Rezension

Winfried Bergmeyer: Landgraf Karl von Hessen-Kassel als Bauherr. Funktionen von Architektur zwischen Vision und Wirklichkeit, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 1999,
Buchcover von Landgraf Karl von Hessen-Kassel als Bauherr
rezensiert von Stephan Hoppe, Universität zu Köln

In letzter Zeit ist das Bewußtsein dafür gestiegen, daß in der frühen Neuzeit Fürsten nicht nur eine Vielzahl von bedeutenden Architekturen in Auftrag gegeben haben und durch die Beschäftigung weitgereister Künstler den Austausch von Kunstideen stark befördert haben, sondern daß sie oft auch aktiv in die Gestaltung der Bauaufgaben eingegriffen haben. Leider sind darüber nicht nur die Nachrichten sehr verstreut und lückenhaft, sondern es fehlen auch für die meisten Fälle monographische wie zusammenfassende Untersuchungen. Um so gespannter nimmt man ein Buch zur Hand, das nicht nur den hessischen Landgrafen Karl (reg. 1677 - 1730) als Bauherrn zum Thema nimmt, sondern auch "die Suche nach dem Anteil des Bauherrn am Entwurf und an der Ausführung der verschiedenen Architekturen, seine Motivation und Zielsetzung" als Kernpunkt der Arbeit angibt (Zitat aus der Einleitung, 8).

Um es vorweg zu nehmen, der so orientierte Leser wird durch Winfried Bergmeyers Arbeit in dieser Beziehung enttäuscht. Die Veröffentlichung, der eine 1995 eingereichte Marburger Dissertation zugrunde liegt, behandelt die Tätigkeit Landgraf Karls "als Architekt" auf dreieinhalb (!) von 286 Seiten der gesamten Darstellung. Der Rest beschäftigt sich zum einen mit den Projekten höfischer Architektur unter seiner langen Regierung, ohne daß aber die Rolle des Bauherrn detaillierter analysiert wird (vielleicht werden konnte?), zum anderen mit weit ausgreifenden Darstellungen zum Problem des Absolutismus, der Fürstenerziehung, der Architekturtheorie- und Architektenausbildung der Neuzeit, der Entwicklung des Architekturmodells und anderem. Dies geschieht in der Regel jedoch mit einem recht lockeren Bezug zu dem hessischen Regenten. Es ist aber trotzdem beeindruckend, welche Breite von wissenschaftlicher Literatur der verschiedenen Disziplinen der Autor in diesen Kapiteln angemessen verarbeitet hat; gerne liest man solche Zusammenfassungen auf einem neuen Forschungsstand, auch wenn sie hier lange das Kernthema eher umkreisen als vorbereiten.

Allerdings fallen einige Details auf, die nicht ganz den Forschungstand der 1990er Jahre treffen. So hat der Autor z. B. in dem Kapitel zur Funktion des Hofes (28 ff.) zwar die Elias korrigierenden neueren Arbeiten von Winterling ("Winterling, Aloys: Der Hof der Kurfürsten von Köln 1688 - 1794. Eine Fallstudie zur Bedeutung "absolutisischer" Hofhaltung. Bonn 1986") und Bauer ("Die höfische Gesellschaft in Deutschland von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Versuch einer Typologie. Tübingen 1993") zur höfischen Gesellschaft im Reich zur Kenntnis genommen, in Bergmeyers Konzentration auf die innenpolitische Funktion der deutschen Fürstenhöfe dürfte aber deren komplexer funktionaler Kontext zu sehr vereinfacht sein. In dem Kapitel zum Pentagon als fortifikatorischer Grundform seit der Renaissance (89 ff.) fehlt der wichtige Hinweis auf die pragmatische Begründung dieser Figur durch Specklin. In dem Kapitel über "Adaption fortifikatorischer Gestaltungsprinzipien in der Zivilarchitektur" (94 ff.) wird unverständlicherweise die grundlegende, 1994 erschiene Arbeit Ulrich Schüttes zum "Schloß als Wehranlage, Befestigte Schloßbauten der frühen Neuzeit" überhaupt nicht erwähnt! Im Kapitel zu den "Kunst- und Wunderkammern" (249 ff.) hat der Autor Bredekamps Viererschritt vom Naturreich zum Maschinenreich in das 17. Jahrhundert verlegt, während im 16. Jahrhundert angeblich "haptische Werte" im Vordergrund gestanden hätten. Fast erheiternd ist schließlich die Ansicht des Autors, Architekturpläne hätten sich erst mit der Renaissance entwickelt (78). Hier hinterläßt die oft institutionalisierte Trennung der Kunstgeschichte in mittelalterliche und neuzeitliche ihre bizarren Spuren. Dies sind, wie gelegentliche Fehler in den Literaturnachweisen, aber eher Details, die den Nutzen der weit ausgreifenden Ausführungen nicht grundsätzlich mindern. Fruchtbar ist besonders die Herausstellung der Rolle der römischen Accademia di San Luca für die Architekturentwicklung in Mitteleuropa um 1700, ein Thema, dem sich seit einiger Zeit besonders Hellmut Lorenz angenommen hat, sowie der Hinweis auf die Rolle von nicht zur Realisierung vorgesehenen Idealprojekten im Rahmen des höfischen Diskurses.

Bedenklicher erscheinen da angesichts der Textgattung von Bergmeyers Arbeit eher das Fehlen eines kritischen Forschungsüberblicks (wie auch eines zusammenfassenden Schlußkapitels) und der fast völlige Verzicht auf die Auswertung von Originalquellen (außer den behandelten Zeichnungen). Als Zeugen für bestimmte Haltungen der Architektur gegenüber werden fast ausschließlich umfangreiche Stellen aus der Traktatliteratur (neben der Architekturtheorie auch pädagogische und moralische Schriften) und die einschlägige moderne Sekundärliteratur ausgewertet. Dies ergibt natürlich in den Umrissen ein zutreffendes (allerdings auch nicht revolutionäres) Bild; wichtig erscheint aber dem Rezensenten heutzutage die verstärkte Konfrontation dieser Ansichten mit der doch sehr variantenreichen Praxis. Zu sehr neigt Bergmeyers Arbeit dazu, die in den Traktaten ja auch mit bestimmten Interessen vertretenden Lehren mit dem geistigen Kontext und den treibenden Kräften, aus denen Architektur in der frühen Neuzeit entstand, schlechthin gleichzusetzen. Hier wäre dringend eine detailliertere Aufarbeitung der realen Kunsttätigkeit deutscher Fürsten, gerade auch vor der Zeit des 18. Jahrhunderts notwendig. Die einschlägigen Arbeiten zu Ottheinrich von der Pfalz sind z. B. fast hundert Jahre alt (hier werden die z. Z. noch im Entstehen begriffenen Arbeiten von Hanns Hubach und Fritz Grosse sicherlich viel Neues bringen); auch über Karls Vorgänger, Landgraf Wilhelm VI. (reg. 1567 - 1592) und Landgraf Moritz (reg. 1592 - 1627) wäre noch manches zu forschen. Die Vorgehensweise sollte idealer Weise dabei eine strukturalistische, komparatistische sein. Monographien dürften angesichts der oft lückenhaften überlieferung schnell an ihre Grenzen kommen (vielleicht ist das aber zu pessimistisch gesehen); eine Monographie zum Thema fürstlicher Kunstauffassung angesichts so dürftigen Quellenmaterials wie in Kassel um 1700 erscheint jedoch erst recht nicht angeraten.

Schade, Bergmeyer hat bei offensichtlich breitangelegten wissenschaftlichen Interessen und Kenntnissen leider etwas sein Thema verfehlt. Dabei ist die Arbeit gut lesbar geschrieben, auch die Aufteilung der Abbildungen in die preiswerten Strichzeichnungen im Textfluß und die kostspieligeren Schwarzweißreproduktionen ist nachahmenswert. Man hätte allerdings gerade den Kapiteln über die ausgeführten Projekte in Kassel ein paar mehr solcher Strichzeichnungen in den Text integrieren können. Der Leser, der sich ohne große Vorkenntnisse informieren möchte, müßte dann zur Anschauung nicht zwangsläufig auf andere Literatur zurückgreifen.

Wichtige Links zum Thema mit Literaturangaben:

http://resikom.adw-goettingen.gwdg.de/SH4.htm

http://www.altenberg-projekt.uni-dortmund.de/hoppe/literaturlisten.htm


Stephan Hoppe

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Empfohlene Zitierweise:

Stephan Hoppe: Rezension von: Winfried Bergmeyer: Landgraf Karl von Hessen-Kassel als Bauherr. Funktionen von Architektur zwischen Vision und Wirklichkeit, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 1999
in: KUNSTFORM 1 (2000), Nr. 1,

Rezension von:

Stephan Hoppe
Universität zu Köln

Redaktionelle Betreuung:

Jan Mohr