Rezension

Jan Hirschbiegel / Werner Paravicini: (Hg.) Das Frauenzimmer. Die Frau bei Hofe in Spätmittelalter und früher Neuzeit, Stuttgart: Thorbecke 2000,
Buchcover von Das Frauenzimmer
rezensiert von Sigrid Ruby, Institut für Kunstgeschichte, Universität des Saarlandes, Saarbrücken

Der vorliegende Sammelband ist das handfeste und in jeder Hinsicht ansprechende Ergebnis des Dresdner Symposiums vom September 1998. Das besondere Augenmerk dieser mit der "Frau bei Hofe in Spätmittelalter und früher Neuzeit" befassten Tagung galt der im Begriff "Frauenzimmer" so prägnant formulierten Verschränkung räumlicher und sozialer Aspekte in ihrer Bedeutung für weibliche Identität(en) und Lebenswirklichkeit(en). Angesichts der Auseinandersetzung mit der komplexen Thematik lassen sich vor allem zwei Diskussionsfelder markieren: das ambivalente Neben-, Mit- und Gegeneinander von Imagination und Wirklichkeit einerseits, die relative Bedeutung des Geschlechts als "brauchbare Kategorie der historischen Analyse" (J. Scott) andererseits.

Eine Einführung des Mitveranstalters und Mitherausgebers Werner Paravicini und ein Nachwort von Gert Melville flankieren die insgesamt 24 Einzelbeiträge. Kunst- und sozialhistorische Perspektiven finden sich in beinahe paritätisch anmutender Ausgewogenheit, häufig im produktiven Zwiegespräch miteinander. Explizit literaturwissenschaftliche Akzente setzen Peter Strohschneider, dessen brillant argumentierender Beitrag den Semantiken der "Kemenate" und der Funktion dieses "Raumes" für die höfische Welt des 12. und 13. Jahrhunderts nachspürt, sowie Claudia Noltes textkritische Lektüre des Briefwechsels zwischen Kurfürst Albrecht von Brandenburg-Sachsen und seiner Gemahlin Anna (1474/75) als ein Exempel "verbalerotischer Kommunikation".

Der erste und umfangreichste Teil des Bandes versammelt zehn Aufsätze zum Thema "Ein eigener Ort: Frauen in der Topographie von Hof und Residenz". Hier geht es in erster Linie um die Erfassung, Beschreibung und sozio-ökonomische Differenzierung des weiblichen Personenbestandes an unterschiedlichen europäischen Höfen und die jeweilige Zuordnung architektonischer Dispositionen - soweit dies, auch in Anbetracht der häufig schwierigen Quellenlage, möglich ist. Die Fallstudien von Philippe Contamine und Monique Chatenet für den französischen, von Susanne Kress für den italienischen sowie von Stephan Hoppe, Cordula Bischoff und Sybille Oswald-Bargende für den deutschen Kontext zeigen, dass es eine räumliche Trennung der Geschlechter gab. Häufig erweist sie sich schlichtweg als ein Nebenaspekt hierarchischer Distinktion vermittels Architektur: hochrangigen Personen gebührte ein Einzelappartement. Doch lassen sich auch typisch weibliche bzw. männliche Nutzungs- und Repräsentationsansprüche als Ursache nachweisen. So fand die Niederkunft einer Florentiner Patrizierin des 15. Jahrhunderts in einem separaten Gemach und unter Ausschluss von Männern statt, wie Kress nach Auswertung schriftlicher und bildlicher Quellen zeigen kann. Eine weiblich bzw. männlich konnotierte Nutzung bestimmter Räumlichkeiten ergab sich zudem durch die Existenz von zwei Höfen, also eines um den Fürsten und eines um die Fürstin gescharten Gefolges, "unter einem Dach". Die parallele Anlage weitgehend gleicher Appartementstrukturen im französischen und deutschen Schlossbau der Frühen Neuzeit dokumentiert diesen Tatbestand. Diesbezüglich in höchstem Maße aufschlußreich sind Monique Chatenets Ausführungen zur Raumaufteilung in den Residenzen der letzen Valois. Sie kann zeigen, dass eine perfekt symmetrische Appartmentanordnung erst in der Zeit der Regentschaft und dann natürlich für König und Königinmutter geschaffen wurde.

Bis zum 17. Jahrhundert scheint der Rückschluss auf eine Bewohnerin bzw. Nutzerin nur über die relative Größe eines Raumes und/oder seine Lage im architektonischen Gesamtzusammenhang und stets unter Berücksichtigung der am jeweiligen Hof gegebenen hierarchischen Strukturen möglich - wenn überhaupt. Von einer typisch weiblichen, gar ikonographisch spezifischen Ausstattung separater Räumlichkeiten mit repräsentativem Anspruch darf offensichtlich zunächst nicht ausgegangen werden. Birgit Franke führt diesen vielleicht enttäuschenden Umstand besonders anschaulich vor Augen. Indem sie Dedikationsdarstellungen, die Raumrekonstruktion des Louvre und den 1405 von Christine de Pizan geschilderten idealtypischen Tagesablauf einer Fürstin konstrastiert, mithin bildliche und schriftliche Schilderungen mit nüchternen Quellen zusammenbringt, kann sie überzeugend nachweisen, dass die "historische Wirklichkeit der 'Frauenzimmer' und der Männerräume [...] seit etwa 1400 bis ins erste Drittel des 16.Jahrhunderts durch ein weitgehend identisches Repräsentationsaufgebot definiert" (S. 131) war. Die diesbezüglich gewandelte Situation in der Folgezeit, also die Existenz geschlechtsspezifischer Ausstattungsprogramme, demonstriert Cordula Bischoff am Beispiel der sogenannten "Prunkküche" im deutschen Schlossbau des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Die in diesem Raumtypus arrangierte Küche, die neben praktischen Vorrichtungen vor allem aus einer prachtvollen Porzellansammlung bestand, suggerierte Funktionstüchtigkeit, diente jedoch ausschließlich als ein zur Betrachtung anempfohlener Repräsentationsraum der Schlossherrin. Die "Prunkküche" war Sinnbild hausfräulicher Tugenden und Kompetenzen. Ihr konfessionsübergreifendes Aufkommen zu Beginn des 18. Jahrhunderts muss als ein spätes, aber um so deutlicheres Indiz für den durchgreifenden Wandel der Geschlechterbeziehungen in der Frühen Neuzeit gewertet werden.

Wenn der erste Teil des Bandes ein thematisch fokussiertes und in sich bezugreiches Textekompendium darstellt, so gilt das leider weniger für die drei folgenden. Die durchweg guten Aufsätze stehen in sehr lockerem Zusammenhang mit den gewählten Obertiteln ("Macht und Ohnmacht", "Aufgaben und Reservate", "Ordnung und Transgression im Geschlechterverhältnis") und könnten problemlos auch anders sortiert werden. Aber die Heterogenität von Konferenzbänden ist ein leidvolles Thema, und das Bemühen um Ordnung muss den Herausgebern zugute gehalten werden - zumal es partiell durchaus erfolgreich war.

Um die Möglichkeiten und Grenzen weiblicher Machtausübung an europäischen Höfen nördlich der Alpen geht es in den Beiträgen von Brigitte Streich, Katrin Keller, Barbara Welzel und Martin Kintzinger. In ihrer Analyse der Hofhaltung wettinischer Fürstinnen im 14. und 15. Jahrhundert kommt Streich zu dem interessanten Befund, dass die Ablösung der Reiseherrschaft durch das Regieren von festen Residenzen aus mit einem Verlust weiblicher Unabhängigkeit einherging. Inwieweit ein räumlich sich verfestigender Hof mit Ordnungs- und Verhaltensvorschriften speziell für das "Frauenzimmer" korrespondierte, ließe sich im Anschluß an die von Anja Kirchner-Kannemann und Paul-Joachim Heinig präsentierten Lektüren zeitgenössischer Hofordnungen fragen. Zwei bemerkenswerte Aufsätze widmen sich schließlich der Anwesenheit und Funktion von Frauen am päpstlichen Hof. Stefan Weiss schildert die Situation in Avignon unter Papst Johannes XXII. (1316-35), der den Betrieb von Nebenresidenzen mit "ritterlich-laikalem Ambiente" (S. 404) in der unmittelbaren Umgebung Avignons aktiv förderte. Claudia Märkl kommt in ihrer Suche nach "Frauen im Umkreis der römischen Kurie nach der Mitte des 15. Jahrhunderts" zu ähnlichen Ergebnissen. Hier waren es vor allem die Schwestern des Papstes (les papesses), die einflussreiche Nebenhöfe ausbildeten. Eine allgemeine "Verweltlichung der Kurie" nach der Jahrhundertmitte zeigt sich im Knüpfen diplomatischer Allianzen, auch und insbesondere vermittels gezielter Heiratspolitik, und im Betrieb eines weit ausgedehnten Patronagewesen, das Männer wie Frauen gleichermaßen involvierte. Fazit: Was ein richtiger Hof sein will, kommt ohne Frauenzimmer nicht aus.


Sigrid Ruby

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Sigrid Ruby: Rezension von: Jan Hirschbiegel / Werner Paravicini: (Hg.) Das Frauenzimmer. Die Frau bei Hofe in Spätmittelalter und früher Neuzeit, Stuttgart: Thorbecke 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 2,

Rezension von:

Sigrid Ruby
Institut für Kunstgeschichte, Universität des Saarlandes, Saarbrücken

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr