Rezension

Maike G. Haupt: Die Große Ratsstube im Lüneburger Rathaus (1564-1584). Selbstdarstellung einer protestantischen Obrigkeit, Marburg: Jonas Verlag 2000,
Buchcover von Die Große Ratsstube im Lüneburger Rathaus (1564-1584)
rezensiert von Sabine Mödersheim, Department of German, University of Wisconsin, Madison, WI

Maike Haupts kunst- und kulturgeschichtliche Dissertation bildet die erste ausführliche Beschreibung und Interpretation des Bildprogramms der Großen Ratsstube des Lüneburger Rathauses. Das Programm, wie es hier gedeutet wird, ist ein wichtiges Zeugnis des öffentlichen Eindrucks, den die Lüneburger Ratsmitglieder machen wollten, und symbolisiert das Selbstverständnis der Stadt und seiner politischen Klasse.

Die Untersuchung gibt zunächst eine kurze Einleitung in die Voraussetzungen für das Verständnis des ikonographischen Programms des Lüneburger Rathauses. Sie beschreibt die typischen Themen und Motive, darunter besonders Rechtsdarstellungen, in deutschen Rathäusern seit ca. 1400, fasst in einem kurzen Exkurs die Bildauffassung Luthers zusammen und stellt in einem historischen Abriss die politische und geschichtliche Einordnung für die Baugeschichte des Lüneburger Rathauses bereit. Den Hauptteil der Arbeit nimmt die detaillierte Beschreibung der Dekorationen des Großen Saales ein, der den Repräsentativraum des Lüneburger Rates bildete. Schließlich wird in den zwei kurzen und abschließenden Kapiteln das Lüneburger Bildprogramm zusammenfassend gedeutet.

Der neue Lüneburger Rathausbau stammt aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, während die ältesten erhaltenen Strukturen des Komplexes in der Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden. Eine akkumulative Baugeschichte und begrenzter Raum für Expansion führten zu häufigen Umwidmungen in der Funktion der Gebäude. Bei der Neugestaltung gab daher vor allem die Innenausstattung Spielraum für die Gestaltung und die Repräsentationswünsche der Ratsherren, die für die Planung und Ausführung verantwortlich zeichneten. Das Bildprogramm besteht aus allegorischen Gemälden und Deckengemälden sowie Schnitzereien und Skulpturen an den Portalen und Ratsstuhlwangen. Die Gemälde stellen Themen aus der antiken Geschichte und Mythologie sowie des Alten und Neuen Testaments dar. Vorherrschend sind Themen der Gesetzgebung und Rechtssprechung, Justitia-Personifikationen und Tugendallegorien, darunter die für Rathausdekorationen typischen Darstellungen der Prudentia/Sapientia, Veritas, Fides und Caritas. Friedenssicherung, Eintracht und Gerechtigkeit sind vorherrschende Themen, welche die Legitimation der städtischen Obrigkeit,ihre Rechtssprechung und Politik moralisch untermauern. Neben dem Ausdruck des Selbstverständnisses, das die politisch herrschende Schicht vermitteln will, ist ein didaktischer Aspekt nicht zu übersehen. Auf protestantischer Theologie basierend, sind die Kardinaltugenden im Zuschnitt auf die Aufgaben des städtischen Regiments und die Pflichten der Bürgerschaft deutlich umrissen.

Haupt gelingt es, eine Vielzahl von möglichen Vorlagen zu identifizieren, die teils eine starke Tendenz zu typisch protestantischen Themen aufzeigen. Dies ist keineswegs überraschend in einer Stadt, die 1531 die Reformation eingeführt hatte und 1533 ihren ersten protestantischen Bürgermeister bekam. Auch scheinen andere Rathausbauten, vor allem das Nürnberger, Augsburger und Ulmer Rathaus bei der Auswahl der Themen und Darstellungen Pate gestanden zu haben. Intention der Programme war es nicht allein, "das humanistische Weltbild der Auftraggeber" darzustellen (215), sondern, wie der Untertitel von Haupts Untersuchung schon andeutet, das politische Selbstverständnis des Rates und der städtischen Obrigkeit zu repräsentieren und zu demonstrieren. In erster Linie stellt das ikonographische Programm ein auf die Verhältnisse und Bedürfnisse dieser Gruppe und dieses Publikums genau zugeschnittenes Tugendprogramm dar. Darüber hinaus aber demonstriert es auch die Bildung der Ratsherren, besonders ihre Vertrautheit mit der antiken Geschichte und Literatur sowie ihre Versiertheit in Rhetorik und Allegorese. Es ist daher bedauerlich, dass die Quellenlage keine präzise Auskunft darüber gibt, welche Bürgermeister und Ratsherren aktiv in die Ausarbeitung des Programms einbezogen waren. Haupts Vermutung, dass von den Lüneburger Ratsherren Franz Witzendorff am ehesten als Urheber des Programmentwurfs in Betracht kommt (189 ff.), leitet sich aus seinerBildungsgeschichte und seinen Interessen ab. Dies macht es wahrscheinlich, dass er einen prägenden Einfluss auf die Wahl der Bildthemen gehabt haben könnte.

Haupts Arbeit ist im deskriptiven Hauptteil detailliert und präzise, mit gutem Blick für die politische, kulturgeschichtliche und soziokulturelle Relevanz der dargestellten Themen. Sie gibt wertvolle Informationen, nicht nur für die regionale Geschichte und Kunstgeschichte, sondern auch für die Einordnung ähnlicher Bildprogramme aus anderen Kontexten und für den Typus der Rathausdekoration generell. Aufschlussreich sind auch die ausführlich zitierten, in der Mehrzahl bislang unveröffentlichten Quellen zu den beteiligten Künstlern. Die Darstellung ist übersichtlich, wenn auch etwas schematisch und akkumulativ, so dass sie sich in Teilen wie eine umfangreiche Materialsammlung liest. Man hätte sich gewünscht, dass die Informationen, etwa zu den Quellen oder über die beteiligten Künstler stärker dort in die Interpretation eingebunden worden wären, wo sie relevant sind. Auch die Beispiele ikonographischer Programme in Lüneburger Bürgerhäusern bzw. in anderen norddeutschen Rathäusern, wobei oft die Parallelen zum Lüneburger Ratssaal nur dünn belegt sind, hätten sinnvoller in die anderen Kapitel integriert werden und einige Redundanzen so vermieden werden können. Der vierte und letzte Teil der Arbeit, die "Deutung des Bildprogramms der Großen Ratsstube", ist mit nur neun Seiten, die nicht mehr als eine Zusammenfassung des bereits Gesagten geben, enttäuschend kurz ausgefallen. Haupt identifiziert zwar "punktuell inhaltliche Bezüge zwischen Einzeldarstellungen", kann aber in der "Anordnung der Bildreihen" in diesem Programm "keine klare Gesetzmäßigkeit" erkennen (220). Der hilfreiche Anhang, der Schemen der Anordnung der einzelnen Elemente liefert, hätte hier zu einer weiterführenden Reflexion und Analyse der räumlichen Aufteilung und entsprechenden Verteilung der Themen dienen können.


Sabine Mödersheim

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Empfohlene Zitierweise:

Sabine Mödersheim: Rezension von: Maike G. Haupt: Die Große Ratsstube im Lüneburger Rathaus (1564-1584). Selbstdarstellung einer protestantischen Obrigkeit, Marburg: Jonas Verlag 2000
in: KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 2,

Rezension von:

Sabine Mödersheim
Department of German, University of Wisconsin, Madison, WI

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr