Rezension

Iris Ch. Visosky-Antrack: Materno und Augustin Bossi. Stukkatoren und Ausstatter am Würzburger Hof im Frühklassizismus, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2000,
Buchcover von Materno und Augustin Bossi
rezensiert von Michaela Braesel, Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Iris Ch. Visosky-Antracks Publikation zum Oeuvre der Stukkatoren Materno und Augustin Bossi, den Neffen des berühmten, unter Balthasar Neumann in der Würzburger Residenz tätigen Stukkateurs Antonio Bossi, wurde als Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen. Wie auch ihr Onkel arbeiteten die Brüder in der Würzburger Residenz. Sie schufen außerdem in der Zeit von 1767-1801 Stuckarbeiten, Kanzeln, Chorgestühl und Altarwerke in Würzburger Kirchen sowie u.a. in Bamberg, Ebrach und Ansbach.

Visosky-Antrack versteht ihre Arbeit als "Plädoyer für die Archivforschung" (S.9), wobei zum einen das fragile Material überliefert, zum anderen Forschern zur Verfügung gestellt werden soll. Dieser Zielsetzung entsprechend ist das Buch im dritten Teil mit einem umfangreichen Anhang aus Quellenzitaten zu Leben und Werk der Brüder versehen, die gleichsam Zitatfunktion für die beiden vorangehenden Teile der Untersuchung, einer zusammenfassenden Darstellung von Leben, Arbeitsumständen und Oeuvre der Brüder sowie dem alphabetisch geordneten Werkkatalog bilden.

Diese Dreiteilung, die noch durch das umfangreiche Literaturverzeichnis sowie ein chronologisch geordnetes Werkverzeichnis, ein Verzeichnis der erhaltenen Zeichnungen und einen Stammbaum ergänzt wird, sichert die leichte Benutzung des Werkes bei Fragestellungen, die sich auf bestimmte Räume oder Gebäude beziehen.

Die Gründlichkeit der Autorin bei Katalog und Quellenverzeichnis ist ebenso wie das durchdachte, gut nutzbare Arrangement der Einzelteile vorbildlich.

Auch in der Gliederung des einführenden, zusammenfassenden Teiles zum Werk der Brüder fällt ihre Sorgfalt und Umsicht auf. Sie versucht, die Arbeit der Brüder in dem zeitgenössischen Umfeld aus Auftraggebern, Werkstattorganisation und Werkgenese, Status und Aufgabenbereichen der Künstler, der arbeitsteiligen Organisation umfangreicher Bauprojekte, den Zuständigkeitsbereichen von Architekt und Stukkateur darzustellen. Ihr lobenswertes Ziel ist es dabei, zu einer Neubewertung des kreativen Anteils der sog. dekorativen Künstler bei solchen Projekten gegenüber der Arbeit der Architekten beizutragen, die Aufmerksamkeit der Kunstgeschichte auch auf die immer wieder vernachlässigten, mit dem Stigma des Kunstgewerblichen behafteten Aspekte der Innenausstattung zu lenken. Dabei sind diese einleitenden Informationen auch deswegen so interessant, weil sie sich in grundlegenden Ergebnissen auch auf andere Werkstätten beziehen lassen und exemplarisch Allgemeingültiges für die Werkstattpraxis der Zeit anhand von Quellen belegen.

Neben neuen Erkenntnissen über das Leben, die Ausbildung, die Zusammenarbeit der Gebrüder Bossi und Einzelergebnissen, die sich auf Datierungen und Zuschreibungen beziehen, liegt ein Hauptinteresse von Visosky-Antrack darin, die Modernität der Brüder zu betonen, deren Grundlage, wie die Autorin durch ihr Quellenstudium herausfinden konnte, in der Ausbildung bei dem französischen, am Stuttgarter Hof tätigen Architekten Philippe de la Guêpière zu suchen ist. So legt Visosky-Antrack in der Darstellung der Ornamentik und Gliederungssysteme auch einen Schwerpunkt auf die der Antike verpflichtete Formensprache gegenüber Rokokoformen. Sie betont, daß sowohl in Ordnungsprinzipien der Wandgliederung als auch im Motivvorrat der Ornamentik ein Anschluß an den aus Frankreich vermittelten "goût grec" des Louis XVI festzustellen ist, welcher als Reaktion auf die Rocaille nicht direkt auf die Antike, sondern vielmehr variierend auf Vorbilder des Louis XIV zurückgreift. Eine vergleichende Untersuchung von französischen und deutschen Ornamentvorlagen führt zu dieser die bisherige Ansicht der Forschung revidierenden Erkenntnis. Dabei schätzt die Autorin allerdings die Werke des Onkels Antonio Bossi und des Lehrers de la Guêpière als die wichtigsten Anregungen ein.

Visosky-Antracks Anliegen besteht darin, durch die Betonung der weitgehenden Unabhängigkeit von konkreten Vorbildern die stilistische Sicherheit und Eigenständigkeit Materno Bossis zu zeigen (S.54).

Ihrer Ansicht nach ist Materno Bossis Stil bereits mit Beginn seiner selbständigen Arbeiten basierend auf de la Guêpière und Antonio Bossi voll entwickelt, und änderungen seien weitgehend modal in Abhängigkeit von der Raumfunktion begründet. Daneben könnten sich nur allgemeinere Vergleichspunkte zu den Stichsammlungen von J. F. Neufforge und J.C. Delafosse nachweisen lassen, wobei die Autorin betont, daß es sich hierbei ohnehin nur um weitgehend allgemein bekannte Einzelmotive handelt (S.48-50). Visosky-Antrack weist damit auch die bisherige kunsthistorische Unterteilung des Oeuvre in ein sich unterscheidendes Früh-, Reife- und Spätwerk zurück. Lediglich um 1770 möchte sie einen Einschnitt sehen: Zu diesem Zeitpunkt werden die bisher mit einer am Régence-Stil orientierten Ausstattung versehenen intimen Räumlichkeiten in der gleichen Art dekoriert wie die repräsentativeren Räume. Eine modale Abstufung sei lediglich in Motiven und der Farbigkeit zu sehen. In diesem Bereich der Untersuchung wäre vielleicht ein wenig mehr Detailliertheit wünschenswert gewesen, zumal es für den Leser etwas mühsam ist, diese Behauptung in dem entsprechend dem Werkkatalog alphabetisch angeordneten Abbildungsteil nachzuvollziehen.

Die Vergleiche mit gleichzeitigen französischen und deutschen Innendekorationen werden leider relativ kurz gehalten, wobei allerdings auch das von der Autorin betonte Defizit an Literatur zu diesem Themenkomplex miteinzuberechnen ist (S.45). Dabei geht die Autorin nicht weiter auf den von ihr verwendeten Terminus des "Frühklassizismus" ein, da sie es nicht als ihre Aufgabe erachtet, einen überblick über die Stilproblematik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu geben (S.58, Anm.246).

An die gründliche Darstellung zu Leben und Werk der Gebrüder Bossi schließt sich der umfangreiche Werkkatalog an. Dieser liefert einleitend eine kurze allgemeine Baugeschichte und eine auf Archivstudien beruhende genaue Darstellung der Abfolge der Bossi-Arbeiten unter Einbeziehung der Werke weiterer beteiligter Künstler, einer Literaturdiskussion und eines Berichts über die Restaurierungsarbeiten. Ein Grundriß ermöglicht die Orientierung. Erst danach erfolgt eine Werkbetrachtung, die, aufbauend auf Raumgrundriß und vorhandener Wandgliederung durch Fenster und Türen, die Arbeit der Bossi nach Gliederungsstruktur und Ornamentmotiven vorstellt. Raumwirkung, Material und Farbigkeit, Ikonographie, Zuschreibungs- und Datierungsprobleme werden anschließend dargelegt, stets auf das sich anschließende Quellenverzeichnis verweisend.

Zusammenfassend darf Visosky-Antracks Publikation als eine sehr gründliche, quellenreiche Untersuchung zu süddeutschen Stuckarbeiten in der zweiten Hälfte des 18.Jh. angesehen werden, die neue Erkenntnisse stilistischer und organisationstechnischer Art zu dieser gerne etwas vernachlässigten "Zwischenzeit" liefert, welche dazu beitragen, einer weiteren Beschäftigung mit dieser Epoche hilfreiche Grundlageninformationen zur Verfügung zu stellen.


Michaela Braesel

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Empfohlene Zitierweise:

Michaela Braesel: Rezension von: Iris Ch. Visosky-Antrack: Materno und Augustin Bossi. Stukkatoren und Ausstatter am Würzburger Hof im Frühklassizismus, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2000
in: KUNSTFORM 1 (2000), Nr. 2,

Rezension von:

Michaela Braesel
Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr