des ausgehenden Quattrocento neu einzuschätzen und ihn als Erzähler und religiösen Künstler zu rehabilitieren.

Der Katalog der Werke erwähnt die dokumentierten eigenhändigen Arbeiten und die im Sinne Kecks zweifelsfreien Zuschreibungen, nicht jedoch die Schulwerke; ein zweiter Teil listet die dokumentierten, doch nicht erhaltenen Malereien auf. Eine Zeittafel und ein reich bestückter Dokumentenanhang vervollständigen das Bild.

Allein ein Blick auf die umfangreiche Bibliografie verdeutlicht die Problematik des Unterfangens: die Fülle der schon bestehenden Literatur zwingt zu thematischen und methodischen Gewichtungen. So beschränkt Kecks sich darauf, die Sekundärliteratur auszuwerten und die bereits publizierten Quellen aufzulisten und neu zu deuten. Dies stellt für sich schon eine immense Arbeitsleistung dar, die zudem in Bezug auf Ghirlandaio in dieser Vollständigkeit noch nie erbracht worden ist.

Kecks verzichtete allerdings auf die Suche nach neuen Archivalien, die angesichts der relativ guten Quellenlage in Bezug auf die Florentiner Kunst durchaus möglich erscheint und die - wenn man beispielsweise Studien der letzten 15-20 Jahre zur Luccheser Malerei des späten 15.Jahrhunderts in Betracht zieht - durchaus erstaunliche Früchte zeitigen kann. Wichtige - wenn auch eher indirekte Quellen - wie etwa die Akten der Buca di San Paolo, die keineswegs - wie Kecks sagt - nur eine Bildhauerbruderschaft, sondern eine alle möglichen Berufsgruppen umfassende Vereinigung war, oder die Ausgabenbücher des Spedale degli Innocenti werden so gut wie nicht verwendet.

Vielleicht weil er die immense Sekundärliteratur zusammenfasst, mag es sein, dass sich Kecks oft fremder Stimmen bedient, um ein eigenes Urteil zu bekräftigen. So schließt er beispielsweise sein Kapitel über künstlerische Aufgaben der Zeit mit einer Lesefrucht aus dem Werk André Chastels anstelle eines eigenen Gedankens, was ihn - durchaus unberechtigt - in den Ruch mangelnder eigener Originalität bringt. Dies äußert sich leider auch in Kecks äußerst wichtigen Studien zu stilkritischen Fragen, die zwar vor allem im Katalog des Werkes akribisch zusammenfassen, was es an bisherigen Meinungen und Zuschreibungen gibt, doch nicht immer ahnen lassen, wie Kecks zu seinem Urteil und seinen Datierungen kommt.

Besonders konzentriert sich Kecks auf die Stilfragen zu Ghirlandaios Frühwerk und zu dessen künstlerischer Provenienz, die er in der Tradition Vasaris bei Alesso Baldovinetti sieht und damit in der Generation der so genannten Problematiker gen Mitte des Quattrocento in Florenz: u.a. Castagno, Pollaiolo und schließlich Cosimo Rosselli und Verrocchio.

Fußend auf einer Anregung Margaret Haines lokalisiert Kecks Ghirlandaio unter den Künstlern im Umfeld Baldovinettis, die Entwürfe für die Sakristeischränke des Florentiner Domes lieferten. Die Vergleiche zu Ghirlandaios Frühwerken beispielsweise in Cercina scheinen hier überzeugend, ebenso wie Baldovinettis Einfluss auf die Werke bis Mitte der 1470er Jahre, also der Fresken in der Biblioteca Latina des Vatikans und der Fina-Kapelle in San Gimignano.

Kecks Verdienst liegt sicherlich in dieser Definition des Frühstils, der durch recht heterogene Einflüsse bedingt ist und - wie u.a. Rohlmannschon zeigte - in Faltenwürfen und Haltungsmotiven auch einem stark nordischen Einfluss, bespielsweise aus Stichwerken unterlegen haben mag. Zudem wirft Kecks das Problem der Verrocchio-Werkstatt auf, deren Einfluss auf Ghirlandaio hinterfragt wird. Hier scheint es in erster Linie motivische übernahmen gegeben zu haben, während der eigentliche Stil Ghirlandaios sich aus anderen Quellen speiste. Interessant erscheint zudem, inwiefern Ghirlandaio bestimmten Bildlösungen der Verrocchio-Werkstatt vorgriff, er ihr also vielleicht voraus war.

Eher zurückhaltend beurteilt Kecks den flämischen Einfluss auf Ghirlandaios Kunst. Er betont das recht frühe Einsickern nordischer Kunst spätestens seit Mitte des 15. Jahrhunderts und dass Ghirlandaio schon in der zweiten Generation auf Motivvorlagen des eigenen Kunstkreises zurückgreifen konnte.

Wenig befriedigend behandelt der Autor die Problematik der Werkstatt Ghirlandaios und damit der Händescheidung innerhalb des Betriebs. Er tendiert dahin, Ghirlandaio in seinen Freskenzyklen die Rolle des entwerfenden Künstlers und wichtigsten Ausführenden zuzuweisen und betont mit Recht die enge Zusammenarbeit mit seinen Brüdern, die wohl - da sie nach Ghirlandaios Tod als eigenständige Künstler wenig Erfolg hatten - in erster Linie Weisungen von Domenico empfingen.

Der Stil Mainardis und die Dokumentenlage zu seiner Vita sind von Lisa Venturini erforscht worden und lassen sich anhand dokumentierter eigenständiger Werke ebenso wie die Hand des Mitarbeiters Bartolomeo di Giovanni erkennen. Schwieriger gestaltet sich eine Händescheidung im Falle Davides, dessen vermutliches Werk Kecks rund um die Ausmalung der Biblioteca Latina und der Werke für die Badia a Settimo gruppiert. Doch schon in diesen Werken sind wir mit einer Zusammenarbeit der beiden Brüder konfrontiert, so dass Kecks Händescheidung auf dem Kriterium der Qualität basiert und weniger auf konkret zu umreißenden stilistischen Differenzen wie etwa der Pinselführung. Im Falle Benedetto Ghirlandaios existiert ein konkretes eigenhändiges Werk, das wegen der Dokumentenlage eine Gruppierung weiterer Werke erlauben würde. Die Problematik einer Händescheidung ließe sich letztendlich nur durch eine Gruppenuntersuchung lösen - wie sie Everett Fahy in den 60er Jahren unternahm - und damit über einen zusätzlichen, in dieser Monografie fehlenden, Katalog der Schulwerke und ihrer Bewertung. Wenn man berücksichtigt, mit welcher Detailgenauigkeit beispielsweise Stilkritik in Bezug auf den Rembrandt-Umkreis betreiben wurde, so bleiben ähnliche Studien über das Ghirlandaio-Umfeld nach wie vor wünschenswert. Einen ebenso umfassenden Katalog mit Zuschreibungen und Verwerfungen würde man für das zeichnerische Werk erwarten,das Kecks hier jedoch unter dem Aspekt einer Rekonstruktion der Gestaltungsprozesse für die Freskenzyklen untersucht.

Kecks ikonografisch-ikonologische Analysen sind nicht Hauptthema des Werks, doch sind sie auch integraler Bestandteil seiner Bewertung Ghirlandaios. Sie beschränken sich auf generelle ikonografische Informationen und verzichten damit bedauerlicherweise auf die Verknüpfung von Werken mit dem Auftraggeberkreis und dessen Interessen: insbesondere in Bezug auf die Aspekte der Ordenspropaganda von Franziskanern, Jesuiten und Dominikanern ließe sich einiges mehr sagen, ebenso wie zum Einfluss der Devotio Moderna und der Observantenbewegungen auf die Bildformen des Quattrocento. Interessant ist jedoch Kecks Versuch, Ghirlandaio als religiösen Erzähler und Chronisten zu definieren, der sich - und hier folgt Kecks im Grunde Aby Warburg - vielleicht den Erzählmodi der Sacre Rappresentazioni seiner Epoche anpasste und damit letztendlich doch epochentypische Verhaltensformeln als indirekter Chronist seiner Zeit schilderte.

Kecks Werk darf in keinem Frührenaissance-Bücherschrank fehlen, doch wirft es sicher nochmals einige grundlegende Fragen zur Methodologie der Stilkritik auf.


Till Busse

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Till Busse: Rezension von: Ronald G. Kecks: Domenico Ghirlandaio und die Malerei der Florentiner Frührenaissance. , München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 2,

Rezension von:

Till Busse
Köln

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr