Rezension

Wolfgang Lippmann: Der Salzburger Dom 1598-1630. Unter besonderer Berücksichtigung der Auftraggeber und des kulturgeschichtlichen Umfeldes, Weimar: VDG 1999,
Buchcover von Der Salzburger Dom 1598-1630
rezensiert von Martin Raspe, Fach Kunstgeschichte, Universität Trier

In seiner Bonner Dissertation (1992 eingereicht) will Wolfgang Lippmann nicht nur erstmalig eine Monographie des "bedeutendste[n] Bau[s] der gegenreformatorischen Kirche in Deutschland in diesen Jahren" (S. 191) geben, sondern schickt dieser eine mit 90 Seiten fast ebenso lange kulturhistorische Einleitung voraus, die sich ihrerseits in zwei Teile gliedert: "Kunst und Kultur zur Zeit des Salzburger Dombaus" und "Die Erbauer des Salzburger Domes und Aspekte des Salzburger Bauwesens um 1600". Im Mittelpunkt dieses zweiten einführenden Abschnitts stehen die beiden auftraggebenden Erzbischöfe Wolf Dietrich von Raitenau und Mark Sittich von Hohenems und ihre anderweitige Bautätigkeit.

Der zweipolige Aufbau prägt das gesamte Buch; fraglich ist, ob der Verfasser damit gut beraten war. Muß man dem Leser wirklich zunächst alle Voraussetzungen und Hintergründe vor Augen führen, bevor man ihm das Hauptthema zumuten kann? Sicherlich findet sich in der von Lippmann zusammengetragenen Materialfülle manche Perle, vor allem zum frühen nachtridentinischen Kirchenbau nördlich der Alpen - aber wer wird hier danach suchen, zumal kein Register das Buch erschließt? Zugleich kommt der Autor nicht ohne Platitüden aus wie "Kunst und Kultur waren in der Renaissance zum festen Bestandteil des Hoflebens geworden"(S. 29). Wußten wir das nicht bereits?

Was solche kulturgeschichtlichen Einleitungen generell fragwürdig macht, ist zum einen die fehlende Fokussierung auf Leitfragen. Ist es für den Salzburger Dom wirklich von Belang, daß in Rom deutsches Brot beliebt war (S. 20), oder daß der Komponist Heinrich Schütz von seinem Landesfürsten ein Stipendium erhielt (S. 21)? Zum anderen kommt es mir aus methodischer Sicht bedenklich vor, den Blickwinkel der kunsthistorischen Interpretation von vornherein durch kulturgeschichtliche 'Sichtblenden' einzuengen. Primärquelle ist das Kunstwerk selbst, und aus ihm sind Schlußfolgerungen über die künstlerischen Vorstellungen, die Absichten der Auftraggeber und die kulturelle Verfassung der Zeit zu ziehen, nicht umgekehrt! Es lohnte kaum, auf diesen Punkt einzugehen, hätte man nicht den Eindruck, ein Teil der in den Vorspann geflossenen geistigen Energie wäre sinnvoller dem Hauptthema zugute gekommen. Manche wichtige, den Dom betreffende Frage wird nämlich allzu flüchtig abgehandelt oder nur gestreift.

Der Hauptteil beginnt mit der Baugeschichte (S. 99-130); es folgen die "Stilistische Analyse der Domplanung und des jetzigen Domgebäudes" (S. 131-188) und ein kurzes Schlußkapitel über "Bedeutung und Wirkung des Salzburger Domes" (S. 189-194). Obwohl der Aufbau einleuchtet, hat der Leser doch bisweilen Schwierigkeiten, dem Gedankengang zu folgen, weil strittige Forschungsfragen nicht selten nur in den Fußnoten auftauchen. Ein kurzer Dokumentenanhang und ein Katalog einiger Pläne ergänzen den ansonsten sorgfältig gearbeiteten wissenschaftlichen Apparat.

Zwar steht der bedeutende, 1167 begonnene romanische Vorgängerbau nicht im Mittelpunkt der Betrachtung, aber mit 20 Zeilen fällt seine Würdigung reichlich sparsam aus. Dies gilt umso mehr, als er wesentliche Züge des Neubaues vorwegnimmt, nämlich Doppelturmfassade, Vierungskuppel und "Dreikonchenanlage" (genauer: apsidial geschlossene Kreuzarme).

Auch über den urbanistischen Kontext erführe der Leser gerne mehr. Die Planungen Raitenaus nach dem Dombrand vom 11. Dezember 1598 sahen nämlich gravierende städtebauliche Veränderungen und Erneuerungen vor, insbesondere an den umgebenden Residenz- und Kapitelgebäuden. Hier vermißt der Leser schmerzlich einen Lageplan mit der Rekonstruktion des städtebaulichen Konzepts, in dem der Dom zweifellos die Hauptrolle spielte. Da keiner der neueren Grabungspläne abgebildet ist, kann man sich kein Bild davon machen, ob eine Rekonstruktion der verschiedenen Planungsstufen wirklich unmöglich ist.

Die Eckdaten des Raitenau'schen Neubauprojektes seien kurz referiert, da sie nicht ganz deutlich herauskommen. Zunächst wurde anscheinend für kurze Zeit eine Wiederherstellung erwogen. Bis 1602 barg man vor allem die wiederverwendbaren Ausstattungsstücke: Orgel, Portale, Altäre, Bischofsgräber und das Marmorpaviment (S. 102, 104). Dann erst faßte das Kapitel den Beschluß zum Neubau (Quelle S. 223). In der Folgezeit nahm Raitenau Kontakt zu Vincenzo Scamozzi auf, der im Februar 1604 in Salzburg weilte (S. 107). Erst im März 1606 begann der Abriß der Ruine (Quelle S. 219-221); im Juni, als die Reliquien transloziert wurden (Quelle S. 220), wird er sich dem Abschluß genähert haben. Ein Besucher scheint bereits im März 1607 Fundamente gesehen zu haben (Quelle S. 227 f.). Wie dem auch sei, die Arbeiten wurden jedenfalls bald eingestellt (wegen Geldmangels?). Erst im März 1611 nahm man den Bau wieder auf, in erheblich reduzierten Dimensionen (S. 113) und um 90° gedreht, d. h. mit dem Chor nach Süden. Mit dem Sturz Raitenaus im Herbst des Jahres kam alles zum Erliegen.

Infragestellen möchte ich Lippmanns Interpretation der drei sorgfältig ausgearbeiteten, in Salzburger Schuh bemaßten, auf August 1606 bzw. September 1607 datierten und eigenhändig unterfertigten Entwürfe Scamozzis. Er apostrophiert sie als "Traktatvorlagen", die "nur indirekt mit der Planung des Domes zusammenhängen" (S. 108), und gesteht ihnen deshalb keinen Platz in der Planungsgeschichte zu. Sie fügen sich jedoch zwanglos in das genannte Datengerüst ein, denn genau 1606 wurden erstmals konkrete Pläne benötigt! Ihrem Erscheinungsbild nach sind die Zeichnungen Präsentationsblätter; gegen Stichvorlagen spricht auch, daß der Architekt "auffallend viel korrigiert" hat (S. 199). War Scamozzi vielleicht 1606/07 wieder in Salzburg?

Wenn meine Berechnungen stimmen, dann mußte man 1611 Scamozzisgigantischen Entwurf lediglich um ein Langhausjoch und das quadratische Chorjoch reduzieren (also auf die Disposition des heutigen Doms), um die überlieferte Länge von 330 Schuh zu erhalten. Es erscheint also nicht ganz ausgeschlossen, daß noch zuletzt nach einem Projekt Scamozzis (wenn auch wohl nicht unter seiner Leitung) gebaut wurde.

Der von 1614 an unter dem Hohenemser erneut in Ost-West-Richtung aufgeführte heutige Dombau wird zügig abgehandelt. In der Analyse nehmen überlegungen zum Proportionssystem (S. 167-169) und zur Herleitung der mit Balkons geschmückten Emporen (S. 171-179) großen Raum ein, wodurch ein gewisses Ungleichgewicht in der Darstellung entsteht. Einer für die ganze süddeutsche Barockbaukunst richtungweisenden Neuerung des Salzburger Domes widmet Lippmann hingegen nur einen Halbsatz (S. 184), nämlich der reichen, aber einheitlichen, die architektonische Grundstruktur konsequent weiterführenden Stuckierung der Gewölbe. Durch das hierarchisch geordnete Zusammenwirken von Architektur, plastischer Dekoration und Bildfeldern wird hier das Raumerlebnis erstmalig zu einer genuin "barocken" Gesamtschau (was für den Außenbau in weit geringerem Maße gilt).

Die formgeschichtlichen Einordnungen überzeugen nicht immer, weil sie oft zu sehr an Einzelmotiven aufgehängt sind. Es wäre m.E. an der Zeit gewesen, mit alten, aber offensichtlich nicht sonderlich evidenten Herleitungen (etwa von der Kirche des Escorial, vom Dom in Comound vom römischen Gesù) aufzuräumen und z. B. den spezifisch venezianischen Charakter der glatten, nur durch Fenster gegliederten Trikonchoswände hervorzuheben. Mitunter greifen Lippmanns Vergleiche ein wenig hoch: Als Vorbild für den Sebastiansfriedhof mit der Gabrielskapelle (1597-1603) kommt m. E. wohl eher das unter Carlo Borromeo errichtete Lazarett in Mailand in Betracht als der Felsendom in Jerusalem oder Bramantes Idealplanungen für St. Peter. Interessant sind Verbindungen nach Spanien und Portugal, die Lippmann vermutet.

Manches hätte verdient, gründlicher untersucht und schärfer herausgearbeitet zu werden, so etwa die Fragen nach dem spezifisch "gegenreformatorischen" Charakter des Neubaus oder nach dem Skulpturenprogramm. Für künftige Forschungen bleibt also durchaus noch Raum.


Martin Raspe

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Martin Raspe: Rezension von: Wolfgang Lippmann: Der Salzburger Dom 1598-1630. Unter besonderer Berücksichtigung der Auftraggeber und des kulturgeschichtlichen Umfeldes, Weimar: VDG 1999
in: KUNSTFORM 1 (2000), Nr. 2,

Rezension von:

Martin Raspe
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Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr